Der Kiepenkerl bloggt: Waffe für den Kalten Krieg

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Das Sturmgewehr G36 wurde bei der Bundeswehr als Ordonnanzwaffe eingeführt und an Soldaten im Rahmen der persönlichen Ausrüstung ausgegeben. Das Verteidigungsministerium ließ das zur Grundausstattung gehörende Gewehr in der Zeit des Kalten Krieges entwickeln. Die militärische Führung ging damals davon aus, dass die Flinte nur dazu bestimmt sei, in Übungen gelegentlich auf Pappkameraden abgefeuert zu werden, denn ein Feindbild gab es nicht. Trotzdem hatte der Hersteller die Erwärmung des Weltklimas bei der Konstruktion berücksichtigt, denn auch andere Länder interessierten sich für den Schießprügel. Doch als der bestimmungswidrig in Afghanistan bei hohen Außentemperaturen in Kämpfen mit Dauerfeuer eingesetzt wurde, kam die Ernüchterung: Der Gewehrlauf verbog sich durch die Hitze des Mündungsfeuers im Gefechtseinsatz, sodass die Zielgenauigkeit bis auf sieben Prozent sank.

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HK G36 ohne Magazin – Foto: „Domok g36“, lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg war die Beschaffungslage völlig anders. Kaiser Wilhelm II. und der „Größte Feldherr aller Zeiten“ (GröFaZ), Adolf Hitler, wollten ihre politischen Ziele von Anfang an mit Waffengewalt durchsetzen. Die zuständigen Minister und die verantwortliche Militärführung wären standrechtlich erschossen worden, wenn sie vergleichbare Mängel, wie beim G36, nicht unverzüglich hätten beheben lassen.

Für wichtige Ausrüstungsgüter der Luftwaffe, des Heeres und der Marine gibt es bei der Bundeswehr seit Jahren eine bisher unbekannte Dimension bei den Lieferverzögerungen. Hinzu kommt, dass Neuentwicklungen der Industrie häufig mit gravierenden Mängeln behaftet sind, die einen bestimmungsgemäßen Gebrauch ausschließen. Angesichts vergleichbarer Fristüberschreitungen hätte Adolf Hitler den Kriegsbeginn 1939 um vier Jahre verschieben müssen.

Das Beschaffungsdesaster des G36 ist reif für einen Bundestags-Untersuchungsausschuss. Trotz detaillierter Warnungen über die Probleme im Kampfeinsatz verfügten die Wehrbürokraten ab März 2011 eine strikte Abschottung kritischer Berichte. Der Bundesrechnungshof kritisierte später in einer Stellungnahme, die ebenfalls als geheim eingestuft wurde: „Kaum hätten die Berichte vorgelegen, seien sie unmittelbar als Verschlusssache eingestuft worden.“

Besonders skandalös ist, dass ein Beamter aus dem Wehrbeschaffungsamt nach eindeutigen Hinweisen auf die Mängel an der Schönwetterwaffe als Querulant in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, statt seinen Erkenntnissen nachzugehen. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr Vorgänger Thomas de Maizière frühzeitig über die Konstruktionsmängel an der „Lebensversicherung“ für Infanteristen informiert waren. Deshalb tragen sie die politische Verantwortung für die viel zu späte Aufarbeitung des Skandals – auch wenn es Kräfte im Verteidigungsministerium gab, die versuchten, die Schwächen des G36 zu vertuschen.

Das Verteidigungsministerium ist inzwischen bemüht, die Defizite des G36 mit den Notwendigkeiten der Einsatzplanung der Bundeswehr in Einklang zu bringen. Die Empfehlung lautet: Weitgehend Einzelfeuer in kriegerischen Auseinandersetzungen. Damit fühlen sich die Schreibtischtäter auf der sicheren Seite. Schließlich reichen die positiven Erfahrungen mit Vorderlader-Handfeuerwaffen, Duellpistolen und Jagdgewehren im Einzelfeuer zurück bis ins 15. Jahrhundert. Bleibt nur zu hoffen, dass sich auch die Kampfgegner im Ernstfall an die Empfehlung der Bundeswehr halten – selbst wenn sie nicht mit einem G36 schießen.

Im Verteidigungsministerium gibt es Überlegungen, das umstrittene Sturmgewehr nicht komplett zu verschrotten. Der Hersteller, die Firma Heckler & Koch, soll einen Teil der 178.000 G36-Exemplare mit einem hitzebeständigeren Gewehrlauf nachrüsten, um die Treffsicherheit im Dauerfeuer zu erhöhen. Die ausgemusterten Knarren könnten in Krisenländer exportiert werden, denn wegen mangelnder Treffsicherheit würden von ihnen geringere Gefahren ausgehen als von vergleichbaren russischen oder amerikanischen Modellen.

 

 

 

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