Stromberg: Jim Knopf auf der Burgbühne

Westfalen – Jedes Jahr im Sommer verwandeln sich die Stufen vor der Stromberger Wallfahrtskirche Heilig Kreuz zur Spielstätte der Burgbühne Stromberg. Westfalium hat bei den Proben zum diesjährigen Kinderstück „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ einen Blick hinter die Kulissen geworfen.

Bei der ersten Kostümprobe müssen die Kostüme noch angepasst werden - Fotos: Lisa Krawczyk

Fantasievolle Garderobe: Bei der ersten Kostümprobe müssen die Kostüme noch für jeden Schauspieler angepasst werden – Fotos: Lisa Krawczyk

“Jetzt gebt mir doch mal das angewiderte Mandala-Lächeln“, ruft Claudia Bieber aus dem Zuschauerraum auf die Bühne. Was die Regisseurin des Stücks „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ genau damit meint, wissen nur die Nachwuchsschauspieler auf den Treppenstufen der Wallfahrtskirche. Denn sie proben schon seit
Januar für das neue Stück. Seit Ostern nun auch endlich nicht mehr im beengten Keller des Vereinshauses, sondern draußen. In den Kostümen stecken zwar noch Sicherheitsnadeln, die Kulissen sind noch nicht fertiggestellt und heute funktioniert auch die Musikanlage nicht – doch improvisieren können die jungen Laienschauspieler wie Profis.

Das erste Mal wird auf der Freilichtbühne in den Kostümen geprobt

Das erste Mal wird auf der Freilichtbühne in den Kostümen geprobt

Heute werden einige der Kostüme zum ersten Mal anprobiert. Das gab zuvor im Umkleideraum Gedränge. „Bist du ein Bonze oder eine Blume?“ – „Guck, dass du deine blonden Haare alle versteckst und dir ein schwarzer Zopf drangemacht wird!“ – „Ich bekomm’ den Drachenkopf nicht über meinen Kopf!“ So schallt es aus allen Ecken. Die beiden für die Kostüme zuständigen Frauen, die Schneidermeisterin Claudia Winkelnkemper und die Ressort-Leiterin Birgit Großerhode, huschen von einer Ecke in die nächste. Heute fungieren die beiden auch noch als Maskenbildnerinnen und versehen Jim Knopf, gespielt von der 15-jährigen Hannah, mit seiner dunklen Hautfarbe und den schwarzen Locken.

Die versierten Schauspieler schminken sich schon selber

Die versierten Schauspieler schminken sich schon selber

Lukas der Lokomotivführer schminkt sich seinen Bart und die buschigen Augenbrauen gleich selber, schließlich wird auch er gespielt von einer Frau, der 21-jährigen Karla. Lediglich die Jungs haben alle schon ihre Wachposten-Kostüme an und sich unbemerkt in dem ganzen Trubel in ihre Umkleideraum zurückgezogen. Vergessen wurden sie dennoch nicht von Birgit Großerhode, die die Wachposten noch an ihre Kragen erinnert und dafür sorgt, dass alles seine Ordnung hat.

Draußen auf den Treppenstufen der Wallfahrtskirche dann sind alle aufgeregt, viele proben heute zum ersten Mal draußen und dann auch noch kostümiert. Regisseurin Claudia Bieber lässt alle einmal ausprobieren, wie sich die Kostüme anfühlen, lässt kurze Szenen durchspielen, darunter auch Kampfszenen, wahrscheinlich damit sich die Kinder und Jugendlichen kurz austoben können, sie haben so viel Energie. Später dann ist bei der Probe der Szenen „Tausend-Wunder-Wald“ und „Das Tal der Dämmerung“ nämlich Konzentration gefragt. Dann müssen auch die Kostüme wieder in der Garderobe verschwinden.

Die Zuschauer können sich auf einiges gefasst machen: Es gibt viel Action auf der Theaterbühne

Die Zuschauer können sich auf einiges gefasst machen: Es gibt viel Action auf der Theaterbühne

Der „Tausend-Wunder-Wald“ ist ein Abschnitt des Theaterstücks, in dem Choreografie eine große Rolle spielt. „Seid ein Laubbaum“, lautet hier die Regieanweisung von Claudia Bieber. Die frei arbeitende Regisseurin und Theaterpädagogin arbeitet auch bei T.R.I.P., dem von ihr gegründeten und geleiteten Theater in Gütersloh, oft mit jungen Laiendarstellern zusammen. „Besonders reizt es mich, mit ihnen über einen längeren Zeitraum zu arbeiten und ihre Entwicklung zu beobachten“, erzählt sie. Heute muss sie dem Ensemble des Kinderstücks, das sich über eine Altersgruppe von 8- bis über 50-Jährige erstreckt, eben zeigen, wie sich die Bäume im Tausend-Wunder-Wald zu bewegen haben.

Leider ist die Musik heute ausgefallen, da ist noch mehr Fantasie gefragt. „Erst schwingen, weiche Bewegungen“, ruft Claudia Bieber. Dann klatscht sie in die Hände, um den Musikwechsel anzudeuten. „Und jetzt roboterartig! Zack, zack, mit dem ganzen Körper, nicht nur mit Armen und Händen!“ Dann klatscht es wieder. Jetzt müssen die Darsteller ihre Positionen wechseln.

Die Drachenköpfe liegen bereit, aber ob sie den Schauspielern auch passen werden

Die Drachenköpfe liegen bereit, aber ob sie den Schauspielern auch passen werden

Beim Szenenwechsel zum „Tal der Dämmerung“ kommen Wände, bewegliche Kulissenteile zum Einsatz, die von den Akteuren getragen und positioniert werden müssen – und das ist über die Stufen und bei gelegentlichen Windböen gar nicht so einfach. Ob und wie sich viele Ideen umsetzen lassen, sieht man eben oft erst, wenn man es versucht, „Versuch und Irrtum“ lautet hier die Methode. Da schauen Regisseurin und Schauspieler gemeinsam, was funktionieren könnte.

Die einzelnen Kulissenteile werden aus allen Ecken der Bühne zusammengetragen, so dass sie eine Wand bilden. Diese muss sich dann wieder öffnen, um Jim und Lukas den Weg ins Tal der Dämmerung zu weisen. Jim und Lukas sind in dieser Szene jedoch in der Lokomotive Emma unterwegs – diese, ein umgebauter Golfcaddy, steht aber noch unfertig in der Scheune. Ob die Aufstellung der Wände auch mit Emma funktionieren wird, wird sich erst später zeigen …

Die Regisseurin gibt zum "Geiern" die passenden Anweisungen

Die Regisseurin gibt zum “Geiern” die passenden Anweisungen

Zum Schluss nimmt sich Claudia Bieber Zeit, um mit den Darstellerinnen von Jim Knopf, Lukas und einem Geier noch allein eine Szene intensiv zu proben. Das ist wichtig, weil Jim Knopf und Lukas natürlich den größten Textanteil haben und dann nicht nur jedes Wort, sondern auch die Mimik und jede begleitende Geste sitzen muss. Die Regisseurin macht auch vor, wie sich ein Geier zu bewegen hat, so dass die Darstellerin ihr folgen kann. „Und jetzt zirp auch mal wie ein Geier“, weist Claudia Bieber an. „Aber Geier zirpen doch nicht!“, protestieren die Schauspieler. Doch wie genau sich Geierlaute anhören, weiß niemand so recht. „Das ist Hausaufgabe für das nächste Mal“, schließt Claudia Bieber die Probe. Fast wie in der Schule – auch wenn die Burgbühne ein Hobby ist, so wollen die Zuschauer später begeistert werden, und ob sie dabei Laien oder Profis vor sich haben, darf dann keine Rolle spielen.

„Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ kennt jeder. So kommt jeder Zuschauer mit einer Erwartungshaltung ins Freilichttheater. Was die Zuschauer bei der Premiere am 14. Mai erwarten können, fasst Claudia Bieber, die das Stück nach Michael Ende frei interpretiert hat, wie folgt zusammen: „Es gibt so viele Interpretationen des Stücks und so viele verwenden die gleichen Szenen beziehungsweise lassen die gleichen weg. Ich habe mich am Originalbuch orientiert, keine anderen Aufführungen angeschaut. Meine Interpretation verwendet Szenen, die sonst in kaum einer Fassung zu finden sind, wie das „Tal der Dämmerung“ oder der
„Mund des Todes“.”

Dass die freie Regisseurin, die seit einem Jahr auch an der musikalischen Schauspielschule (MuSS) in Bielefeld lehrt, in ihrer Arbeit für die Burgbühne Stromberg so frei sein kann, macht für sie den Reiz aus. Noch gut einen Monat ist Zeit, bis das diesjährige Kinderstück der Burgbühne Stromberg Premiere feiern wird. Damit bis dahin alles perfekt ist, wird nicht nur eifrig Text – oder das Geiern – gelernt: Über 100 aktive Mitglieder sorgen dafür, dass Kostüme entworfen und geschneidert werden, die Kulissen gebaut und bemalt werden, die Besucher durch große Boxen in ausreichender Lautstärke beschallt werden. Darunter sind ausgebildete Schneiderinnen oder Metallbauer und Schreiner, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich für die Burgbühne arbeiten.

Lediglich die Regisseure der beiden Stücke, dem Erwachsenen- und dem Kinderstück, erhalten eine Bezahlung. Und weil selbstredend auch das Spielerheim mit Werkstatt und Kostümfundus sowie die Werbemaßnahmen finanziert werden wollen, ist die Burgbühne Stromberg neben den Einkünften aus den Kartenverkäufen auch auf Spenden und Unterstützung von der Stadt Oelde oder dem Kulturfonds des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe angewiesen. Mit dieser Hilfe hat sich die Burgbühne in den vergangenen 90 Jahren – denn auf eine so lange Tradition kann das Freilichttheater in Oelde-Stromberg mittlerweile zurückblicken – in der westfälischen Freilichtbühnenszene einen Namen gemacht. Gaby Brüser, die seit zehn Jahren die Vorsitzende des Vereins ist, kann stolz behaupten: „Unser Publikum kommt aus ganz Ostwestfalen-Lippe angereist, vor allem aus Gütersloh, aber auch aus dem Münsterland oder aus der Umgebung von Soest.“ Der Erfolg ist sicherlich auch mit dem guten Händchen für die Stückauswahl zu begründen. „Wir überlegen gemeinsam mit den Regisseuren, welche Stücke wohl gut ankommen“, erzählt Gaby Brüser.

Dass die 696 Sitzplätze auf dem Vorplatz der Wallfahrtskirche regelmäßig gut besetzt sind, kommt neben den toll inszenierten Stücken sicherlich auch ein bisschen von der einzigartigen Atmosphäre, die in diesem Freilichttheater herrscht. Man sieht nicht alle Tage ein Theaterstück vor einer solch geschichtsträchtigen Kulisse wie der Kirche Heilig Kreuz.

Mit den Jahren hat sich die Burgbühne Stromberg zu einer festen Instanz im kulturellen Leben der Stadt etabliert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vorsitzende Gaby Brüser selbst: Sie ist seit nunmehr 40 Jahren aktives Mitglied im Verein und stand so lange auf der Bühne, wie es ihre Gesundheit erlaubte. An ihre Anfangszeit erinnert sie sich: „Die Stromberger haben damals fast alle hier mitgespielt.“ Sie selbst ist durch ihre Freundin, die Schneiderin Birgit Großerhode, zur Burgbühne gekommen; ein Regie-Assistent verschuf ihr dann eine Rolle als Statist.

Von der Statistin zur Vorsitzenden – was für Werdegang. Selbst ihren Mann hat Gaby Brüser durch die Burgbühne kennengelernt. So etwas ist keine Seltenheit, wie sie weiß: „Es sind schon viele Burgbühnen-Ehen geschlossen worden und schon viele Kinder wurden in unser Theater hineingeboren.“ So kommt es, dass unter den Schauspielern heute über 80-Jährige genauso vertreten sind wie kleine Kinder.

Auch nach so vielen Jahren steht die Burgbühne Stromberg nicht vor einem Nachwuchsproblem – im Gegenteil, sagt Gaby Brüser: „Wir mussten teilweise sogar einen Aufnahmestopp verhängen.“ Die Jahre haben aber auch Spuren hinterlassen, wie im Vereinshaus. Das platzt nämlich aus allen Nähten! Jeder Schrank ist voll mit Requisiten und Kostümen, allein auf dem Dachboden sind mehr als 1.000 Kostüme untergebracht. Diese werden allerdings nicht nur zur Erinnerung aufbewahrt, schließlich könnten sie noch einmal Verwendung finden. „Wir nähen vieles um“, erklärt Gaby Brüser. Und als die Vorsitzende so durch das Vereinshaus führt, ist es fast so, als würde sie ihr Zuhause zeigen … Die Burgbühne Stromberg ist eben wie eine zweite, sehr große Familie. (Lisa Krawczyk)

Freilichtspiele Burgbühne Stromberg in Westfalen e. V. / Burgstr. 5 / 59302 Oelde-Stromberg
Telefon 02529 – 948484

www.burgbuehne.de

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