Der Kiepenkerl bloggt: Juristendeutsch

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Das sprachliche Harmoniebedürfnis von Juristen findet seinen Niederschlag häufig in der unpassenden Verwendung des Buchstaben „s“. Das überflüssige „s“ in der juristischen Amtssprache hat für alle billig und Duden-gerecht Denkenden eine ähnliche Signalfunktion wie die spitze Aussprache des „st“ bei gebildeten Hanseaten. Notorische Laien behaupten, dass das „s“ in der Terminsvollmacht dieselbe Funktion besitzt wie das Geschmeidigkeits-s in den westfälischen Bratskartoffeln. Manchmal ist das Harmonie-s aber auch unentbehrlich, um juristische Kunstwörter, wie Durchgriffshaftung oder Ermessensspielraum überhaupt aussprechen zu können.

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Ins Lateinische flüchten sich Juristen immer dann, wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind. Etwa, wenn sie culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsabschluss) vermuten oder ein falsus procurator (falschen Vertreter) identifiziert wird.

Die Kaste der Robenträger ist auch sonst leicht an der Sprache zu erkennen – und das nicht nur in Amtsgerichten, Landgerichten oder Oberlandesgerichten. Dort verfolgen sie zwar unterschiedliche Ziele, doch es geht immer auch um die ganz persönliche soziale und fachliche Performanz (Sprachverwendung in einer bestimmten Situation). Das schließt die Pflege der eigenen Corporate Identity mit ein. Hinzu kommt, dass die Spielregeln in den juristischen Kommunikationsgemeinschaften ständig an die eigenen Interessen, Bedürfnisse, Erwartungen und die höchstrichterliche Rechtsprechung angepasst werden müssen. Diese Art der Kommunikation und ihre sprachliche Mutation ist für Juristen eine wichtige Hilfe zur Selbstfindung.

Mehr grundsätzlicher Natur ist die Frage, was an einer positiven Vertragsverletzung außer dem fälligen Schaden(s)ersatz überhaupt positiv ist. Und ob ein Rechtsradikaler ein Verfechter des Rechts sein kann? Schließlich muss ein Linksabbieger auch nicht gleich vom Rechtsweg abkommen. Für gut unterrichtete Kreise steht längst fest, dass ein Rechtspfleger sich und das Recht pflegt. Nach landläufiger Meinung unterscheidet er sich durch nichts vom Heer der rechtschaffenden Recht-Schaffenden in ihrem häuslichen Arbeitszimmer.
Quod erat demonstrandum.

Die liebsten Insignien der Palandt-Jünger sind die Paragraphen. Sie bestehen aus zwei „s“, die in den Ebenen zueinander versetzt sind. Mittelalterliche Mönche nutzten das „§“-Kürzel, um verschiedene Abschnitte einer Handschrift zu trennen. Die beiden „s“ stehen für „signum separationis“. Das heißt so viel wie „Zeichen der Trennung“. Als solches steht das doppelstöckige „s“ noch heute zwischen dem wissenden Anwalt und dem hilflosen Mandanten.

Sancta Justitia gilt als Wahrzeichen der Gerechtigkeit. Die Augenbinde soll verdeutlichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person, nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage (Waage) gesprochen und mit der nötigen Härte (Richtschwert) durchgesetzt wird. Am Krameramtshaus in Münster trägt die Göttin der Gerechtigkeit keine Augenbinde. Das ist ein Indiz dafür, dass sie die Zweite Juristische Staatsprüfung noch nicht abgelegt hat.

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