Der Kiepenkerl bloggt: Schnüffelorgien

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Spätestens seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 setzte sich die Erkenntnis durch, dass Fanatismus die Vernunft besiegen kann. In dem von Ohnmacht und Wut geprägten politischen Umfeld veranlasste George W. Bush den Eintritt der USA in den Irak-Krieg – trotz haarsträubender Fehlinformationen des Geheimdienstes. Inzwischen ist allen bewusst, dass Ideologien gefährlich sind, wenn sie nur die eigene Wahrheit dogmatisieren, denn damit stellen sie sich über alle anderen Wahrheiten. Und wer sie zu widerlegen sucht, gilt als Feind.

Auch die Einführung von Prism (deutsch „Prisma) war für Bush alternativlos. So prallten beim Berlin-Besuch von Barack Obama am 20. Juni 2013 grundverschiedene Welten aufeinander. Stasi-Karteikarten und Fernmeldegeheimnis hier, und dort weltweite elektronische Ausforschung des Datenverkehrs durch die NSA (National Security Agency). Die amerikanische Führung hat entschieden, dass Terrorabwehr den überwachten Bürger erfordert, um den Staat zu schützen. Ungeachtet dessen, dass die Demokratie letztlich abhängig ist von der gelebten Kultur, der Freiheit und der Menschenwürde.

Der NSU- Prozess stellt unter Beweis, dass vernetzte Schnüffelei in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. V-Leute mit körperlichem Einsatz sind keine Alternative zu virtuellen V-Leuten am Bildschirm. Doch ihre Kontrolle ist schwierig, denn Telekommunikationsdaten folgen der Physik und nicht der Politik.

Auch Hacker betreiben vom heimischen Computer aus weltumspannende Werkspionage. Durch ihre Raubzüge vernichten sie die Entwicklungskosten und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die technologisch zur Weltspitze gehören.

Da tritt es schon fast in den Hintergrund, dass totalitäre Staaten unbequeme Internetseiten sperren oder der türkische Innenminister Facebook-Informationen zur Strafverfolgung gegen freiheitlich gesinnte Bürger nutzt.

In Diktaturen ist die Schnüffelei seit jeher staatstragend. Amerika hat deutlich gemacht, dass auch Demokratien den gläsernen Bürger benötigen, um sich mit allen Mitteln gegen Terrorangriffe zu schützen. Google, Facebook und globalisierte Hochgeschwindigkeitsdatenleitungen machen‘s möglich. Doch die Mailgemeinde wird sich schnell auf Codewörter umstellen, um den Wortfischern nicht ins Netz zu gehen. Bleiben harmlose Jugendliche, die über Facebook ihre Ergebnisse von Kriegsspielen kommunizieren.

Es macht durchaus einen Unterschied, ob Demokratien weltweit nach Spuren von Terroristen suchen oder totalitäre Gesellschaften ihre Bürger mit unrechtsstaatstragenden Ideologien in Schach halten, um den Bestand ihres Herrschaftssystems zu sichern.

Bespitzelung kann auch staatszerstörend wirken, wie der Einsatz des militärischen Geheimdienstes zur Observation der Ehefrau des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Nexas zeigt.

Mit der elektronischen Abschöpfung ausländischer Diplomaten beim G20- Gipfel im Jahr 2009 durch die Cyber-Warlords Ihrer Majestät hat sich Gordon Brown vielleicht einen Informationsvorsprung verschafft, doch er verspielte das Vertrauen der Mächtigen dieser Welt.

Als Land der unbegrenzten Möglichkeiten haben die Amerikaner sogar EU-Einrichtungen in den USA und in Brüssel mit Wanzen ausgestattet, um sich strategisch gezielter auf internationale Verhandlungen vorbereiten zu können. Damit sind die kriegerischen Auseinandersetzungen in den virtuellen Raum der Politik vorgedrungen. Das hat mit Terrorabwehr nichts mehr zu tun.

Spätestens seit George Orwell kennen wir die Schreckensbilder eines totalitären Überwachungsstaates.

Im Rahmen der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA möchten die Amerikaner den Artenschutz für Wanzen und den freien Zugriff auf Unternehmensdaten durchsetzen. Die Gewinnung von Informationen und deren Vorratsspeicherung sind alternativlos, um die Vorteile aus dem Abkommen langfristig abzusichern. Im englischen Sprachraum wird das Akronym „TINA“ sinngemäß verwendet. Der Slogan there is no alternative wurde von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher in der Anfangszeit ihrer Regierung verwendet, um ihre Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu legitimieren, die durch wirtschaftsliberale Reformen bei konservativen Gesellschaftsvorstellungen geprägt war. Passt schon! Denn bezeichnenderweise heißt die jüngste Partydroge „TINA“, die seit einiger Zeit in amerikanischen Nachtclubs im Umlauf ist und der Selbstdisziplin ein Ende setzt.

Aus den vom amerikanischen Whistleblower Edward Snowden öffentlich gemachten Geheimdienstakten geht hervor, dass der britische Geheimdienst GCHQ noch schlimmer wütet, als die US-Kollegen. Die Sherlock Holmes der Neuzeit haben der weltweiten Kommunikationsgesellschaft “des Kaisers neue Kleider“ verordnet, indem sie täglich 600 Millionen Telefonverbindungen abzweigen und auswerten.

Nur Gott ist weiter, denn der kann auch die Gedanken lesen – in allen Sprachen dieser Welt.

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