Avantgarde gestern und heute

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Westfalen – Bis zum 3. Juni präsentiert das Kunstmuseum Ahlen eine ambitionierte Doppelausstellung: “Treffpunkt und Topos: Schloss Dilborn 1911 bis 1931” und “wie gemalt. Bildner im 21. Jahrhundert”. Diese Doppelausstellung zeigt das Malerische in der Kunst heute und vor 100 Jahren. Sie schlägt einen spannenden Bogen zwischen den Avantgarden des 20. und des 21. Jahrhunderts und ermöglicht einen direkten Vergleich malerischer Positionen, die zu ihrer Zeit neue Wege bei der Suche nach den Möglichkeiten des Bildes beschreiten.

Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2012 – Stefan Fahrnländer: Neophyten 1, 2008, Pigmentdruck auf Satinpapier

Die Maler aus dem Umkreis des Rheinischen Expressionismus, die sich auf Schloss Dilborn trafen, dem Wohnsitz des Künstler-Ehepaares Heinrich Nauen und Marie von Malachowski, entwickelten aus dem innigen Erleben der Natur und Landschaft am Niederrhein neue Farbklänge und Formen für ihre Malerei und Grafik. Das Verhältnis zeitgenössischer Künstler, deren Werke in der Ausstellung „wie gemalt“ gezeigt werden, zur sie umgebenden Welt ist indessen weniger direkt. Dies ist vor allen Dingen in der Verwendung digitaler bildgebender Verfahren begründet. Die Bilder entstehen nicht mehr allein aus der Auseinandersetzung mit der Außenwelt, sondern hängen zu einem erheblichen Maß von den Möglichkeiten der Apparate ab. Es entstehen virtuelle, teils sehr real scheinende, teils unwirklich anmutende Bildwelten, die sich auf komplexe Weise auf tradierte Sehgewohnheiten beziehen. Trotz der neuen technischen Möglichkeiten weist ein Großteil dieser Arbeiten dennoch Anklänge an das Malerische auf – sie wirken „wie gemalt“. Das Malerische ist in der Kunst der Gegenwart also längst nicht mehr an die Verwendung von Pinsel und Farbe gebunden, sondern tritt im Verbund mit Computerkunst, Fotografie, Grafik, Skulptur und Installation gattungs- und medienübergreifend auf. Dabei bewegen sich die Arbeiten der im Kunstmuseum Ahlen ausgestellten Künstlerinnen und Künstler innerhalb traditioneller Genres wie Landschaft, Stillleben und Interieur, auf die sie, wenngleich auf irritierende oder vielfach gebrochene Weise, explizit verweisen.

Foto: Kunstmuseum Bonn – Helmuth Macke: Schloss Dilborn, 1919, Aquarell

Auch die Maler von Schloss Dilborn waren noch diesen traditionellen Bild-Genres verhaftet. Aus der idyllischen Umgebung von Schloss Dilborn ließen sie sich vor allem zu Landschaften, Stillleben und Interieurs inspirieren. Intensive Farbigkeit, eine vereinfachte Formensprache und ein spontaner Pinsel- oder Zeichenstrich sollten dem Betrachter die Empfindungen im Angesicht der Natur möglichst unvermittelt zugänglich machen. Damit stießen die jungen Künstler bei Galeristen und Museumsleuten zunächst überwiegend auf Unverständnis und organisierten sich in Gruppen wie dem Kölner Sonderbund, um ihre Kunst mit Ausstellungen, Mappenwerken u.a. publik zu machen. Ähnliches treibt die Künstler der Ausstellung „wie gemalt“ an: Da ihre Kunst nicht eindeutig einer der traditionellen Gattungen zugeordnet werden kann, die noch immer vielfach Gültigkeit besitzen, fällt sie nicht selten durch das Raster von Kuratoren, Kunsthistorikern und Galeristen. Die Idee zur Ausstellung „wie gemalt“ haben zwei der beteiligten Künstler, Stefan Fahrnländer und Christina Paetsch, kurzerhand selbst entwickelt, um zu zeigen, welche neuen Wege, Bilder zu schaffen, gegenwärtig beschritten werden können.

Die Doppelausstellung im Kunstmuseum Ahlen will die Bestrebungen von Avantgarde-Künstlern heute und vor 100 Jahren, zu neuen Bildern zu gelangen, vor Augen führen. Dazu greifen kleine Interventionen der Zeitgenossen in die nach den klassischen Bildsgenres organisierte Ausstellung „Schloss Dilborn“ ein. So wird offensichtlich, welche Landschaftsbilder, Stillleben und Interieurs vor dem Hintergrund heutiger Bildwelten im Vergleich zu denen der Klassischen Moderne möglich sind, wie die Traditionen der Bildorganisation, der Komposition, der verwendeten Materialien und nicht zuletzt des Malerischen selbst weitergeführt, transformiert und teils auch auf den Kopf gestellt werden. Die gleichzeitige Präsentation von expressionistischer Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Werken der Gegenwartskunst in dieser Doppelausstellung entspricht der Programmatik und der Sammlungstätigkeit des Kunstmuseums Ahlen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Brüche und Kontinuitäten zwischen der Klassischen Moderne und zeitgenössischen Kunstäußerungen offen zu legen.

 

Kunstmuseum Ahlen / Museumsplatz 1 / Weststraße 98 / 59227 Ahlen
Telefon: 0 23 82 / 91 83 0
www.kunstmuseum-ahlen.de

 

Öffnungszeiten:
Di, Mi, Fr 14 -18 Uhr
Do 14 – 20 Uhr
Sa, So und Feiertage 11 – 18 Uhr
Mo geschlossen

 

Comments

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Geuking,
    der Artikel “Avantgarde gestern und heute” vom 4.4.12 in Ihrer Zeitschrift hat mich sehr gefreut, da der oder die Verfasserin (???) sehr eingehend unsere Ausstellung studiert hat, was mich sehr freut. Eine so eingehende Betrachtung findet sich selten. Herzlichen Dank! Ist es Ihnen möglich, mir ein Exemplar dieser Ausgabe von “Westfalium” mit diesem Artikel zu senden? Ich würde mich freuen.
    Mit herzlichen Grüßen nach Münster
    Stefan Fahrnländer

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