Um Glauben und Überzeugungen kämpfen: Der Kirchentag 2018 in Münster hat meine Erfahrungen mit dem Kampf um Glauben und Überzeugungen wieder wachgerufen. Der Kiepenkerl blickt auf sein bewegtes und abwechslungsreiches Leben zurück.
Physiker und Geologen sind zwar sicher, dass der Glaube keine Berge versetzen kann. Doch die übersinnlichen Kräfte des Glaubens können Placebos zu Heilmitteln machen. Ältere Menschen glauben, dass früher alles besser war. Das stimmt, denn damals brauchte man keine Abiturnote mit einer Eins vor dem Komma, um einen Studienplatz an der Hochschule seiner Wahl zu bekommen. So konnte ich in Freiburg und Münster problemlos studieren.
Bei meinem Wechsel von Freiburg in die lebenswerteste Stadt der Welt (Städtewettbewerb 2004: „International Awards for Liveable Communities“) charakterisierte der Volksmund Münster mit der Redensart: „Entweder regnet es in Münster, oder es läuten die Glocken. Geschieht beides gleichzeitig, dann ist Sonntag.“
Wenn es um den Glauben geht, nennt ein antikatholisches Klischeebild Münster als Steigerung von schwarz: „Schwarz, Münster, Paderborn“. Doch Münster hat nach meiner Erfahrung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, dieses Negativbild zu tilgen.
Schließlich begann in Münster das Glück unserer 60-jährigen harmonischen Ehe mit dem Zusammentreffen einer Damenmannschaft aus Angelmodde und einer Truppe von WISO-Studenten der Universität. Die Teams spielten 1958 auf dem Minigolf-Platz der Gaststätte „Strandhof“ in Angelmodde.
Das anschließende Bratkartoffelverhältnis bei unserer zukünftigen Schwiegermutter Berna Krüger war ein Doppelgewinn, denn Studienfreund Otto Meynen und ich führten die Töchter Hannelene und Erika zum Traualtar.
Vor unserer Hochzeit vereinbarte Mutter Berna für mich einen Termin bei Onkel Bernhard. Bernhard Kötting war Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster und Rektor der Universität.
Nach einem Small Talk brachte Onkel Bernhard es auf den Punkt: „Dir ist doch klar, dass Du vor der Hochzeit konvertieren musst.” Das lehnte ich kategorisch ab, räumte aber ein, dass die Kinder im katholischen Glauben erzogen werden. Diese Zusage reichte Onkel Bernhard nicht, sodass er das Gespräch abrupt beendete.
Nach diesem unökumenischen Auftritt konvertierte Eri zum evangelischen Glauben, um Glaubensfragen aus unserer Ehe fernzuhalten.
Nach meinem Examen als Dipl.-Kfm. war die Wahl des Arbeitsplatzes ein Selbstläufer, denn während des Zweiten Weltkriegs waren kaum Studenten im Studiengang „Betriebswirtschaftslehre“ ausgebildet worden.
Das veranlasste meine Frau zu der unmissverständlichen Ansage: „Du kannst hingehen, wohin Du willst – vorausgesetzt wir bleiben in Münster.“ Das hat prima geklappt. Zunächst dockte ich als Revisor für Sonderaufgaben bei der Westfälischen Central-Genossenschaft (heute AGRAVIS Raiffeisen AG) in Münster an.
Nach der Hochzeit bauten wir das Haus der Schwiegermutter um und erweiterten es durch einen Anbau, nachdem wir Hannelenes Erbteil ausgezahlt hatten.
Unsere älteste Tochter meldeten wir in der Gemeinschaftsschule an, die sich direkt gegenüber unseres Wohnhauses im Gebäude der katholischen Grundschule befand.
Als ich erfuhr, dass die CDU im Gemeinderat den Bau einer Mauer auf dem Schulhof beantragt hatte, weil es den katholischen Kindern nicht zumutbar sei, in den Pausen den Schulhof mit den evangelischen Schülerinnen und Schülern zu teilen, entschloss ich mich, in die FDP einzutreten und gegen die Pläne der CDU Stimmung zu machen. Um den Dauerstreit zu beenden, wurde mit Unterstützung von Kultur-Staatssekretär Ernst-Günter Herzberg, der als FDP-Mitglied in Angelmodde wohnte, im östlichen Stadtteil eine Gemeinschaftsschule errichtet.
Trotzdem meldeten wir unsere zweite Tochter wegen der räumlichen Nähe in der katholischen Grundschule an, denn zu der zwei Kilometer entfernten Gemeinschaftsschule fuhr kein Bus.
Da ich durch meine politische Tätigkeit im Stadtteil bekannt war, wurde ich zum Klassenpflegschaftsvorsitzenden der katholischen Grundschule gewählt. Das sorgte für helle Aufregung.
Um eine weitere konfessionelle Panne zu verhindern, durften wir unsere jüngste Tochter nicht in der katholischen Grundschule anmelden. Erst nach der Intervention des Kultur-Staatssekretärs stimmte der Stadtschulrat der Aufnahme unserer Tochter zu. Wir hatten kein Problem damit, dass sie als einziges evangelisches Kind im Religionsunterricht in der letzten Reihe malen durfte.
Für meine Frau brach eine Welt zusammen, als ich nach zwei Jahren das Arbeitsverhältnis bei der WCG ohne Vorwarnung gekündigt hatte. Der Schritt war die moralische Konsequenz nach meiner Weigerung, dem Chef der WCG geschönte Zahlen zur Durchsetzung einer millionenschweren Großinvestition zu liefern. In einem kurzfristig anberaumten Gespräch verabschiedete ich mich mit den Worten: „Herr Generaldirektor, ich werde mich nicht zum Handlanger für eine gigantische Fehlinvestition machen und kündige hiermit zum frühestmöglichen Termin.“
Der anschließende Wechsel zur Sauerstoffwerk Westfalen AG (heute Westfalen AG) erwies sich als beruflicher Glücksfall, denn ohne den Wunsch meiner Frau hätte es meine 40-jährige traumhafte Karriere bei der Westfalen AG in Münster nicht gegeben.
Doch nach dem Vorstellungsgespräch beim Personalchef der Westfalen AG sah es gar nicht danach aus. Der gelernte Panzerkommandant fragte nämlich: „Haben Sie gedient? Sind Sie katholisch? Sind Sie bei der Barmer Ersatzkasse versichert?“ Nachdem ich die Fragen mit „nein“ beantwortet hatte, war das Gespräch praktisch gelaufen.
Doch meine Bewerbungsunterlagen hatten das Interesse des Vorstandsvorsitzenden der Familien-AG geweckt.
Nach einem dreistündigen Gespräch engagierte er mich per Handschlag. Dabei stellte er süffisant fest: „Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass ich einen evangelischen Leiter des Rechnungswesens eingestellt habe. Doch die Rotation nehme ich in Kauf.“
Vor meiner Berufung in den Vorstand wurde die Glaubensfrage noch einmal akut. In der Unternehmenssatzung stand nämlich: „Vorstände müssen aus der Familie stammen und katholisch sein.“ Einer Adoption hätte ich zur Not zugestimmt – nicht aber der Konvertierung.
Ich konnte erst zum Vorstand bestellt werden, nachdem die Eingangsvoraussetzungen für Vorstände auf Vorschlag des Aufsichtsrats in der Satzung gestrichen wurden.
Zu Beginn eines Berufslebens hat man sich zu entscheiden. Entweder erzählt man jedem, was man kann, oder man überzeugt durch Leistung. Ich habe mich für den zweiten Weg entschieden.
Bei den über 40 Unternehmenskäufen, den 10 Übernahmen von Teilbetrieben und den 11 Firmengründungen, die ich erfolgreich und zügig in die Westfalen AG integrieren konnte, half mir das Gebet des US-amerikanischen Theologen, Philosophen und Politikwissenschaftlers Reinhold Niebuhr:
„Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Die Westfalen AG ist in der Zeit meiner Tätigkeit von einem regionalen zu einem bundesweiten Anbieter und zu einem gewichtigen Konkurrenten im europäischen Ausland geworden.
Ohne die erfolgreich integrierten Unternehmen, das exzellente Betriebsklima sowie die motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre das nicht möglich gewesen. Entscheidend für den Erfolg war auch das großartige Engagement der Geschäftsleitungsmitglieder, die ihre fundierten Kenntnisse über die Märkte ihrer Geschäftsbereiche einbrachten.
Ich habe die Erfahrung gemacht: „Wenn man einen Beruf gewählt hat, der einem Freude bereitet, braucht man im Berufsleben nicht mehr zu arbeiten, denn es ist pure Freude.“ Durch meine Leistung konnte ich dazu beitragen, dass der Unternehmensumsatz von 35 Mio. DM bei meinem Eintritt auf 1,5 Mrd. DM (ca. 750 Mio. Euro) bei meinem Ausscheiden gestiegen ist und die Familie der Shareholder auf Platz 524 der Reichsten-Liste in Deutschland stand.
Als Rentner baute ich in Angelmodde die Stadtteilinitiative „Von Mensch zu Mensch“ auf. Ziel war es, dass ältere Menschen durch ehrenamtliche Unterstützung möglichst lange in der eigenen Wohnung leben können. Mir war wichtig, dass die Arbeit überkonfessionell ausgerichtet war.
Als das katholische Bistum Münster die Gemeinden Gremmendorf (St. Ida), Angelmodde (St. Bernhard) und Wolbeck (St. Nikolaus) zusammenfasste, sollten auf Wunsch von Pastor Jörg Hagemann die drei Teilgemeinden ehrenamtlich „Kleine Dienste“ anbieten. Ich empfand das nicht als Konkurrenz zu „Von Mensch zu Mensch“, sondern als Bereicherung der ehrenamtlichen Diakonie.
Doch als ich im Gemeindebüro von St. Bernhard wieder Prospekte „Von Mensch zu Mensch“ auslegen wollte, sagte die Sekretärin: „Die brauchen wir nicht mehr, denn Stadtdechant Jörg Hagemann hat angewiesen, dass die ehrenamtlichen Hilfen jetzt in Eigenregie der katholischen Kirche organisiert werden.“
Als mein Versuch scheiterte, mit den 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterhin überkonfessionelle Hilfe anzubieten, legte ich mein Amt nieder. Daraufhin wurde die Arbeit „Von Mensch zu Mensch“ wegen fehlender Führung eingestellt.
Schnell sprach sich in Angelmodde herum: „Bischof Dr. Felix Genn hat mit Pfarrer Jörg Hagemann keinen Samariter in die zusammengelegten Großgemeinden entsandt!“
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