Bauchgefühl und Schlagfertigkeit nutzen dem Kiepenkerl

In manchen Situationen erweisen sich Bauchgefühl und Schlagfertigkeit als goldrichtig. Das gilt auch im Wirtschaftsleben.

Bauchgefühl und Schlagfertigkeit nutzen Kiepenkerl

Langes Nachdenken hilft bei Entscheidungen nicht immer: Oft wissen Intuition und Bauchgefühl schon die Lösung – Foto Pixabay

Schlagfertig ist nicht, was man sagen würde, wenn man noch einmal in dieser Situation wäre. Als schlagfertig gilt jemand, der auf eine unerwartete Gesprächssituation oder Frage treffend und witzig reagieren kann. Die Überraschung eines schlagfertigen Einwurfs erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine stockende Kommunikation in einer lockereren Atmosphäre fortgesetzt werden kann. Der Angegriffene lenkt die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf sich und schafft Anschluss in einer Situation, die nicht auf Kompromiss angelegt ist. Eine schlagfertige Pointe ist eine Art „Notschalter“, der dafür sorgt, dass die Kommunikation weiterfließt.

Ein Paradebeispiel für Schlagfertigkeit ist die angebliche Reaktion von Winston Churchill: Bei seiner Rede im Unterhaus rief eine oppositionelle Hinterbänklerin: „Wenn ich mit dem Mann verheiratet wäre, würde ich ihm Arsen in den Kaffee geben.“ Darauf Churchill: „Und wenn ich mit der Dame verheiratet wäre, würde ich ihn trinken.“

Mir erging es ähnlich: Bei einem wichtigen Unternehmenskauf bestand der Wirtschaftsprüfer der Verkäuferseite vehement darauf, eine Zwischenbilanz zum Übergabetermin zu erstellen. Das Thema erledigte sich unvermittelt durch meine Anmerkung: „Einverstanden, wenn Sie die dadurch unnötigerweise entstehende Gewerbesteuer übernehmen.“ Durch diese spontane Reaktion erlangte ich auch die Oberhand in anderen steuerrelevanten Fragen, die sich zwangsläufig in solchen Verhandlungen stellen.

Bauchgefühl und Schlagfertigkeit nutzen Kiepenkerl

Auf sein Bauchgefühl kann man sich meistens verlassen – Foto Pixabay

Schlagfertigkeit und Bauchgefühl gelten als übersinnliche Eingebungen, die nicht den Gesetzen der Logik entsprechen. Bei der Entscheidungsfindung folgen sie eigenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln. Das Bauchgefühl ist häufig effektiver und schneller als der Verstand. Nach Aussagen führender Neurologen und Psychologen braucht die intuitive Intelligenz für eine Entscheidung lediglich 200 Millisekunden.

Gehirnforscher liefern folgende Erklärung für die Geistesblitze und das Bauchgefühl: Von Geburt an bewertet der Mensch alle Erlebnisse und legt sie im Gehirn als positiv oder negativ ab. So entsteht ein gigantischer Wissensfundus, auf dessen Basis unser Gehirn Faustregeln für die Fähigkeit bildet, unter Stress zu denken und spontan zu reagieren. Die Intelligenz des Unterbewusstseins liegt darin, dass es weiß, welche Regeln in welchen Situationen vermutlich passen. Dieser Autopilot funktioniert schneller, als wenn wir alle Fakten und Faktoren in die Entscheidung einbeziehen.

Die mangelnde Bereitschaft von Führungskräften, Verantwortung zu übernehmen, hat in der Wirtschaft dazu geführt, dass wichtige Entscheidungen in ermüdenden Teamsitzungen gefällt werden. Der Grund ist, dass Vorgesetzten die Fähigkeit fehlt, intuitiv die Chancen der eigenen Position einzuschätzen – ihre Risikoabwehr ist zu dominant. Hinzu kommen mangelndes Faktenwissen und fehlende Markterfahrung von Aufsteigern, die bereits die letzte Stufe der Unfähigkeit erreicht haben.

Bauchgefühl und Schlagfertigkeit nutzen Kiepenkerl

Entscheidungen sind oft blitzschnell getroffen – Foto Pixabay

Unser Urvertrauen kann auch zu Fehlurteilen verleiten. Das gilt vor allem für die Einschätzung neuer Bekanntschaften oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so lange nicht alle Details der Persönlichkeit bekannt sind. Deshalb ist es unverzichtbar, den ersten Eindruck, den das Bauchgefühl liefert durch später erkennbare Details kontinuierlich zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Je mehr Erfahrung jemand mit intuitiven Entscheidungen hat, je bekannter die Umgebung ist und je absehbarer die möglichen Auswirkungen auf die Entscheidung sind, desto mehr sollte er der Intuition folgen.

Forscher der Universität Florida baten die Mütter bei Krankheiten ihrer Kinder und die behandelnden Ärzte um eine Spontandiagnose. Ergebnis: Die besorgten Mütter trafen zu 90 Prozent ins Schwarze – die fachkundigen und abwägenden Ärzte lagen nur bei 50 Prozent.

Meine Verhandlungen über Unternehmenskäufe habe ich in mehr als 40 Fällen erfolgreich abgeschlossen. Auch bei der Abschätzung von Risiken und Entwicklungschance lag ich im grünen Bereich. Eine Niete habe ich nie gezogen. Dabei halfen mir die frühen Möglichkeiten, Menschen intuitiv einzuordnen zu können.

Im Rahmen einer Unternehmensbewertung sind die Geschäftszahlen unverzichtbar. Es gibt unzählige Bücher und Veröffentlichungen über die Entscheidungsfindung anhand von Zahlen und Fakten. Doch in Verhandlungen über einen Unternehmenskauf sind die Personen hinter den Zahlen häufig wichtiger für die schulmäßige Bewertung der Zahlen und die zielführenden Fragen zu Verträgen, Unternehmensführung oder zur konkreten Absicherung der Geschäftsprozesse. Schließlich geht es darum, frühzeitig zu erkennen, ob ein Unternehmen auf Verschleiß geführt wurde, um vor dem Verkauf noch hohe Gewinne einzufahren. Entscheidend für den Erfolg einer Akquisition war aber auch, die steuerlichen Möglichkeiten zur Ergebnisoptimierung zu erkennen und die Haftungsrisiken der Verkäufer für die Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Zahlen für den Kaufvertrag auszuformulieren.

Zum Glück habe ich früh gelernt, Menschen intuitiv einzuordnen, auf mein Bauchgefühl zu hören und in „geistigen Schubladen“ abzulegen. Ganz entscheidend für dieses Hilfsmittel war jedoch, nach jedem Gespräch oder Kontakt zu prüfen, ob die Einordnung des Gesprächspartners in eine höhere oder niedrigere „Schublade“ geboten ist.

Beim Überlebenskampf nach dem zweiten Weltkrieg ging es mir zunächst um die zutreffende Einschätzung der Gebefreudigkeit von Bauern oder deren Bereitschaft, Erntehelfern einen lohnenden Einsatz zu ermöglichen. Ab dem 16. Lebensjahr habe ich in sämtlichen Ferien als Aushilfskraft Geld in verschiedenen eisenverarbeitenden Betrieben verdient. Da unser Vater im Krieg gefallen war, reichte die kleine Rente unserer Mutter nicht für Zusatzwünsche. Bei diesen Jobs war es wichtig, schnell selbstlose Kollegen für die Unterstützung bei der Einarbeitung zu identifizieren, um im Akkord die gewünschte Leistung erbringen zu können. In der Wirtschaftsoberschule galt es, die passenden Mitschülerinnen und Mitschüler zu finden, die beim Ausgleich von Defiziten halfen. Denn in den 1950er Jahren war der Übergang von der „Mittleren Reife“ zum Abitur in den Lehrplänen nicht vorgesehen.

Das Sprichwort „Früh übt sich, was ein Meister werden will” ist ein Zitat aus dem Drama „Wilhelm Tell” von Friedrich Schiller. Es empfiehlt, dass sich jemand bereits in der Jugend bemühen soll, wenn er etwas „meisterhaft” beherrschen will. Dieses Zitat kannte ich damals noch nicht. Trotzdem hat das geschulte Bauchgefühl meinen Werdegang ein Leben lag begleitet – das gilt für die intuitive Entscheidung für meine Frau, sowie die Entscheidungen in wichtigen unternehmerischen Fragen.

Als ich beim ersten Arbeitgeber geschönte Zahlen für eine millionenschwere Investitionsentscheidung liefern sollte, habe ich in dem Gespräch spontan gekündigt. Schließlich konnte ich die Haltlosigkeit der gewünschten Zahlen einschätzen, denn ich war Controller der defizitären Tochtergesellschaft.

Die spontane Kündigung aus einem Bauchgefühl heraus in Verbindung mit dem Gewissen ermöglichte mir eine beispielhafte Karriere bei der Westfalen AG – Gott sei Dank.

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