Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe: Das Land zwischen Osning und Exter hat so manchen Helden hervorgebracht. Man denke nur an Hermann, den Cherusker, der in der Varusschlacht drei römische Legionen besiegte. Sind dies auch ehrenwerte Taten – so sind sie doch nichts gegen das Wirken der lippischen Heldin, der Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe, die bis heute in Lippe und drumherum einen formidablen Ruf genießt. Zu Recht!
Ein grandioses Fest erwartete im Januar 1796 auf dem Bolkenberg bei Belle (heute Horn-Bad Meinberg) das frisch verheiratete Fürstenpaar Pauline und Leopold I.: „In der Nähe einer Eiche war auf der Höhe des Berges ein Tempel errichtet. Er war in der Form einer Rotunde erbauet und hielt im Durchmesser 58 Fuß. Die Seitenwände waren 12 Meter hoch. Sie waren oben mit 12 bemoosten Statuen geschmückt, welche teils die Freude, teils die Gewerbe des Amtes bezeichneten … Alle diese Gruppen waren lebendige Kinder, mit Moos bekleidet. Am Ein- und Ausgang der Rotunde, durch welche der Weg ging, standen zwei hohe grüne Pyramiden.“ So heißt es in einem Bericht über die Feierlichkeiten des jungen Paares, dessen Glück nur kurze Zeit dauern sollte: Das von der Bevölkerung des Fürstentums Lippe so begeistert gefeierte Regentenpaar Leopold I. und Pauline sollte nur sechs Jahre gemeinsam an der Spitze des Landes stehen.
Nach dem frühen Tod des Fürsten Leopold im Jahr 1802 übernahm Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe die alleinige Regentschaft des Fürstentums Lippe und übergab sie erst 1820 kurz vor ihrem Tod an ihren Sohn, Erbprinz Leopold II. Bis dahin sollte Fürstin Pauline, die am 23. Februar 1769 als Prinzessin Paulina Christine Wilhelmine von Anhalt-Bernburg in Ballenstedt (unweit von Quedlinburg) als zweites Kind des regierenden Fürsten Friedrich Albrecht und seiner Frau Louise Albertine geboren wurde, einiges erleben – und sogar mit Napoleon zusammentreffen! Insofern ist es nicht verwunderlich, dass ihr Name bis heute in Lippe einen guten Klang hat, sorgte sie doch mit nachdrücklichem Engagement dafür, dass das Fürstentum Lippe die Wirren der Napoleonischen Kriege überstand und nicht von der Landkarte verschwand.
Schon früh band der Vater Pauline in die Erledigung der Regierungsgeschäfte ein. Mit 13 Jahren bereits erledigte sie die französischsprachige Korrespondenz, mit 24 Jahren wurde sie „Geheimsekretärin“ des Vaters, mit dem sie sich aber kurze Zeit später überwarf und das Amt niederlegte. In einem Gedicht fasste sie ihre Zukunft zusammen: „Von Politik will ich entfernt gern bleiben,/ Will keinem Unrecht thun, kein Todesurtheil schreiben;/ Der Menschheit leises Wohl ist jedes Wesens Pflicht:/ Regentin aber bin, Regentin werd‘ ich nicht.“
Doch es sollte anders kommen. Der Vater machte sich Gedanken um die Heirat der Tochter, was dieser nun offenbar gar nicht gefiel. Das war scheints auch der Grund des familiären Zerwürfnisses. Leopold hatte bereits zuvor um ihre Hand angehalten, sie hatte aber abgelehnt. Ebenso erging es zwei weiteren Bewerbern. Doch schließlich kam es zur Verlobung mit Leopold, „aus vernünftigen Überlegungen heraus“, wie Pauline in einem Brief schrieb.
Ihre Meinungsänderung wird nachvollziehbar, wenn man weiß, dass Leopold, der 1789 Nachfolger seines verstorbenen Vaters geworden war, an einer sich verschlimmernden Geisteskrankheit litt und ihm bereits ein Jahr später die Regierungsgeschäfte wieder entzogen wurden und er unter Vormundschaft gestellt wurde. 1794 hatte sich Leopolds Zustand aber deutlich gebessert. Um seine volle „Souveränität“ als Fürst wiederzuerlangen, bedurfte es noch einer Eheschließung.
Leopold unternahm also einen weiteren Anlauf, um Pauline zu ehelichen – und die sah nun die Chance, „aus vernünftigen Überlegungen“ Schloss Bellenstedtund ihren Vater zu verlassen. Heute würde man salopp sagen: Dem Paar bot sich durch eine Heirat eine willkommene „win-win-Situation“. Von einer „Liebesheirat“ ist wohl
eher nicht zu sprechen … Wie es sich in Adelskreisen gehört, gab es auch einen Ehevertrag. Jener sah vor, dass Pauline im Falle des Ablebens des Fürsten die vormundschaftliche Regentschaft in Vertretung eines minderjährigen Prinzen übernehme. Allerdings bedurfte dieser Passus noch der Zustimmung der Ständeversammlung. Pauline übernahm fortan die Aufgaben des Kabinettsekretärs und vertrat ihren Mann, da dieser des Öfteren wegen seiner offenbar wiederkehrenden Krankheit nicht die Staatsgeschäfte führen konnte. Pauline vertrat ihn scheints bestens. Jedenfalls zogen die Stände ihren Einspruch gegen die im
Ehevertrag festgelegte Vormundschaftsregelung zurück – und baten sie, sich im Falle der Minderjährigkeit des Nachfolgers zur Vormünderin und Regentin einsetzen zu lassen.
Am 6. November 1796 kam Erbprinz Paul Alexander Leopold zur Welt, ein gutes Jahr später Sohn Friedrich Albrecht August. Ein schwerer Schicksalsschlag traf Pauline im Juli 1800, als ihre Tochter nach der Geburt starb. Ein Jahr später brach sich die Krankheit bei Fürst Leopold wieder Bahn. Er bestätigte seine Frau als vormundliche Regentin, ehe er in geistige Verwirrung verfiel. Er starb am 5. April 1802.
Damit begann die „große“ Zeit der Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe: Mit Engagement und zielgerichtet ging sie die grassierenden sozialen Probleme im Land an, las viel und machte sich intensiv Gedanken um die Organisation der Armenpflege, wiewohl ihre Ausgangsthese nach heutigem Verständnis eher abstrus anmutet, sah sie doch die Hauptquelle aller Armut im lippischen Volkscharakter mit seinem Hang zu Trägheit und Nichtstun begründet. Ihre Schlussfolgerung lässt sich auf die kurze Formel bringen: Arbeit statt Almosen für die Armen!
Schon 1798 hatte sie quasi im Auftrag Leopolds Maßnahmen zur „Hebung des Erwerbsfleißes im Land“ eingeleitet mit dem (durchaus modern klingenden) Ziel, Jugendliche aus armen Familien von der Straße zu holen und sie auf den Beruf vorzubereiten. In gewisser Weise ist ihre „Erwerbsschule“ der „Prototyp“ der späteren
Berufsschule. Pauline zahlte die Gehälter der Lehrerinnen sowie die Schulbücher aus der eigenen Kasse.
Ihre diesbezüglichen Erfahrungen fasste sie 1802 in einem Traktat zusammen mit dem Titel „Notwendiger Verband der Armen und Arbeitsanstalten, als eine Beleuchtung des Wirkungskreises einer Armenkommission“. Und in eben diesem Jahr gründete sie eine „Aufbewahrungsanstalt für Kinder“, zu Recht als erster Kindergarten Deutschlands bezeichnet, sowie ein Krankenhaus für Pflegebedürftige. Insgesamt sechs selbstständige Einrichtungen (darunter das schon etwa 80 Jahre zuvor gegründete Waisenhaus und das Lehrerseminar) bildeten fortan die „Pflegeanstalt“im ehemaligen Kloster.
Mit den Landständen, den adligen Landbesitzern und den Vertretern der Städte hatte sie zunächst offenbar keine größeren Probleme, bis es jedoch 1805 zum Eklat kam: Die Fürstin plante die Einrichtung einer Heilanstalt für Geisteskranke (vielleicht in Erinnerung an die Krankheit ihres Mannes Leopold?) und brauchte dafür Geld. Ihr Plan: Die Einführung einer Branntweinsteuer! Das war zu viel des Guten für die Landstände! Es kam zu erregten Diskussionen. Fortan berief Pauline, ganz absolutistische Regentin, die Landstände nicht mehr ein …
Sind die Wohlfahrtseinrichtungen der Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe schon beachtenswert, so ist ihre letztlich erfolgreiche Politik von dem Ziel geprägt gewesen, die Selbstständigkeit Lippes für ihren Sohn zu erhalten. Was in der Tat kein einfaches Unterfangen war, lag Lippe doch gewissermaßen mitten in den sich anbahnenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich, Preußen und Hessen. Pauline befürchtete wohl nicht zu Unrecht, dass Lippe im Laufe des Konflikts von einem seiner Nachbarn okkupiert werde, obwohl das Fürstentum Lippe in einer Schutzzone lag, die sowohl Frankreich als auch Preußen respektierten.
Pauline war der Ernst der Lage wohl bewusst. Sie hatte mit Johann Friedrich Wippermann (1761-1811) und seinem Bruder August (1773-1854) zwei fähige Beamte eingestellt, denen sie zeitlebens freundschaftlich verbunden war. Diese werden wohl auch die diplomatischen Kanäle bedient haben, die nötig waren, um Lippe durch diese dramatischen Jahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu führen.
Was war passiert? Napoleon hatte 1806 den Rheinbund gegründet, der schließlich de facto und de iure das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
herbeiführte. Was sollte das kleine Fürstentum Lippe tun, wie sollte es sich im Konzert der Großen verhalten? Pauline sah wohl angesichts der politisch-militärischen
Lage keine andere Möglichkeit, als in den Rheinbund einzutreten – wollte sie ihrem Sohn ein selbstständiges Fürstentum Lippe übergeben.
Insbesondere Johann Friedrich Wippermann scheint die diplomatische Klaviatur bestens beherrscht zu haben. Im August 1806 nahm jener, ausgestattet mit allen Vollmachten der Regentin und unter höchster Geheimhaltung, Verhandlungen über den Beitritt des Fürstentums in den Rheinbund auf. Johann Friedrich Wippermann war es auch, der mit der Fürstin Anfang 1807 nach Mainz reiste, als diese die Nachricht erhielt, dass Lippes Aufnahme in den Rheinbund unmittelbar bevorstehe. Pauline wollte dort Joséphine de Beauharnais, die Frau Napoleons, treffen. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb bestens – sicherlich auch, weil Pauline ja fließend Französisch parlieren konnte.
Es ist im Einzelnen nicht exakt überliefert, wieso Napoleon, der kein Interesse daran hatte, Kleinstaaten wie das Fürstentum Lippe bestehen zu lassen, das Land Lippe schließlich doch in den Rheinbund aufnahm. Datiert ist die entsprechende Urkunde auf den 18. April 1807. Eine weitere Reise führte Pauline, die alles detailreich in ihrem Tagebuch notierte, nach Paris, wo sie am Morgen des 25. Oktobers im Schloss Fontainebleau Kaiser Napoleon I. gegenübertrat. Das kurze Gespräch hat sie anschließend niedergeschrieben: Napoleon fragte nach der Einwohnerzahl Lippes und nach der Größe des lippischen Kontingents für die französische Armee. Über sein Aussehen hielt sie fest: „Mehrere Busten des Augusts (des römischen Kaisers Augustus), besonders einer im Musaeo, gleicht Napoleon auffallend.“
Drei Wochen später kam es zum Wiedersehen – beim Abendessen mit Konzert im Schloss. Anschließend wurden Spieltische aufgestellt und der Abend war lang: Pauline schrieb ins Tagebuch, dass sie erst um viertel vor eins zu Hause war!
Die Aufnahme in den Rheinbund ging einher mit der Rekrutierung lippischer Soldaten für die französische Armee. Doch inLippe waren die Zeiten von Hermann dem
Cherusker und seinen wehrhaften Mannen lange vorbei: Es kam sogar zu Unruhen im beschaulichen Lippe, Pauline geriet unter Druck, blieb aber an der Macht: Erbprinz Paul Alexander Leopold war erst elf Jahre alt!
Eine Welt brach für die Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 zusammen: Napoleons Sturz führte zu einem Zusammenbruch der Fürstin, der sich nur langsam besserte. Die Lipper feierten unterdessen das Ende des Krieges mit Straßenfesten …
Im November 1813 erklärte Pauline Lippes Austritt aus dem Rheinbund und kam, salopp gesprochen, mit einem blauen Auge davon. Der Wiener Kongress zementierte
schließlich 1815 die neue Ordnung in Europa – mit Lippe! Pauline hatte mit dem Eintritt in den Rheinbund tatsächlich den Bestand Lippes gerettet.
Bis 1820 regierte Powerfrau Fürstin Pauline zur Lippe weiterhin das Fürstentum, hatte aber immer wieder Reibereien und Auseinandersetzungen nicht nur mit den Preußen, sondern auch mit ihren Landständen. Deren Rechte waren mit dem Eintritt in den Rheinbund beschnitten worden – und sie forderten diese nach 1813 vehement zurück.
1820 wollte sich Pauline ins „Privatleben“ zurückziehen. Am 3. Juli jenes Jahres übergab sie im Beisein der Schwiegertochter das Zepter an ihren Sohn Paul Alexander Leopold. Was dann passierte, fasst ihr Biograf Hans Kiewning 1930 in zwei Sätzen zusammen: „Er spricht kein Wort, ist muffiger Laune und läßt sie stehen. Enttäuscht schaut sie ihm nach.“
Pauline wollte ihren Lebensabend im Lippehof, einem Barockschloss in Lemgo, verbringen. Doch schon am 29. Dezember 1820 starb sie an einer Lungenvereiterung.
Dabei hatte sie Pläne für die Jahre nach ihrer Regierungszeit, die allerdings schon 1811 zerstört worden waren – mit dem Tod ihres Freundes Johann Friedrich Wippermann. An seinen Bruder schrieb sie: „Ich habe meinen letzten nahen Freund verloren, und niemand soll und wird es wieder so werden. Der mir Frohsinn gab und Mut einflößte, ist vorangegangen. Ich stehe allein, ich habe keine Freuden mehr!“ – „Wenn alle Opfer der Pflicht gebracht wären, wollte Ihr Bruder da (in Schieder) mit mir leben und sterben. Wir wären dann alt genug gewesen, um uns über Geschwätz hinwegzusetzen. Es hat nicht sollen sein. Er ist seelig vollendet, ich bin allein, hier in Schieder, überall – bis zum kühlen Grabe!“ (Peter Kracht)
Lippisches Landesmuseum Detmold
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