Ein guter Brand gehört zum guten Ton. Der Steinhäger von Schlichte galt mit seinem beginnenden Siegeszug vor knapp 100 Jahren weltweit als „Der deutsche Schnaps“. Was vor über 250 Jahren mit einer Hausbrennerei begann, ist auch heute noch gelebte Tradition. Zwar ist die Hoch-Zeit des Steinhägers vorbei, doch gebrannt wird er heute immer noch – dank der Fusion mit der Kornbrennerei Schwarze zu Schwarze & Schlichte und auch dank des erfahrenen Brennmeisters Reinhard Nollmann, der seit über 50 Jahren dem Traditionsprodukt „Steinhäger“ in der Kornbrennerei in Steinhagen seine gleichbleibende Qualität verleiht.
Es braucht ein wenig Fingerspitzengefühl, um den Traditions- Brand genauso hinzubekommen wie er ist. Seit über fünf Jahrzehnten brennt Reinhard Nollmann den Steinhäger nach Original-Rezept. 1962 hat der 73-Jährige, der von Oelde knappe 30 Kilometer entfernt in Versmold lebt, in der Brennerei angefangen. Bis 1975 hat er dort gearbeitet und dann innerhalb der Firma zur Steinhäger- Destillation gewechselt. Hier werden seine Sinne Tag für Tag gefordert, sind sein gutes Auge und sein guter Geschmack gefragt. „Ja, man muss schon den richtigen Geschmack für den Steinhäger haben“, sagt er, der mit dem heimischen Schnaps aus der typischen Kruke groß geworden ist.
Schnaps lieber warm als kalt trinken
„Der Steinhäger war früher was Besonderes. Es gab ja auch nicht viele andere Sorten. Lediglich Wacholder, Steinhäger und vielleicht Korn. Selbstverständlich trinke ich auch immer noch Steinhäger“, gibt er zu verstehen, dass er sich mit dem, was er tut, auch identifiziert. Und nicht nur das: „Es ist entscheidend, den Steinhäger richtig temperiert zu trinken. Er darf nur Kühlschranktemperatur haben. Legt man ihn ins Eisfach, schmeckt man nur noch den Alkohol, aber nichts mehr vom Wacholder. Der Steinhäger wird heute oft zu kalt getrunken. Wir halten es da mit dem Sprichwort, dass man einen guten Schnaps auch warm trinken kann“, weist sich der Mann des edlen Tropfens nicht nur als Experte des guten Geschmacks aus, sondern auch als jemand, der gute Werte und Traditionen zu schätzen weiß. Davon zeugt auch das Tastentelefon mit dem großen Hörer auf dem einfachen Schreibtisch seines spartanisch eingerichteten Büros, das er immer wieder mal betritt, wenn einige Telefonate mit dem Vertrieb zu tätigen sind. Die hochprozentige Spirituose mit 38 „Umdrehungen“ genießt er natürlich maßvoll. Und dies nicht auf der Arbeit. Da muss zwar auch probiert werden, aber dabei handelt es sich um ein Destillat, und immer auch nur wenige Tropfen. „Man muss probieren und sehr genau arbeiten. Wenn ich während der Destillation der Dampfblase mehr Dampf oder weniger Wasser gebe, kommen schlechte Stoffe hoch. Das würde man beim Steinhäger schon rausschmecken.“ Der Destillierprozess muss genau beobachtet werden, um nicht den richtigen Zeitpunkt, wenn der Steinhäger gut ist, zu verpassen. „Darum heißt es immer: Obacht! Wenn man beim Destillieren ist, muss man dabei bleiben“, weiß Nollmann.
Schafe machten es vor 500 Jahren vor
Hochprozentiges ist schon seit dem Mittelalter als Medizin bekannt und auch heute ist die heilsame Wirkung von Alkohol – genießt man ihn in geringen Mengen – medizinisch nachgewiesen. Von so viel Theorie wussten die Schafe, die vor mehr als 500 Jahren am Südhang des Teutoburger Waldes weideten, nichts. Schäfer beobachteten, dass sie, wenn es ihnen schlecht ging, vergorene Wacholderbeeren aßen – mit positiver Wirkung. Was den Tieren gut tut, ist auch für den Menschen gut, dachten sich die Hirten, sammelten und pressten die Beeren und destillierten aus ihnen den Wacholderlutter, ein Heilmittel gegen Leib- und Magenschmerzen. Später versetzten sie das leicht alkoholische Konzentrat mit Kornalkohol und brannten es ein zweites Mal. Das war die Geburtsstunde des Steinhägers, jenes im Gegensatz zum Gin oder Genever doppelt gebrannten Wacholderschnapses, der bis heute in der Brennerei der Firma Schwarze & Schlichte in Steinhagen gebrannt wird.
Doppelt gebrannter Wacholderschnaps
Der Steinhäger ist ein reiner Wacholderschnaps. Er wird aus Neutralalkohol, Wacholderlutter, Kornsprit und Wasser destilliert. Im ersten Brennvorgang wird die Wacholder-Maische destilliert. Das Destillat durchläuft sodann die erste Kupferbrennblase. Auf dem Weg zum zweiten Brennvorgang werden ihm Alkohol und Wasser zugesetzt. Das nennt man Mazeration. Alles zusammen wird in der Steinhäger-Blase erhitzt und abdestilliert. „Zurück bleibt das reine Steinhäger-Destillat. Die so entstandenen 83 Vol.-% Alkohol werden dann auf die Trinkstärke von 38,2 Vol.-% heruntergesetzt“, erklärt Nollmann den Brennvorgang. Das derzeitige Trend-Getränk Gin werde übrigens ganz ähnlich hergestellt. Es besteht aus der gleichen Basis von Neutralalkohol und Wacholderlutter. Doch kommen hier bei der Destillation zusätzlich 13 Kräuter, die sogenannten Botanicals, hinzu. Überall im Büro und in der Brennerei stehen Messgläser, in denen zu bestimmten Zeiten des Brenndurchlaufs Proben abgefüllt werden. Zu seinem täglichen Handwerkszeug gehört neben den Kupferbrennblasen auch ein Schnelldampferzeuger. „Wir brauchen ja den Dampf zum Anheizen für die Brennblase. In dieser Blase sind Kupferschlangen, durch die der Dampf geschickt und die Flüssigkeit erhitzt wird. Die Alkoholdämpfe steigen dann nach oben in ein Rohr. Von da aus geht es in den Kühler, wo alles kondensiert“, beschreibt er. Sein Arbeitstag beginnt um sieben in der Früh. Zunächst werden die Steinhäger-Blasen gespült und gründlich gereinigt. Dann werden sie befüllt mit eben jenen Zutaten wie Neutralalkohol, Wacholderlutter, Kornsprit und Wasser. Es folgen das Erhitzen und Abdestillieren. Die Destillation verläuft in drei Stufen: dem Vorlauf, Mittellauf und Nachlauf. „Der Mittellauf ist das Herzstück der Produktion. Hieraus nehme ich ab einer gewissen Stärke eine Probe, um das Destillat auf Geschmack und Geruch hin zu prüfen.“ Es sind jene Qualitätskriterien, die ganz seiner Erfahrung obliegen. „Wenn es noch eine Weile braucht, läuft es weiter durch den Mittellauf. Sobald das Destillat gut ist, wird auf Nachlauf umgestellt“, so der Brenn-Experte. Insgesamt dauert die Destillation zwei Tage. Am dritten Tag kommt das Wasser zum Herabsetzen auf Trinkstärke hinzu und fertig sind 25.000 Liter Steinhäger, die pro Charge entstehen.
Tradition westfälischer Kornbrennereien
Die Firma Schwarze & Schlichte zählt heute zu den fünf ältesten inhabergeführten Unternehmen Deutschlands. Seit 1990 vereinen sich in der Familiengesellschaft Schwarze & Schlichte Markenvertrieb die Traditionen der westfälischen Kornbrennerei Friedrich Schwarze aus Oelde und der übernommenen Steinhäger- Brennerei aus Steinhagen. Ohne die Fusion der beiden Firmen vor knapp 30 Jahren würde es den Steinhäger in dieser Form wohl nicht mehr geben. Der „Schnaps der alten Leute“ hielt dem damaligen Konkurrenzdruck nicht stand. Dabei waren Kornbrände besonders in der Hochzeit der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in aller Munde. Die Vereinsmeierei war auf dem Zenit ihrer Zeit. Überall wurde gekegelt und am Samstagabend im Partykeller zur flotten Tanzmusik der Korn in Zinkbecher gefüllt. Gleich nach dem sonntäglichen Kirchgang wurde er beim Frühschoppen in der verrauchten Dorfkneipe nachgeschenkt. Immer mehr Billigprodukte drängten auf den Markt. Das war zu viel für den Steinhäger, zumal die Marke nicht geschützt war. Erst seit 1987 gibt es einen Herkunftsschutz für den Steinhäger. Als er komplett vom Markt zu verschwinden drohte, übernahm 1990 Schwarze die Produktion und Marken der Traditionsbrennerei von H.W. Schlichte in Steinhagen. Somit blieb der Original Schlichte Steinhäger erhalten.
Liebevolle Handarbeit in modernem Gewand
Heute zählt er zu einem immer weiter diversifizierten und breit angelegtem Portfolio mit internationalen Exportmarken. Die umfangreiche Produktpalette ermöglicht es Schwarze und Schlichte – selbst ein Traditionsunternehmen mit einer über 350-jährigen Geschichte – sich in einem schnell wandelnden Spirituosenmarkt optimal auf Einzel- und Sonderentwicklungen einzustellen. Über 20.000 Lebensmittelmärkte, Sternehotels und Feinschmeckerlokale werden von dem Familienunternehmen beliefert. Eine der aktuellen, schillernden Trend-Spirituosen ist der 2015 auf den Markt gekommene Friedrichs Dry Gin. Er steht für das Motto: Liebevolle Handarbeit in modernem Gewand. Und auch Nollmann weiß: „Heute reicht es nicht mehr aus, nur die Flasche in den Laden zu stellen. Werbung ist für den Verkaufserfolg immer wichtiger geworden.“ Der Steinhäger im Tonkrug hingegen – traditionsreiches Flaggschiff westfälischer Kornkunst – hält sich wacker wie die deutsche Eiche. Und wenn es nach Nollmann geht, wird er das auch bleiben: „Dass der Steinhäger mal verschwindet, kann ich mir nicht vorstellen“, lacht er, wohl wissend um das Sprichwort: Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren. Wohlsein.
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