Münster – Am morgigen Sonntag, den 16. Juni erlebt die Theater-Performance „Reichtum und heißes Wasser“ des Künstlers Thomas Nufer in der ehemaligen Eissporthalle Münster seine Uraufführung. Es wird wohl der letzte Auftritt der Eissporthalle als Location für eine Performance sein. Ende des Jahres soll sie endgültig abgerissen werden. Der Innenraum war bereits während der vergangenen Skulptur Projekte 2017 und im vergangenen Jahr vom Theater Titanick bespielt worden. Der unwirtliche Ort inspiriert irgendwie jeden, der über die Zukunft unserer Welt nachdenkt.
Es ist wie im wirklichen Leben: Selbst den antiken Göttern ist es nicht gelungen, eine gerechte Welt zu errichten, in der der Besitz auf der Erde gleich verteilt ist. Auch wenn sie behaupten, das immer wieder zu versuchen. Denn unter den Göttern herrschen Zwietracht, Missgunst und Spannungen ganz wie bei uns. Im Himmel ist die Hölle los.
Die Ungleichheit unter den Menschen ist Ursache für mannigfaltige Konflikte – zwischenmenschliche, aber auch internationale. Davon können wir uns buchstäblich an jeder Straßenecke überzeugen. Je nachdem auf welcher Seite wir stehen, können wir uns an unserem unverschämten Glück erfreuen oder über die Unverschämtheit der Besitzenden ärgern.
Dem Autor und Regisseur Thomas Nufer aus Münster ist diese Gemengelage ein Dorn im Auge. Ungerechtigkeit und das Missverhältnis von Arm und Reich treiben ihn um. In seinem neuesten Projekt „Reichtum und heißes Wasser“ hat der Tausendsassa Nufer das 390 vor Christus von Aristophanes geschriebene Stück über Plutos aufgegriffen, um sich Anregungen und Rat für unsere Welt zu holen. Nufers Projekt lebt von der überbordenden Fantasie seines Schöpfers. Die Umsetzung in der ehemaligen Eishalle bringt zudem Mitwirkende, Unterstützende, Projektpartner und Sponsoren unter eine Decke, die sich so etwas nie und nimmer haben träumen lassen. Alleine das ist bereits ein Glücksfall.
Thomas Nufer setzt nicht einfach die antike Vorlage um, sondern interpretiert sie in freier Weise und erschafft Bilder, die die Zuschauerinnen und Zuschauer inspirieren sollen. Die Gedanken sind frei. Gerne möchte der Künstler am Ende die Fäden wieder zusammen bringen. Deshalb fordert er das Publikum zu Auseinandersetzungen und Diskussionen heraus. Den unterhaltsamen Abend nur konsumieren, das soll nicht sein.
Vielleicht gelingt es, mit dem Stück „Reichtum und heißes Wasser“ Veränderungen anzustoßen. Nufer setzt die antike Vorlage in Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, besonders die zunehmende wirtschaftliche Spaltung in den westlichen Demokratien. In der Umsetzung des Stücks spielen Betroffene gemeinsam mit fünf professionellen Schauspielern gegen ihr eigenes Schicksal an. Der zehnköpfige Chor soll einen Querschnitt sozialer Gruppierungen spiegeln.
Mit Witz und schrägen Dienstleistungen konfrontieren etwa 30 weitere Beteiligte diejenigen, die (noch) nicht Opfer der Entwicklung sind. Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift ‚draußen‘ bieten die Programmhefte “drinnen” an und dürfen ein Teil des Erlöses behalten. Schüler einer Hauptschule – nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung und Vorbereitung im Unterricht – kredenzen heißes Wasser und Brot vom Vortag, während es – zufällig verteilt von einer blinden Bedienung – für einige wenige Sekt gibt.
Pflegeschüler messen auf Wunsch vor der Aufführung und in den Pausen den Puls und bringen subversiv reale Arbeitsverhältnisse ins Spiel. Die Zuschauer werden so in eine Auseinandersetzung mit Lebensschicksalen, Verteilungsgerechtigkeit und eigenen Einstellungen geführt.
Auch im Stück selbst werden Fiktion und Realität ineinander verwoben. Politische, religiöse und philosophische Visionen vergangener Epochen kommen mit ins Spiel, wenn etwa ein Disput zwischen Karl Marx und der Papstin Franziska entbrennt oder Aristoteles und Wolfgang Schäuble ihren Auftritt haben. Angela Merkel sinniert in einem Videobeitrag über die Spaltung der Gesellschaft. Auch die Geschlechtertrennung spielt zwangsläufig eine Rolle. Plutos, der Gott des Reichtums, ist ein Mann – seine Gegenspielerin die Göttin der Armut, eine Frau namens Penia.
Das Stück geht der Frage nach, wie sich das öffentliche Leben gestalten würde, wenn plötzlich alle Menschen reich wären. Es hinterfragt, wonach der Mensch strebt, wenn ihm der Antrieb fehlt, sich um seine Existenzsicherung zu kümmern. So öffnet sich das Stück mehr und mehr in die heutige Realität hinein, Fragen, Provokationen und Thesen entstehen aus ihm heraus, die schließlich von einer Moderatorin aufgenommen und mit jeweils einem Gesprächspartner aus Politik, Wohlfahrtsverbänden, Kirche oder Wissenschaft diskutiert werden.
In Aristophanes Komödie Plutos geht es um die Verteilung von Besitz. Der Handwerker Chremylos lebt in Armut, während zahlreiche Verbrecher immer größere Vermögen anhäufen. Er wendet sich an das Orakel von Delphi, um zu erfahren, ob sein Sohn vom Weg der Tugend abkommen soll, um ein besseres Leben als sein Vater zu führen. Er erhält den Rat, dem ersten Menschen, der ihm beim Verlassen des Tempels über den Weg läuft, zu folgen. Er trifft auf Plutos, den Gott des Reichtums.
Weil der blind ist, sieht er nicht, wie ungerecht er seine Gaben verteilt. Um das zu ändern, lässt ihn Chremylos auf Drängen seines Sklaven Karion im Tempel des Asklepios heilen. Penia, die Göttin der Armut, versucht diese Operation zu boykottieren und wird von Karion erwischt. Sie gesteht, dass sie sich um ihre Existenzberechtigung fürchtet. Ein Rededuell zwischen Penia und Karion entspinnt sich. Dem Sklaven und auch den Zuschauern versucht sie die Armut schmackhaft zu machen. Was hielte die Welt am Laufen, wenn nicht der tägliche Zwang wäre, den Lebensunterhalt aufzubringen?
Ungestört führt die OP jedoch zum gewünschten Erfolg und Plutos sorgt umgehend dafür, dass die Armen reich werden. Die ungerechte Verteilung der Güter hat ein Ende. Zu Ehren Plutos wird der Tempel des Apollon in Plutos-Tempel umbenannt und die zeternde Penia verjagt.
Der durchs Stück führende Erzähler Narr-Ative versucht manche Bühnenphantasie auf den Teppich zurückzuholen. Durch sein subversives Umherspringen ermöglicht er Einsichten zwischen Ebenen, Rollen und gegensätzlichen Polen. Doch die Frage, ob Gesellschaften funktionieren, wenn Beziehungen nicht mehr auf finanzieller Abhängigkeit basieren, vermag auch er nicht gänzlich zu beantworten.
„Reichtum und heißes Wasser für alle” spürt noch anderen Mythologien, Philosophen und Politikern nach und mischt ihre Geschichten und Zitate mit der augenblicklichen Realität in unserer Gesellschaft. Wir lernen: Die Diskussion um Mindestlohn und bedingungsloses Grundeinkommen ist beileibe keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Nach 2.500 Jahren träumen wir noch immer.
„Reichtum und heißes Wasser“ in der Eissporthalle, Steinfurter Straßen 113 in Münster
Aufführungen am 16./18./19./25./26. und 27. Juni jeweils um 20 Uhr, am 21. Juni um 22 Uhr und am 30. Juni um 11 Uhr.
Karten gibt es bei Münster-Marketing oder online.
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