Münster – Sie ist das geborene Muttertier. Auf ihre drei Kinder, Eilif, Schweizerkas und die stumme Kattrin lässt sie nichts kommen. Für sie tut sie alles, bleibt dem Krieg auf den Fersen, um nahe der Front ihren Schnitt machen zu können. Allerdings versinkt sie auch nicht in Trauer oder Depression, wenn ihr eines ihrer Kinder nach dem anderen entrissen wird. Der Krieg fordert halt seinen Tribut. Daran kann man nichts ändern. Sie ist und bleibt Realistin. Da bleibt für Tränen keine Zeit.
Anna Fierling alias Mutter Courage zieht mit ihrem Marktkarren als Marketender durch den Dreißigjährigen Krieg, immer einem finnischen Regiment hinterher. Den Beinamen “Courage” hat die gerissene Marketenderin von Soldaten erhalten, als sie unter Feuerbeschuss 50 Brotlaibe nach Riga gefahren hat, um sie noch zu verkaufen, ehe sie verschimmelten. Den zwischenzeitlich aufkeimenden Frieden sieht sie als eine ernste Bedrohung, denn sie weiß: dann kann sie keine Geschäfte mehr machen. Die Preise verfallen und damit der Wert ihrer Vorräte. Der Krieg ist ihre Lebensgrundlage. Sie versorgt die Soldaten mit allem, was sie so brauchen: Brot und vor allem Schnaps, um das Kämpfen und die Gewalt erträglicher zu machen. Die Figurenkonstellation ist ausgedacht und folgt einem strengen dramaturgischen Konzept. Es geht um Erkenntnisgewinn. So will es der Autor.
Berthold Brecht hat mit seinem Schauspiel mit Musik „Mutter Courage und ihre Kinder“ eine geistreiche Parabel gegen den Krieg geschrieben. Es geht um die sittliche und menschliche Verrohung in Zeiten des Krieges, in denen menschliche Rücksichtnahme dem Profit untergeordnet werden muss. Brecht schrieb „Mutter Courage und ihre Kinder“ 1938/39 im schwedischen Exil. Das Stück spielt im Dreißigjährigen Krieg zwischen 1624 und 1636.
„Mutter Courage“ ist ein Klassiker der Bühne – immer wieder aufgeführt, immer wieder neu interpretiert und immer wieder mit zeitgemäßen Bezügen versehen. Regisseur Meinhard Zanger hält sich mit Modernisierung in seiner Fassung für das Wolfgang Borchert Theater in Münster stark zurück. Ein paar Kürzungen. Die Musik von Paul Dessau eingedampft. Die Band sitzt im ersten Rang mitten auf der Bühne. Die drei Musiker übernehmen einer nach dem anderen Rollen im Stück. Ein kleines Bravourstück. Das Bühnenbild ist abstrakt. Auch die Kostüme lassen kaum Assoziationen und Zeitbezüge zu. Es gibt keinerlei folkloristischen Ambitionen. Allein der Marktkarren der „Courage“ ist ein neuzeitlich anmutendes Fahrradgespann, das aktuell aus dem Münsteraner Straßenverkehr entliehen worden sein könnte.
Die Parallelen zu den beiden Weltkriegen, Afghanistan, Irak oder Syrien kann jeder für sich beisteuern. Da braucht es keine belehrenden Fingerzeige. Daran tut Zanger gut. Er folgt dem Konzept Berthold Brechts: Das epische Theater als eine geistige Übung. Die Parabel soll nur das Nachdenken befördern. Einfühlung, Identifikation und Mitleiden sind nicht erwünscht. Das ist eine strenge Lektion nur von ein paar kabarettistischen Einlagen aufgelockert, die vor allem auf das Konto von Heiko Grosche und Jürgen Lorenzen gehen. Da gibt es für einige Augenblicke etwas zu Schmunzeln, auch einmal zu Lachen, wiewohl im Krieg einfach nichts zum Lachen ist. Dieses dramaturgische Konzept verlangt vom Publikum einiges ab. Ein bequemer und unterhaltsamer Theaterabend kann „Mutter Courage“ nicht sein, wiewohl den Schauspielern zu folgen – von Monika Hess-Zanger über Florian Bender, Johannes Langer und Ivana Langmajer bis hin zu Jürgen Lorenzen und Heiko Grosche – wie immer im Borchert Theater ein Genuss ist. (Jörg Bockow)
Wolfgang Borchert Theater / Am Mittelhafen 10 / 48155 Münster
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