Kunsthaus Kannen: Textur, Gewebe, Spuren

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Münster – Das Kunsthaus Kannen zeigt noch bis zum 30. September 2018 die Ausstellung  “Textur, Gewebe, Spuren – Zeichnungen und Textil”.

Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag“, sagt Walter Benjamin. Zeichnungen sind Spuren in diesem lebendigen Sinn: Als Bewegungsspur der zeichnenden Hand werden sie zu Bildern von etwas, was im Sehen erst entsteht. Die Ausstellung zeigt Arbeiten von KünstlerInnen, die die Zeichnung als Textur auffassen, als ästhetisches Gewebe und Beziehungsgefüge von Linien, Punkten oder Fäden, ganz unterschiedlich in der Anlage, in Dynamik und Ausstrahlung.

neue Ausstellung im Kunsthaus Kannen – Foto: Pauk Stephan

In einer überraschenden, äußerst gelungenen Hängung präsentieren sich die Blätter von Paul Stephan: wie Farbwerte einer wandfüllenden digitalen Rastergrafik. Dass sie anders als die Texturpixel einer Computergrafik jedoch keine reinen Flächenelemente sind, erkennt man, wenn man näher herantritt. Was von weitem eine binäre Ordnung repräsentiert, erweist sich aus der Nähe als individuell und komplex. Hier entdeckt man die irreguläre Spur unzähliger Kreislinien, die sich zu Farbknäueln verdichten und an den Rändern wie lose Enden in die offene Fläche ragen. Aus dem meist dunklen dominanten Farbspektrum blitzen andersfarbige kurze Linien und Kreise hervor, die Farben interagieren, und im sehenden Nachvollzug ergeben sich immer feiner abgestufte Varianzen. Die Farben lichten sich oder scheinen durchleuchtet, es geht um Trübungen und Zwischentöne, um Verschmutzung und Klärung, um Bewegung und Stillstand.

Auch Josef König bedeckt und erobert das Blatt mit kurzen Strichen und kreiselnden Linien, die sich punktuell kompositorisch verdichten und erzählerisch aufladen. Anders als Stephan sind die repetitiven, ornamentalen Strukturen farblich grundiert oder gefüllt. So entfalten die kleingestaltigen Geflechte, Netze, Wirbel und Waben einen flammenden, pulsierenden, schwingenden oder wogenden Charakter, der das ganze Bild ergreift. Es wird eine Sehbewegung erfahrbar, die nicht mehr zwischen Figur und Grund unterscheidet und so das Bild als Ereignis vergegenwärtigt.

Die Arbeiten von Heinz Thomas bauen sich in horizontalen Schichten aus vertikalen Schraffuren auf, deren Neigungswinkel sich ganz langsam ändert, so dass sich ein weicher, mäandernder Verlauf ergibt. Manchmal wechselt innerhalb einer Schicht die Farbe,  Einschlüsse entstehen oder mehrere Schichten gehen ineinander über. Bei einem hohen Grau-Anteil meint man ein Gesteinsmassiv im Querschnitt zu sehen: Sedimentablagerungen mit Verwerfungen, Verschiebungen und Faltungen, Störungslinien, an denen sich eine Kruste ausgebildet hat. Bei Zeichnungen mit einem leuchtenderen Farbspektrum entwickeln die schraffierten Felder dagegen andere Geschwindigkeiten und eröffnen ganz andere Assoziationsräume: ruhendes Wasser, in dem sich der Himmel spiegelt, weiches Gras oder schwerer Lehmboden, zähflüssiges Magma oder sprühende Lava.

Mit Bleistift und Buntstiften in einer hellen Palette zieht Erwin Winter gitterförmig Linie für Linie, so das ein vager räumlicher Eindruck entsteht, der den Blick immer näher an das zarte Netz heranzieht. Die lautlose Farbpalette und der feine, leicht vibrierende Strich schaffen eine eigene stille Welt.

Laura Rammo arbeitet mit textilen Materialien und verwandelt deren Stofflichkeit in die Anmutung von Papier. Mit bunten Garnen stickt sie Formen, die wie weich auf Papier geflossene Farbe abstrakte Gebilde formen. Sie schließen sich zu organischen Haufen zusammen oder finden sich vereinzelt, fast verloren als geheimnisvolle Fossilien in der leeren Fläche.

Die aus Wollfäden gewickelten Puppen von Maularia Fist erzählen von körperlicher Orientierung im Raum: mit ihren Gliedmaßen greifen Mensch und Tier um sich und nach dem anderen, in dieser Suche nach Halt bilden sich Haltungen aus. Die weitgehend auf das Körperschema reduzierte Figur erinnert an den Modulor des Architekten Le Corbusier. Anders als Corbusiers sachliches, am männlichen Körper orientiertes Proportionsmaß einer menschlichen Architektur haben Fists Arbeiten eine weiche, spielerische Ausstrahlung; hier geht es nicht um ein Ideal, sie leben im Gegenteil von der Individualität ihrer Proportionen.

Auf den Blättern von Otto Graw scheint die Mitte wie durch eine leichte Explosion freigepustet, die Farben fliehen seitlich aus dem Bildfeld. Diese exzentrische Strömung aus einer leeren Mitte ist herausfordernd, sie kehrt unsere natürliche Neigung, den Schwerpunkt mittig zu setzen, in der Mitte Halt zu suchen, um – die Schwerkraft scheint aufgehoben.

Die Punktzeichnungen von Emilie Flesner bilden ähnlich wie achäologische Fundzeichnungen amorphe Formen nach, blockhaft oder organisch gerundet, an manchen Enden explodieren humorvoll kleine Sonnen. In einigen Zeichnungen erscheint das Gebilde zeitlos, als Muster-Form oder Form-Muster an sich. (Karin Wendt)

Kunsthaus Kannen / Alexianer Münster GmbH
Alexianerweg 9 / 48163 Münster
Telefon 02501/966-20560
www.kunsthaus-kannen.de

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