Pumpenhaus: Dissen mit Proust

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Münster – Marcel Prousts Gesellschaftsroman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert, verhandelt aber vorwiegend zeitlose Themen. Darunter eine soziale Disziplin, die man heute „Dissen“ nennen würde. Regisseur Christian Fries zeigt am Pumpenhaus eine experimentelle Proust-Bearbeitung (28. Februar, 1. und 2. März), die den Pariser Salon für die Gegenwart aufschließt.

Christian Fries: Sie könnten wenigstens erst einmal so höflich sein, mir guten Tag zu sagen! – Fotos: René Schäffer

Wie behaupten Menschen ihren Status? Welche Rolle spielen dabei Beruf, Geschlecht, Religionszugehörigkeit und sexuelle Präferenz? Fragen, die der Schriftsteller Marcel Proust in seinem Jahrhundertwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ mit bemerkenswerter Klarsicht beantwortet – und mit einem Zug ins Comicverdächtige.

Pumpenhaus Münster zeigt experimentelles Theater: “Sie könnten wenigstens erst einmal so höflich sein, mir guten Tag zu sagen!”

Sein Ich-Erzähler wird in der gehobenen Gesellschaft der Pariser Salons um 1900 Zeuge eines subtilen Kampfes um die soziale Existenz. Hier geht es scharfzüngig zu, zynisch, antisemitisch. Nicht ohne Faszination beobachtet der Erzähler, wie Menschen andere verbal erniedrigen, um sich selbst zu erhöhen. Ein Vorgang, den man heute „Dissen“ nennen würde. Ein neues Wort für eine alte Untugend.

Regisseur Christian Fries interessiert sich in seinem experimentellen Proust-Projekt (mit Astrid Kohlhoff, Verena Noll, Stefan Ebeling und David Fischer) weniger für eine werkgetreue Übersetzung des Romans auf die Bühne. Sondern er rückt den Gesellschaftsanalytiker in den Mittelpunkt, dessen Figuren vor allem als Repräsentanten ihres sozialen Umfelds funktionieren. Für die damalige Epoche ungewöhnlich offen diskutieren sie auch über schwule Lebensformen.
Fries reizt das Zeitlos-Heutige an der Proustschen Beschreibung: „Der soziale Mensch schmückt sich mit seinem Wissen, seinen Verbindungen zu privilegierten Kreisen, ordnet sich durch seine Vorlieben einem bestimmten Milieu zu (Kleidung, Musik usw.), er ‚disst’ seinen Nächsten, der nicht hip ist und aus der Provinz kommt“.

Wie gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen wirken, das wusste Marcel Proust aus eigener Erfahrung – als Homosexueller, als Mensch mit jüdischen Wurzeln, als lange beruflich Erfolgloser.

Theatermacher Fries hat am Pumpenhaus zuletzt im Dezember 2016 mit seiner Ibsen-Bearbeitung „Rosmersholm“ bewiesen, dass er ein Talent dafür besitzt, aus klassischen Stoffen mit dezenter Komik das Spannendste des menschlichen Miteinanders herauszulesen. Eine „höchst sehenswerte Inszenierung“, schrieb die WN.

Sie könnten wenigstens erst einmal so höflich sein, mir guten Tag zu sagen!
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Karten: 13  Euro / erm. 8 Euro

VVK: WN Ticketshop

Reservierungen: 0251 233443

www.pumpenhaus.de

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