Verbrechen und andere Kleinigkeiten

Recklinghausen – Gestenreich und kunstvoll, lärmend und ziemlich hektisch: Intendant Frank Hoffmann bringt August Strindbergs “Rausch” mit einer hochkarätigen Besetzung auf die Bühne der Ruhrfestspiele. Doch die Frage nach Schuld und Sühne, die Strindberg in die Form einer Komödie gebracht hat, rauscht förmlich an einem vorüber, ohne irgendwelche Wirkungen oder Spuren zu hinterlassen. Die Schauspieler schreien, toben und spielen zwar nach allen Regeln der Kunst, aber ihr Spiel bleibt seltsam distanziert. Das Drama kommt trotz vieler Worte nicht über die Rampe, nicht einmal die sprachlichen Aperçus bohren sich als Widerhaken ins Gedächtnis ein. Alleine der Satz “Wir ekeln uns an, und trotzdem müssen wir heiraten; das ist die Hölle!” zeigt Reaktionen im Publikum. Die innere Spannung der Protagonisten und ihre Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Schuld, bleiben aber nur eine Kopfgeburt.

Maurice mit seiner Verlobten Jeanne (Sinja Dieks, Robert Stadlober) in “Rausch” – Fotos: Birgit Hupfeld

Sein Stück müsste im Deutschen “Verbrechen und Verbrechen” heißen, denn so wäre die eigentliche Übersetzung des Titels. Auf deutschen Bühnen taucht das Stück als “Rausch” auf. Es wird häufig gespielt. Strindberg hat es 1899 wie atemlos aufs Papier gebracht, zwei Jahre nach der „Inferno-Krise“, einem Gemetzel der Beziehungen, an dem Strindberg fast zerbrach. Er selber hat “Rausch”als eine Komödie betitelt. Es ist offensichtlich, dass er mit dem Stück seine eigenen biographischen Verwicklungen abzuarbeiten sucht.

Im Rausch der Leidenschaften: Maurice ist Henriette verfallen (Robert Stadlober, Jacqueline Macaulay)

“Rausch” erzählt wie im Schnelldurchlauf vom Aufstieg und Fall eines Dichters. Maurice (Robert Stadlober) ist das Alter Ego des Autors. Mit seinem neuen Stück hat der Dramatiker endlich den Erfolg und bekommt die Aufmerksamkeit und Anerkennung, nach denen er sich so gesehnt hat. Das Leben ist auf einmal ein einziges Fest.

Wie sollen Henriette und Maurice mit ihrer Schuld weiter leben und sich weiter lieben können?

Am Abend seines größten künstlerischen Triumphes betrügt er sowohl seine Verlobte die blonde Jeanne als auch seinen besten Freund: Er feiert mit dessen Freundin Henriette (Jacqueline Macaulay), einer Femme fatale mit dunklen Haaren und knallrotem Kleid. Liebe entbrennt und wilde Leidenschaft, Dichter und Femme fatale wollen durchbrennen – nur leider hat Maurice familiäre Verpflichtungen: Es gibt ein Kind mit seiner braven Verlobten Jeanne (Sinja Dieks). Es ist der wahre Klotz am Bein des Dichters. Im erotischen Taumel wünschen sich Maurice und Henriette, das Kind wäre tot, um frei zu sein. Am nächsten Morgen ist das Kind tatsächlich tot. Alles steht Kopf, alles ist aus den Fugen geraten. Ein wahrer Kriminalfall setzt an, mit Kommissar und Verbrechersuche.

Maurice weiß sich in seinem Gewissenskonflikt zu helfen: “Heute abend treffe ich Sie, Abbé, in der Kirche, um mir über alles klarzuwerden – aber morgen gehe ich ins Theater!”

Der Dichter wird verhaftet, sein Stück wird abgesetzt. Die Gesellschaft wendet sich aprupt von ihm ab. Tief ist der Fall, zu Ende der Liebesrausch. Gegenseitige Verdächtigungen, Vorwürfe und Gewissensbisse bleiben: Können Gedanken morden? Denn es stellt sich heraus: Das Kind ist eines natürlichen Todes gestorben. Doch die Schuld bleibt.

Von der neuerlichen Wendung wird Maurice nicht wirklich erlöst: Er hat in Gedanken einen Mord begangen. Also sucht er Zuflucht im Schoß der Kirche. Der Abbé (Wolfram Koch) ist allgegenwärtig und als Kommentator stets dabei. Er hastet über die Bühne und zieht seine Kreise. Wolfram Koch löst seine Doppelrolle kongenial: Als Kommissar und als Gottesmann.

Maurice bekommt die Nachricht, dass er rehabilitiert sei, sein Erfolgsstück werde wieder gespielt. Das Publikum verlangt nach ihm. Er soll ins Theater kommen, wo er gefeiert werden soll. “Das habe ich nicht verdient”, stöhnt er. Der anwesende Priester stimmt ihm zu. Was soll Maurice machen: Buße tun oder sich feiern lassen? Dann findet er die “Lösung” und erklärt dem Abbé: “Heute abend treffe ich Sie in der Kirche, um mir über alles klarzuwerden – aber morgen gehe ich ins Theater!” Die Schlußpointe kommt an. Aber das ist ein bißchen wenig für so einen Theaterabend. (Jörg Bockow)

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