Westfalen – Wer eine Immobilie erbt, kann sich freuen – sind die Preise für Grund und Boden in den vergangenen Jahren doch deutlich gestiegen. Gerade bei älteren Häusern werden die neuen Eigentümer aber vor viele Probleme gestellt. Immobilien-Expertin Sigrid Freckmann von der Vermittlung Münster Immobilien erläutert anhand eines konkreten Beispiels, welche Aspekte nach der Übernahme einer Bestandsimmobilie zu berücksichtigen sind.
In den nächsten neun Jahren werden in Deutschland laut der Zeitung „Die Welt“ voraussichtlich 3,1 Billionen Euro vererbt. Mindestens jede zweite Hinterlassenschaft enthält eine Immobilie. Gerade Haus und Grund können für die glücklichen Erben aber durchaus problematisch werden: „Oft haben die alten Voreigentümer zu wenig in die Modernisierung und Instandhaltung des Gebäudes investiert und es ist ein kostenträchtiger Sanierungsstau entstanden“, weiß Sigrid Freckmann von der Immobilienfirma VMI in Münster. „Dann fährt der Eigentümer besser, wenn er das alte Haus abreißt und neu baut – oder verkauft und jemand anderen diese Arbeit machen lässt.“
Freckmann weiß, wovon sie spricht. Sie arbeitet seit 30 Jahren in der Immobilienwirtschaft und ist heute Geschäftsführerin bei VMI in Münster – das Unternehmen ist nicht nur als Vermittler von Immobilien tätig, sondern befasst sich auch mit der Optimierung und Entwicklung von Gebäuden und Grundstücken. Anhand eines konkreten Fallbeispiels erläutert die Immobilien-Fachfrau die verschiedenen Problemfelder und die möglichen Handlungsalternativen bei einer Bestandsimmobilie (siehe Kasten).
Fallbeispiel Vierfamilienhaus Baujahr 1960
- Zweistöckiges Vierfamilienhaus mit ungenutztem Satteldach mit Klinkerfassade in einer Stadt im Kreis Coesfeld
- Erdgeschoss als Hochparterre, kein Aufzug, daher keine Wohnung barrierefrei
- Baujahr 1960
- Alle Wohnungen haben eine Wohnfläche von 73 Quadratmetern und einen Balkon
- 1986 wurden Doppelglas-Isolierfenster eingebaut
- 2008 wurde die Luftschicht zwischen Klinker-Fassade und tragendem Mauerwerk mit Zellulose-Flocken verfüllt, Dachboden und Kellerdecke mit Styropor gedämmt und Kältebrücken an den Balkons beseitigt
- Alle Wohnungen haben je eine Gas-Etagenheizung, die auch die Warmwasseraufbereitung übernimmt
- Alter der Heizungstechnik zwischen 15 und 25 Jahren
- Die Elektroinstallation ist seit dem Hausbau nicht grundlegend erneuert worden
- Gas-, Wasser- und Abwasserleitungen sowie Badezimmer sind seit dem Hausbau nicht grundlegend erneuert worden
- Das Dach ist nicht grundlegend erneuert worden
Für die Immobilienexpertin ist dieses Haus kein hoffnungsloser Fall: „Offensichtlich wurde kontinuierlich investiert, dann kann man auch in Zukunft mit überschaubaren Modernisierungs- und Sanierungsaufwendungen vernünftig vermieten.“ Gut bewertet sie, dass alle Wohnungen eine separate Gasheizung und Balkone haben. Zeittypisch sind Küche und Badezimmer sehr klein, das mache man heute anders. Dafür seien Wohn- und Elternschlafzimmer großzügig geschnitten.
Aber Achtung: Verdeckte Bauschäden können den Erhalt der bestehenden Bausubstanz massiv verteuern. Freckmann: „Früher wurden Kellerwände mit Teerpappe und Bitumen gegen Feuchtigkeit geschützt – nach 50 Jahren wird dieser Schutz brüchig und Bodenfeuchtigkeit dringt ins Mauerwerk ein.“ In solch einem Fall ist es ratsam, die Wände von außen aufzugraben und mit einem Schutzanstrich oder Ähnlichem zu versehen; wenn für die Regenwasserableitung Tonrohre verwendet wurden, sollten diese durch Kunststoffrohre ersetzt werden, denn die Tonrohre
fallen nach 40 bis 50 Jahren zusammen“, erläutert Freckmann. Die Kosten für solch eine Maßnahme liegen bei rund 1.000 Euro pro Kellerwand-Meter.
Richtig teuer werde es, wenn die Bodenplatte des Hauses undicht ist. „Da haben Sie kaum noch eine Chance, das Haus zu erhalten“, warnt die Immobilienexpertin. Eine weitere Problemzone bei alten Häusern sind außen liegende Kellertreppen: „Hier sammelt sich die Feuchtigkeit unter den Treppenstufen, dann hilft es, die unterste Stufe zu durchbohren, damit das Wasser in den Abfluss vor der Kellertür laufen kann.“ Oft dringe auch Wurzelwerk in die Abflussrohre ein und sorge für Verstopfungen: „Efeu zum Beispiel geht gar nicht, auch Eiben und Ilex machen große Probleme.“
Das über 50 Jahre alte Dach im Fallbeispiel sieht Sigrid Freckmann nicht unbedingt als Problem: „Der Dachboden ist ja nachträglich gedämmt worden, und solange das Dach dicht ist, gibt es keinen akuten Handlungsbedarf.“ Die Lebensdauer eines mit Tonpfannen gedeckten Dachs setzt Freckmann locker mit 70 bis 80 Jahren an – Betonpfannen halten nicht so lange.
Die nachträgliche Dämmung der Fassade durch Verfüllung der Luftschicht zwischen Klinker- und tragenden Wänden gefällt der Münsteranerin gut: „So ist die regionaltypische Klinkerfassade erhalten geblieben – das sieht auch in 20 Jahren noch gut aus.“
Handlungsbedarf bestehe sicher bei den Fenstern: „Nach 30 Jahren wird die isolierende Vakuumschicht bei Thermopane-Scheiben undicht und neblig-grau. Auch die Beschläge sind dann langsam ausgeleiert und reparaturanfällig. Das Herstellungsjahr eines Doppelglasfensters ist übrigens innen in die Kante des Scheibenzwischenraums eingeprägt. Für die Heizungsanlagen rechnen Immo-Profis wie Sigrid Freckmann mit einer Lebensdauer von 20 Jahren – auch hier besteht im Fallbeispiel in den kommenden Jahren also Handlungsbedarf.
Bei den Bädern sowie den Gas-, Wasser-, Abwasser- und Stromleitungen muss ebenfalls bald etwas getan werden. Bei elektrischen Anlagen wurden die Sicherheitsvorschriften in den vergangenen Jahren ständig verschärft, so dass Altinstallationen heute rechtlich bedenklich sind. „Außerdem wollen die Leute heute viel mehr Steckdosen haben als früher – 12 bis 18 in der Küche und vier bis fünf im Wohnzimmer sind im Neubau normal.“ Gesprungene Kacheln im Bad wirken abschreckend auf gute Mieter. Frischwasserleitungen verkalken, Abwasserleitungen werden brüchig, Rohrverbindungen undicht. Reparaturen und Schadensfälle häufen sich – für den Eigentümer immer mit Zeitaufwand, Ärger und Kosten verbunden. Zuerst bezahlt zwar die Gebäudeversicherung etwaige Wasserschäden – nach zwei Schadensfällen binnen fünf Jahren kündigen die meisten Versicherungsgesellschaften solche Verträge jedoch. Neuer Versicherungsschutz ist dann in der Regel nur mit hohen Selbstbeteiligungsbeiträgen zu erhalten.
Am besten sei es, wenn diese Arbeiten alle gleichzeitig gemacht würden – „dann hat man die offenen Wände und den Dreck nur einmal.“ Nach 40 bis 50 Jahren ist solch eine Komplettsanierung für Freckmann angeraten. Die Innentüren sollten dann auch neu gemacht werden, „das ist günstiger als neu anstreichen, und neue Türen sind leiser und dichter.“ Auch die Wärmedämmung kann dann optimiert werden: „Alte Heizkörper sollten neuen, flachen Heizkörpern Platz machen, dahinter kann dann zusätzliche Dämmung eingebaut werden. Rolladenkästen und Kältebrücken an Balkonverankerungen sollten gedämmt werden.“ Bei einem bewohnten Haus ist das nur schwer umzusetzen, deswegen empfiehlt sich, die Totalsanierung wohnungsweise beim Mieterwechsel durchzuführen. Rund 500 bis 750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche muss man laut Freckmann als Kosten für eine solche Rundum-Erneuerung inklusive Malerarbeiten und Böden ansetzen. Im Fallbeispiel ist für Fenster, Türen, Wände, Böden, Strom- und Sanitärarbeiten also pro Wohnung mit Kosten von 35.000 bis 55.000 Euro zu rechnen.
Eine Menge Kosten – trotz des durchaus guten Erhaltungszustands des Musterhauses. Steht dem überhaupt ein entsprechender Wert gegenüber? Wie lässt sich der Wert einer Bestandsimmobilie einigermaßen verlässlich ermitteln? „Mit dem Ertragswertverfahren ist das vergleichsweise einfach“, erklärt VMI-Expertin Sigrid Freckmann. „Basis ist die Jahresnettokaltmiete. Sie spiegelt nicht nur die Größe, sondern auch die Gebäudequalität hinsichtlich Lage und Erhaltungszustand wider. Im Fallbeispiel liegt die Jahresnettokaltmiete, auch Rohertrag genannt, bei 19.500 Euro. Dieser Wert wird mit dem Multiplikator oder Rohertragsfaktor für den Kreis Coesfeld multipliziert. Diese Kennzahl wird für jeden Kreis beziehungsweise jede kreisfreie Stadt von einem Expertengremium festgelegt und jährlich im jeweiligen Grundstücksmarktbericht veröffentlicht. Im Kreis Coesfeld liegt der Rohertragsfaktor/Multiplikator für Mehrfamilienhäuser bei 14,1.
Der Ertragswert des Musterhauses:
19.500 Euro x 14,1 = 274.950 Euro
Um die Frage „Abreißen und neu bauen oder erhalten?“ wenigstens tendenziell zu beantworten, kann der Ertragswert eines vergleichbaren Neubaus wie folgt ermittelt werden: Die Höhe der Nettokaltmiete in einem Neubau am gleichen Ort lässt sich leicht über ein Internet-Immobilienportal ermitteln. Da die Grundrisse und der Baustandard von Neubauwohnungen besser den heutigen Mieterwünschen entsprechen, liegen die Quadratmetermieten hier höher – setzen wir mal 8,13 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche an. Daraus ergibt sich:
Die Jahresnettokaltmiete in vergleichbarem Neubau mal Rohertragsfaktor ergibt den Ertragswert:
28.500 Euro x 14,1 = 401.850 Euro
Die Neubaukosten ohne Grundstückskosten setzt Freckmann im Umland von Münster mit 2.000 bis 3.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche an, nehmen wir zum Beispiel 2.000 Euro. Im Fallbeispiel wären das also 584.000 Euro. Hinzu kommen noch mal 30.000 bis 35.000 Euro für den Abriss des alten Hauses, kalkulieren wir 33.000 Euro. Daraus ergibt sich:
Ertragswert der Bestandsimmobilie:
274.950 Euro
Kosten Abriss u. Neubau:
617.000 Euro
Ertragswert eines Neubaus:
401.850 Euro
Das spricht auf den ersten Blick für den Erhalt der Bestandsimmobilie. Nicht berücksichtigt sind bei diesem Rechenbeispiel allerdings die wesentlich höheren Instandhaltungskosten bei der Bestandsimmobilie – siehe oben. Auch die Abschreibungen sind nicht erfasst. Letztere wirken steuerlich ertragsmindernd – für Besserverdienende durchaus reizvoll.
Überhaupt nicht berücksichtigt ist bei den oben angestellten Rechenbeispielen das wertsteigernde Potenzial möglicher Ausbau-Investitionen. „Man könnte bei dem Beispielobjekt das Dach ausbauen und so eine oder zwei zusätzliche Wohnungen schaffen“, gibt Freckmann zu bedenken. „Der Anbau oder die Vergrößerung von Balkonen macht Wohnungen attraktiver und kostet mit rund 10.000 Euro pro Balkon nicht allzu viel“, erklärt die VMI-Managerin weiter. Der Einbau eines Aufzugs schlägt mit rund 50.000 Euro pro Etage schon heftiger zu Buche. „Außerdem steigen dadurch die Mietnebenkosten – das schreckt manchen Mieter ab.“ Wirtschaftlich sinnvoller sei die Schaffung von PKW-Stellplätzen, „pro Platz kostet das 3.000 bis 5.000 Euro und ermöglicht leicht 150 Euro höhere Mieteinnahmen im Jahr, außerdem erhöht es den Marktwert der Immobilie.“
Auch die Möglichkeit von zusätzlichen Gebäuden auf dem Grundstück sei zu prüfen, „schließlich ist innerstädtische Nachverdichtung von der Politik heutzutage gerne gesehen.“ Bei großen Grundstücken kann unter Umständen im Garten ein komplettes zweites Haus errichtet werden. Wenn es baurechtlich möglich ist, auf dem Grundstück ein wesentlich größeres Gebäude als das vorhandene zu errichten, kann es auch bei einem gut erhaltenen Haus Sinn machen, abzureißen und komplett neu zu bauen.
Um bei Erweiterungsinvestitionen zu realistischen Kosten- und Ertragswerten zu kommen, ist die Zusammenarbeit mit einem Immobilienfachmann und/oder einem Architekten aber unerlässlich. Freckmann: „Dafür brauchen Immobilienbesitzer jemanden, der über rechtliche Kenntnisse, technische Kenntnisse und Marktkenntnisse verfügt.“
VMI – Vermittlung Münster Immobilien, Tel. 0251/9198790, www.vmi-muenster.de
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