Recklinghausen: Zwischen Wahn und Wirklichkeit

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Recklinghausen – Ein Traum wird schnell zum Alptraum. So auch heuer die zweite Premiere der diesjährigen Ruhrfestspiele in Recklinghausen. Festspiel-Intendant Frank Hoffmann hat “Das Leben ein Traum. Caldéron” nach Pedro Calderón de la Barca und Pier Paolo Pasolini inszeniert. Die Koproduktion zwischen den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dem Théâtre National du Luxembourg, dem Schauspiel Hannover und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg hat viel schillernde Theater-Technik, grandiose Schauspieler, eine aufwendige Ausstattung und ein durchaus bemerkenswertes Bühnenbild aufgeboten, allerdings mit einem doch eher mageren Erkennntisgewinn.

 v.l.n.r: Nicolai Despot, René Nuss, Annette Schlechter, Konstantin Rommelfangen, Roger Seimetz, Wolfram Koch, N.N. Foto: Birgit Hupfeld

v.l.n.r: Nicolai Despot, René Nuss, Annette Schlechter, Konstantin Rommelfangen, Roger Seimetz, Wolfram Koch – Fotos: Birgit Hupfeld

So als wenn Pasolinis  Stück “Calderón”, sein düsterer Abgesang an die Revolution, nicht bereits komplex und verwoben, intellektuell anspruchsvoll und kryptisch wäre, hat Frank Hoffmann noch Pedro de la Barc “Das Leben ein Traum” hinzugenommen  und durch Auszüge aus Pasolinis Theatertheorie, eigene Gedanken und aktuelle Bezüge aufgehübscht. Dabei ist eine verquere Kopfgeburt herausgekommen, die alle politischen Anspielungen Pasolinis ins Nebulöse verschwinden lässt und den Zuschauer mit seiner verworrenen Konstruktion überfordert und schrecklich ermüdet.

Die andere Rosaura - Hanna Schygulla Foto: Birgit Hupfeld

Hanna Schygulla als die “andere Rosaura”

Von Pedro de la Barcs klassischem Schauspiel “Das Leben ein Traum” hatte Pasolini nur Bruchstücke genutzt, die er brauchte, um die Frage nach der Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit nicht nur als individuelles, sondern auch als gesellschaftliches Phänomen zu behandeln. Seine Protagonistin Rosaura, eine dieser halbwilden verlorenen Kaspar Hauser-Gestalten, ist die weibliche Antwort auf Calderóns Sigismund, den sein Vater, der König von Polen, in einen Turm sperren ließ, damit sich die unheilvolle Weissagung, dass dieser ein blutrünstiger Herrscher werde, nicht erfüllen konnte.

Die Schauspieler müssen in der verschachtelten Inszenierung von Frank Hoffmann wiederholt ihre Rollen wechseln. Sie springen in neue Kostüme und schlüpfen in neue Identitäten. Als dramaturgische Klammer fungieren die Träume der Rosaura. Die Zuschauer werden alleine gelassen. Assoziative Szenenwechsel und große Zeitsprünge machen es nahezu unmöglich, einen Zusammenhang herzustellen.

v.l.n.r: Anne Moll, Konstantin Rommelfangen, Jacqueline Macaulay, Nicolai Despot (unten), Dominique Horwitz, Annette Schlechter, Roger Seimetz Foto: Birgit Hupfeld

v.l.n.r: Anne Moll, Konstantin Rommelfangen, Jacqueline Macaulay, Nicolai Despot (unten), Dominique Horwitz, Annette Schlechter, Roger Seimetz

Dreimal erwacht Rosaura aus einem Traum. Das erste mal taucht sie im Spanien im Jahr 1967 auf. Rosaura ist die Tochter einer adeligen Familie, die eng dem Franco-Regime verbunden ist und das Ende der Diktatur bereits vorausahnt.

Rosaura verliebt sich in Sigismondo, doch der ist in Wirklichkeit Rosauras Vater.

Ein neuer Zeitsprung versetzt uns ins Jahr 1979: Rosaura erwacht aus einem weiteren Traum. Sie befindet sich als Hure in einem Bordell. Der Jugendliche Pablo ist ihr Kunde, in den sie sich verliebt. Mönche verraten ihr ein Geheimnis. Pablo ist in Wirklichkeit ihr eigener Sohn…

Dritter Traum: Rosaura erwacht im Deutschland unserer Tage. Es sind kleinbürgerliche Verhältnisse, in die sie “hingeboren” wird. Das Familienfest wird von der Ankunft eines Flüchtlings unterbrochen. Wahn oder Wirklichkeit? Eine Anspielung auf die aktuelle Wirklichkeit in Deutschland? Fragen über Fragen.

Eine “andere Rosaura” erscheint. Sie lamentiert über ihren Traum von einem (Gefangenen)Lager, aus dem sie von revolutionären Arbeitern befreit wird.

v.l.n.r: Dominique Horwitz, Anne Moll

v.l.n.r: Dominique Horwitz, Anne Moll

Sigismund und sein Vater Basilio rechnen miteinander ab. Basilio erschießt Sigismund, der zugleich das Alter Ego des Dichters Pasolini ist… Verworrener kann es auf einer Bühne kaum mehr zugehen. Wenn dann Hanna Schygulla als die “andere Rosaura” mit übertrieben somnabuler Gestik auftritt als sei sie ein Gespenst aus einem B-Movie und dabei in überdehnter Sprache Bilder “aus dem Lager” und ihrer Befreiung beschwört, möchte man am liebsten laut aufschreien als wenn man gerade aus einem quälenden Alptraum aufgeschreckt wäre.

Mitten in die Träume von ’68 hinein hatte der große italienische Filmregisseur Pier Paolo Pasolini mit “Calderón” seine Abrechnung mit der gerade gescheiterten 68er Revolution geschrieben. Hinter progressiven Fassaden sah er da schon ganz andere Dinge heranziehen – die Zerstörung von Lebenszusammenhängen, die Auflösung gewachsener Strukturen, um das Feld vorzubereiten für den entfesselten Konsum. “Seine Diagnose hat heute nichts an Sprengkraft und Aktualität verloren. Im Gegenteil”, heißt es im Programmheft der Festspiele und macht neugierig auf die neuerliche Bearbeitung und die Inszenierung.

Doch Hoffmann scheitert mit kunstvoll verschachtelten und bedeutungsschwangeren Szenen, die kaum einen inneren Zusammenhang erkennen lassen. Da hilft dann auch die Star-Besetzung nicht viel weiter. Auf der Bühne mühen sich Nicolai Despot, Dominique Horwitz, Wolfram Koch, Ulrich Kuhlmann, Jacqueline Macaulay, Anne Moll, Konstantin Rommelfangen, Annette Schlechter, Hanna Schygulla und Roger Seimetz um einen kryptischen Text. Herausragend agierten Horwitz, Koch und Macaulay. Alleine ihnen ist es zu verdanken, dass das Publikum über dem Szenenwechsel und dem überaus verworrenen Netzwerk verschiedener Zusammenhänge nicht erschöpft zwischen den Reihen daniedersinkt. Nach mehr als zweieinhalb Stunden applaudiert das Publikum artig. Der Applaus richtet sich vor allem an die Schauspieler. (Dr. Jörg Bockow)

 

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