Münster – Diese Gesichter sind weder geglättet noch geschönt. Wir blicken in Portraits mit ungeschminkten Gesichtern, sie sind offen, überrascht und vielleicht gerade deswegen authentischer und wahrhaftiger als dies eine fotografierte Abbildung und ein inszeniertes Gemälde je sein könnten. Die Maler, die Claus Steinrötter in seiner aktuellen Ausstellung mit dem schlichten Titel “Portraits” präsentiert, haben ein anderes Interesse. Sie blicken mit ihren Gemälden gewissemaßen hinter die Fassade und hinter die Maske des Portraitierten.
Das gemalte Antlitz wird zu einem analytischen Psychogramm, welches das “Ich” des Abgebildeten freilegt und es gewissermaßen herausschält: Da werden in der Mehrzahl existenzialistische Gesten und Mimiken offenkundig: Die pure Selbstbehauptung und der Trotz, Erstaunen und Verblüffung, Angst und Schrecken, Ratlosigkeit und Hilflosigkeit, Verwirrtheit und Verzweiflung. Eine strahlende Schokoladenseite, Lachen oder Freude, mithin ein fröhliches Kokettieren mit dem Betrachter sucht man in diesen Arbeiten vergebens.
Claus Steinrötter hat seine neue Ausstellung am 27. Februar eröffnet. Bis Ende April werden rund 40 teilweise großformatige Portraits, Gemälde, Zeichnungen und Radierungen von Johannes Grützke, Timur Celik, Fiona Ackermann, Gregor Hiltner, Uwe Bremer, Jaroslav Kurbanov, Petra Mosshammer, Antje Vogel und Thorsten Kambach gezeigt. Es sind in der Mehrzahl sehr persönliche Perspektiven, die in ihrer Offenheit und Initimität mitunter schmerzhaft sind. “Portraits sind auch Spiegel des Verhältnisses des Malers zu seinem Modell”, schreibt Marie Christine Kremers in dem Katalog zur Ausstellung. “Mitunter schaut der Maler ‘hinter die Maske’ und lässt etwas deutlich werden, das auf eine intime Kenntnis der Persönlichkeit des Portraitierten schließen lässt.”
“Höchstes Interesse an einem Portrait hat zunächst im hohen Maß der Abgebildete”, weiß Claus Steinrötter – auch aus eigener Erfahrung. Er ist wiederholt von befreundeten Künstlern portraitiert worden. “In der Regel ist der Abgebildete auch der Auftraggeber. Das Faszinosum liegt in der Neugier des zu Malenden auf sein Abbild. Er kennt sich so nicht, da er sich so nie sieht. Er schaut immer aus sich heraus und dann und wann in den Spiegel. Seine Mimik entsteht durch Applaus oder Ablehnung des jeweiligen Gegenübers, mit dem er kommuniziert. Wird er für ein Gesicht häufig belohnt, wiederholt er es und dann wird es typisch und hängt ihm an.”
Ein Beispiel gibt uns Christine Kremers in dem folgenden Text zu einem Portrait von Johannes Grützke in dem Katalog zur Ausstellung. Grützke hat seinen Galeristen Claus Steinrötter gewissermaßen aufs Korn genommen. Mit schnellem, grobem Pinselstrich. “Der Ausdruck des Erschreckens, mit dem der Portraitierte den Betrachter anschaut, scheint der von Darwin entdeckten Sprache der elementaren Emotionen zu entstammen und wirkt übertrieben und der Situation kaum angemessen; schließlich ist sein Gegenüber wahrscheinlich der Maler Grützke und kein Alligator.”
“Bei Kulturwesen kommt es vor, dass sie elementare Emotionen auch dann zeigen, wenn sie nicht gerade Gefahr laufen, gefressen zu werden. Diese Emotion ist dann nicht nur etwas, was einem widerfährt, sondern Geste. Auch wenn wir den im Portrait dargestellten Ausdruck des Erschreckens in seiner übertriebenen Form bei Steinrötter nie oder nur sehr selten zu Gesicht bekommen, erkennen wir die Geste wieder. Sie will uns auch nicht mitteilen, dass sich Fressfeinde in der Nähe befinden, sondern warnt uns vor Zumutungen oder Übertreibungen anderer Art, z.B. in Gestalt von schlechter Kunst.”
Das künstlerische und gemalte Portrait ist selten geworden. Längst hat es Konkurrenz durch die Fotografie bekommen. In deren Folge hat das “Ich” kaum mehr Interesse an dem analytischen Blick, der mitunter halt mehr freilegt als wir wirklich wissen wollen. Das haben wir aus der Ikonographie der Werbung und aus allerlei TV- und Medieninszenierungen gelernt. In deren Folge wird die Grimasse zum Normalfall, das fröhliche Grinsen zeigt wie wir uns am liebsten darstellen und wie wir gesehen werden wollen.
Vor dem authentischen Gesichtsausdruck liegt ein Schleier. Mit einem Handy haben wir die Verfügungsmacht und als Selfie glauben wir authentischere Darstellungen unserer selbst zu bekommen: Die Person im Kreis von Freunden oder der Familie, die Person vor illustrem Hintergrund. Das Feierbiest, der Partylöwe, Dressman oder Modell auf dem Laufsteg. Die Maske tritt an die Stelle der Wirklichkeit. Das Gesicht als Spiegel der Seele verschwindet immer weiter in den Hintergrund. Wir lassen uns nicht gerne in die Karten schauen. Immer weniger. “The Show must go on” – selbst im grauen Alltag.
“Timur Celiks Portraits sind im besten Sinne realistisch. Die von ihm Portraitierten wirken vollkommen authentisch und dadurch überaus lebendig. Weder hat der Künstler etwas Bewertendes hinzugefügt noch scheinen die Portraitierten vorzugeben, etwas anderes zu sein, als sie hier und jetzt wirklich sind. Es ist, als habe Celik sie ermutigt, ihre Gefühle oder ihr inneres Erleben zu zeigen, das heißt ihre Verletztlichkeit, ihre Müdigkeit oder ihr Misstrauen.” So faßt Christine Kremers ihre Beobachtungen zusammen.
“Sie zeigen Spuren des Erlebten, ohne sich zu verstecken und scheinen sich unbeobachtet zu fühlen. Oft von einem tiefer liegenden Blickwinkel aus und überlebensgroß gemalt können sich die Protagonisten verletztlich zeigen, ohne ihre Würde zu verlieren.” Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis: So sehr der Maler in die Widersprüchlichkeit und Verletzlichkeit seines Protagonisten eindringt, so sehr gibt er ihm Individualität und Würde zurück. Die dargestellte Person gewinnt unseren ganzen Respekt.
Galerie Steinrötter / Rothenburg 16 / 48143 Münster
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