Kiepenkerl-Blog: Die Kunst, Recht zu behalten

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Westfalen – Arthur Schopenhauers Brevier „Die Kunst, Recht zu behalten“ geht zurück auf die Dialektik-Ansätze im demokratischen Athen des fünften Jahrhunderts v. Chr. Daraus entwickelte er eine Argumentationstechnik, die einzig dem Zweck dient, aus Streitgesprächen siegreich hervorzugehen – ohne Rücksicht auf die Wahrheit oder die sachgerechtere Argumentation.

Die Kunst, Recht zu behaltenDer Grund für die Anwendung solcher „Kunstgriffe“ ist häufig der Umstand, dass Menschen erst sprechen und nachher denken. Wenn sie dann merken, dass ihre Behauptung falsch ist, soll es doch trotzdem so aussehen, als wäre dem nicht so. Das Interesse an der Wahrheit, das bei der Formulierung der Behauptung im Vordergrund stand, weicht dem Interesse der Eitelkeit: Wahr soll falsch und falsch soll wahr sein. Der Uneinsichtige will seine Behauptung durchsetzen, selbst wenn sie ihm im Verlauf des Gesprächs falsch oder zweifelhaft erscheint.

Woher kommt das Streben, Recht zu behalten? Natürlichen von der Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts. Gäbe es die nicht, wären wir von Grund auf ehrlich. Wir würden bei jeder Debatte darauf achten, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Nebensächlich wäre, wessen Meinung sich letztlich als zutreffend erweist. Doch eitelkeitsbedingt wird das Ziel, Recht zu behalten, zur Hauptsache.

Dafür hat Schopenhauer in 38 Kunstgriffen typische Verläufe erfolgreicher Debatten dargestellt. Hier drei Beispiele:

Kunstgriff 14:
„Ein unverschämter Streich ist es, wenn man nach mehreren Fragen, die er beantwortet hat, ohne dass die Antworten zu Gunsten des Schlusses, den wir beabsichtigen, ausgefallen wären, nun den Schlusssatz, den man dadurch herbeiführen will, obgleich er gar nicht daraus folgt, dennoch als dadurch bewiesen aufstellt und triumphierend ausschreit. Wenn der Gegner schüchtern oder dumm ist, und man selbst viel Unverschämtheit und eine gute Stimme hat, so kann das recht gut gelingen. Das Vorgehen gehört zur Täuschung durch Annahme des Nicht-Grundes als Grund.“

Kunstgriff 26:
„Ein brillanter Streich ist die Rückwendung des Arguments: wenn das Argument, das er für sich gebrauchen will, besser gegen ihn gebraucht werden kann; z. B. er sagt: „es ist ein Kind, man muss ihm was zugutehalten“: Rückwendung „eben weil es ein Kind ist, muss man es züchtigen, damit es nicht verhärte in seinen bösen Angewohnheiten“.

Kunstgriff 33:
„Das mag in der Theorie richtig sein; in der Praxis ist es falsch“. – Durch dieses Sophisma gibt man die Gründe zu und leugnet doch die Folgen. – Jene Behauptung setzt eine Unmöglichkeit: was in der Theorie richtig ist, muss auch in der Praxis zutreffen: trifft es nicht zu, so liegt ein Fehler in der Theorie, irgendetwas ist übersehen und nicht in Anschlag gebracht worden, folglich ist‘s auch in der Theorie falsch.“

Eigentlich ist es nicht meine Art, Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen. Doch gegen penetrante Rechthaber, die keiner sachlichen Einwendung zugänglich sind, braucht es schwere Geschütze. Die liefert Schopenhauer leider nicht. Vielleicht, weil zu seiner Zeit die Menschen insgesamt ehrlicher waren und schon kleine Unaufrichtigkeiten als Unehrlichkeiten galten; vielleicht auch, weil zu dieser Zeit Sophistereien noch nicht in dem Maße Eingang in den sprachlichen Alltag gefunden hatten, wie das heute der Fall zu sein scheint.

Nach der Säkularisierung hat die katholische Kirche schnell von den Philosophen gelernt. Ein Beweis für die Scheinheiligkeit, Recht zu behalten, ist der Umgang mit dem Thema „Ehe und Familie“.

Im Geschäftsleben gibt es vielfältige „Kunstgriffe“ zur Rechtsbeugung, um den Anschein zu erwecken, Recht zu haben. Schwere Fälle landen vor Gericht als Betrug, unseriöse Vertragsgestaltung, Steuerverkürzung, Konkursverschleppung oder andere Verstöße gegen geltende Gesetze. Dann hilft Anwälten „Die Kunst, Recht zu behalten“ auch nicht weiter.

Manager richten durch „Die Kunst, Recht zu behalten“ großen Schaden an, wenn Basiswissen und Durchblick fehlen, um in streitigen Diskussionen zu überzeugen. Dann wird nur noch geherrscht und nicht mehr geführt. Der angerichtete Schaden bei frustrierten Leistungsträgern lässt sich nur selten beziffern, weil die Verursacher kein Interesse an der Aufklärung haben. Innere oder schriftliche Kündigungen sind die teuersten „Kunstgriffe“ von Führungskräften, um Sachdiskussionen zu beenden, denen sie nicht gewachsen sind.

 

 

 

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