Völkermord, Wahlkampf, Erdogan: Kiepenkerl-Blog

Völkermord ist schrecklich und wird gerne geleugnet. Weltliche und kirchliche Herrscher neigen dazu, die Vergangenheit auf Kosten der Wahrheit in ihrem Sinne darzustellen. Belastendes wird geleugnet, vertuscht oder totgeschwiegen, um die eigene Position heller erstrahlen zu lassen. Ein besonders aggressiver Strahlemann ist der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan. Er missbraucht die Staatsmacht, um Kritiker mundtot zu machen, die seine Verfehlungen und die seiner Familie anprangern oder seine Sicht von Staat und Islam nicht teilen.

Völkermord

Der Völkermord an den Armeniern – Foto Spiegel.de

Weil es zu seinem Weltbild passt, verharmlost Erdogan den Völkermord an den Armeniern als „trauriges Ereignis“. Doch vor 100 Jahren kam es auf dem Weg zur zwangsweisen Islamisierung des Osmanischen Reiches durch die Jungtürken zu einem Genozid, dem schätzungsweise 1,5 Millionen armenische Christen zum Opfer fielen. Sie wurden selektiert, ermordet oder verschleppt. Viele von ihnen starben, weil man sie in die Wüste deportierte und dort verdursten ließ.

Erdogan will um jeden Preis verhindern, dass die Gründung der Türkei in einen Zusammenhang mit den Gräueltaten des Glaubenskrieges im Nahen und Mittleren Osten gerückt wird. Deshalb ließ er die Geschichtsbücher umschreiben und die Medien gleichschalten. Der Historiker Wolfgang Koydl bescheinigt Erdogan eine „hysterische Persönlichkeit im Umgang mit der türkischen Geschichte.“

International regt sich Widerstand gegen die Geschichtsfälschung der türkischen Regierung in Sachen Völkermord an den Armeniern. Es ist gerade so, als würde Angela Merkel die Vergasung der Juden durch die Nationalsozialisten leugnen. Nach langem Zögern hat auch die Bundesregierung im März 2015 den Genozid an den Armeniern verurteilt.

In einer vergleichbaren Situation wie vor hundert Jahren fühlt sich Erdogan, nachdem er bei den letzten Wahlen die absolute Mehrheit im Parlament verloren hat. Der demokratische Wandel ist ein Erfolg der pro-kurdischen HDP, die mit 13 Prozent der Stimmen als kurdische Partei in die Nationalversammlung einzog.

Völkermord

Die Wahlergebnisse der AKP 2015 – Foto Deutsch-Tuerkische-Nachrichten

Der Wahlsieg ist vor allem dem charismatisch auftretenden HDP-Vorsitzenden Salahattin Demirtas zu verdanken. Er ist die Hoffnung vieler Türken auf einen demokratischen Wandel. Da Staatspräsident Erdogan wegen der drohenden Korruptionsermittlungen keinen weiteren Machtverlust akzeptieren kann, schürt er eine Verschwörungstheorie. Dazu zählt auch eine Anklage gegen Demirtas. Ihm werden die Störung der öffentlichen Ordnung und die Anstachelung zur Gewalt vorgeworfen. Erdogan versucht, die HDP zu kriminalisieren, damit ihre öffentliche Unterstützung schwindet.

In der Auseinandersetzung geht es um bewaffnete Kurdenproteste im Oktober vergangenen Jahres. Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen waren mehr als 30 Menschen getötet worden. Die Kurden gingen aus Wut auf die Straße, weil die Regierung in Ankara den von der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) bedrängten Kurden in Syrien nicht militärisch zu Hilfe kam.
Demirtas hat den Vorwurf bestritten, dass er und die HDP Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK unterhält und von ihr Anweisungen bekommt. Dies sei eine schmutzige Propaganda des türkischen Präsidenten Erdogan. Sollte es zu einem Prozess gegen den Chef der HDP kommen, drohen ihm bis zu 24 Jahre Haft.

Erdogan setzt auf innere Unruhen, um die Chancen der islamisch konservativen AKP bei den nächsten Wahlen zu verbessern. Da kam ihm der Selbstmordanschlag der Terrormiliz IS auf ein kurdisches Jugendtreffen im Grenzort Suruc mit 32 Toten gerade recht, um einen verbalen Kampf gegen die HDP in der Türkei zu führen und Luftangriffe auf PKK-Stellungen in Nord-Syrien anzuordnen. Damit wird der effektivste Gegner des IS bekämpft. Durch die Angriffe auf die PKK möchte Erdogan verhindern, dass an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei ein zusammenhängendes Kurdengebiet entsteht.

Gut zwei Monate nach der Parlamentswahl sind die Gespräche über eine Koalition zwischen der Regierungspartei AKP und den Oppositionsparteien gescheitert. Die Neuwahlen finden am 1. November 2015 statt.

Durch die militärische Beendigung des Friedensprozess mit der PKK bereitet Ankara den Boden für einen Wahlerfolg von Erdogans AKP. Bei den Menschen soll der Eindruck entstehen, dass nur die AKP in der Alleinregierung das Land wieder befrieden kann.

Ob nach diesem Geschichts- und Demokratieverständnis die Zukunft der Türkei in der Europäischen Union liegen kann, ist nach der militärischen Beendigung des Friedensprozesses mit der AKP fraglicher geworden.

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