Über die Physiognomie der Macht

Westfalen – Ein hervorstechendes Kinn, breite Wangenknochen und eine markige Stirn: Die Macht und der Herrschaftsanspruch haben offensichtlich eine ganz eigene, spezielle Physiognomie. Auch die Gesten sind klar, und die Körpersprache ist unmissverständlich. Wer die Macht hat oder sie beansprucht, weiß sich zu behaupten. Im Zweifel mit brachialer Gewalt. Das wissen wir nur zu gut aus der Geschichte. Der Maler Yaroslav Kurbanov hat sich gründlich mit Herrschaftssystematik auseinandergesetzt. Er hat den Herrschern, Königen, Kaisern und Imperatoren nicht hinter, sondern vor die Stirn geschaut. Verblüffend sind die Übereinstimmungen. Der Blick gen Osten zu dem aktuellen Machthaber in Moskau liegt dabei durchaus nahe. Vielleicht ist er sogar seine Antriebsfeder?!

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien - Plakatmotiv

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien – Plakatmotiv

In der Galerie Claus Steinrötter sind die Merkmale der Machthaber zu sehen wie in einem schaurigen Panoptikum. In Reih und Glied sind sie aufgereiht wie bei einer Insektensammlung. Sympathie mag dabei nicht aufkommen. Die Ausstellung “Ästhetik der Imperien” mit Werken des Malers Yaroslav Kurbanov lädt den Betrachter förmlich ein, seine Sinne zu schärfen und in den Gesichtszügen der Herrschenden von einst und heute zu lesen.

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien - Erstes Kaiserreich

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien – Erstes Kaiserreich

Kurbanov zitiert Statuen der Antike. Ihn faszinieren die Persönlichkeiten, die für geschichtliche Ereignisse stehen. Im Nachhinein scheint die Weltgeschichte Sache einzelner Personen zu sein. Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind nur mehr Staffage, sie bleiben im Hintergrund und haben lediglich die Funktion von Handlangern. Vielfach landen sie auch nach verlorener Schlacht im Massengrab des “unbekannten Soldaten”. Nur wenige taugen zu Helden. Es sind im doppelten Sinne große Köpfe, die die Geschichte bestimmen – bei allen Führern, Eroberern und Dikatoren zurückliegender Epochen mag dies unmittelbar ablesbar sein. Von Caesar bis Alexander, von Napoleon bis zu Hitler, Mussolini und Maotse Tung.

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien - Deutsches Reich

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien – Deutsches Reich

Und was ist mit Putin, möchte man fragen. “Auch in unseren Tagen spitzen sich politische Ereignisse zu und wir können uns fragen, welche Rolle wir dabei spielen. Auch heute behauptet Putin für ganz Russland zu stehen. Sind wir ein Publikum, das die Szene beeinflussen will, oder sind wir der Ohnmacht gewiss”, fragt Claus Steinrötter in seiner ebenso nachdenklichen wie klugen Einführung in die Ausstellung.

“Bei der aktuellen Ausstellung stellt sich mir die Frage nach der Zeitlichkeit in der Kunst. Wir stehen vor Bildern, die gegenwärtig gemalt worden sind, aber sie beziehen sich auf die Vergangenheit und die Antike. Kurbanov beschwört die Vergangenheit und holt mit seinen Figuren Inhalte in die Aktualität unseres Daseins”, erinnert Steinrötter. Die Gegenqwart ist allgegenwärt, selbst da, wo wir uns mit Häuptern aus der Vergangenheit beschäftigen. Die Geschichte wird immer interpretiert auf der Grundlage unserer aktuellen Sichtweise. Das hat sinnstiftende Vorteile, aber auch systematische Nachteile: Denn wir sehen nur das, was wir gerade sehen und bestätigt haben wollen. Dewr Zweifel an der Macht ist in diesen Gemälden unübersehbar.

“Wir stellen fest für unser Leben nehmen wir zur Bewältigung unserer täglichen Bemühungen Vergangenheit zu Hilfe”, erinnert Steinrötter. “Unsere Beurteilungen stehen unter dem starken Einfluss von Vorgedachtem und unsere Handlungen und Entscheidungen werden vor diesem Hintergrund gefällt. So sind auch wir in der Zukunft ein Handlungshintergrund für kommende Generationen als Vertreter einer Zeit, die wir verantworten.

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien - Die Macht zerbröselt.

Yaroslav Kurbanov: Ästhetik der Imperien – Die Macht zerbröselt.

Wir haben Lebensraum benutzt, wie eine Wohnung, die nun Nachfolger beanspruchen. So ganz toll sieht‘s nicht aus. Da muss Einiges geändert werden. Im Wesentlichen das Bewusstsein als Voraussetzung für Veränderung des Verhaltens. Da kann Kunst sicherlich hilfreich sein, weil sie diesen Zugang sucht, wie die Religionen auch.

Der moderne Mensch hat auf allen Gebieten seine Erkenntnisse ungeheuer erweitert, hat alle erdenklichen Findungen gemacht, Zusammenhänge entdeckt ,die ihm ermöglichen sich selbst zu überholen. Zeit hat er nicht gewonnen und seine Kenntnisse haben nicht zu tieferen Einsichten in Naturvorgänge geführt.

Es entsteht vielmehr der Eindruck, Wichtiges  sei verlorengegangen. Wir befinden uns als Gesellschaft in einer offensichtlichen Schieflage. Krieg ist immer noch ein entscheidendes Argument in der Auseinandersetzung. Dieses Rätsel verrät Zusammenhänge, ist aber ungelöst. Die Hoffnung, Kunst könne nachhaltig gesittetes Verhalten erwirken, ist leider eine Illusion –  die sie übrigens auch mit der Kirche teilt.”

Claus Steinrötter lässt keinen Zweifel daran, dass unsere Zeit ein Korrektiv benötigt. Aber er hegt auch Zweifel, Zweifel an den Möglichkeiten des Künstlers. “Das Kleinhirn überspringt bei geringstem Anlass alle Träume des Großhirns und röhrt alles kurz und klein, was Feingeister ersonnen haben. Große Monumente zerfallen zu Staub, wenn der Stumpfsinn darüber fegt. Es reicht ein Drängeln an der Kasse. Dennoch es bleibt die Hoffnung, dass über den Dialog mit der Geschichte und auch in der künstlerischer Auseinandersetzung ein Verständnis für den Sinn im Leben wächst. Jaruslav Kurbanov hat seinen Teil dazu beigetragen.”

Galerie Claus Steinrötter / Rothenburg 14-16 / 48143 Münster, Deutschland
Telefon 0251 – 44400
www.steinroetter.de

 

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