In Hagen habe ich das Abitur abgelegt. Die Stadt ist mir als gesichtsloser Mittelpunkt der Eisenindustrie in Erinnerung geblieben. Im Frühjahr 1945 lag die Innenstadt in Schutt und Asche. Beim Wiederaufbau ließen Fortschrittsglaube und die Pläne einer autogerechten Stadt die Reste der historischen Innenstadtbebauung verschwinden.
Begünstigt durch Hagens Stellung als Eisenbahnverkehrsknotenpunkt errichtete Peter Klöckner ab 1847 vor den Toren von Hagen die Hasper Hütte.
Das Werk begründete Hagens Position als ein bedeutendes Zentrum der deutschen Stahlindustrie im 20. Jahrhundert. Dort standen vier Hochöfen, je ein Siemens-Martin-, ein Thomas- und ein Elektroofen, außerdem ein Blech– und Profilwalzwerk. Die beim Abstich des Thomaskonverters aufsteigende riesige gelb-braune Rauchwolke breitete sich im gesamten Stadtgebiet aus und wurde von den Bewohnern Hasper Gold genannt.
Unter der Ruhrbesetzung fusionierte die Hasper Hütte 1923 mit dem Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein zur Klöckner-Werke AG.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 wurden Zwangsarbeiter eingesetzt, um Rüstungsgüter zu produzieren. Ab 1940 kamen Kriegsgefangene aus dem Lager in Hemer dazu. Ab 1942 betrieb die Hütte selbst ein Kriegsgefangenenlager, ein Polizeigefängnis und ein Straflager. Hier wurden Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, sowjetische Arbeiter, Mischlinge und als Halbjuden eingestufte Deutsche untergebracht. Nach Ende des Krieges durfte die Hütte mit Genehmigung der Besatzungsmacht den Betrieb im Dezember 1945 wieder aufnehmen.
Wenn früher von Hagen-Haspe die Rede war, dachte man auch an Brandt-Zwieback und die Spirituosen aus dem Hause Eversbusch. Die Hochöfen sind inzwischen erkaltet – nur der 46-prozentige Doppelwachholder hat überlebt. Das zweite h im Doppelwachholder ist kein Druckfehler, sondern hat lediglich alle Rechtschreibreformen überdauert und ist als traditionelles Element auf den Etiketten der Gins erhalten geblieben.
Überlebt hat auch ein Bonmot von Hänschen Eversbusch. Weil Hänschen in der Schule die Glocke nicht auswendig lernen konnte, schrieb sein Vater ihm folgende Entschuldigung: „Unser Hänschen kann die Glocke nicht lernen, schließlich sind wir in dritter Generation Schnapsbrenner.“
Als Rentner habe ich mich zum ersten Mal mit der bau- und kunstgeschichtlichen Bedeutung von Hagen beschäftigt. Inzwischen weiß ich, dass die Hagener Impulse einen Abschnitt in der Geschichte der Stadt Hagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Damals war Hagen eine Stätte für wichtige architektonische Entwicklungen in internationalem Maßstab.
Der Bankier und Mäzen Karl Ernst Osthaus holte in den Jahren nach der Jahrhundertwende bedeutende Architekten wie Henry van de Velde, Peter Behrens und Walter Gropius in die Stadt. Die begründeten den Ruf von Hagen als Bindeglied zwischen Jugendstil und Moderne.
Zentrum dieser Initiative waren die Künstlerkolonie in der Gartenstadt Hohenhagen, der Hohenhof und das Folkwang-Museum.
Der Hohenhof, das Wohnhaus von Karl Ernst Osthaus und seiner Ehefrau Gertrud, wurde 1906 bis 1908 als Gesamtkunstwerk nach Entwürfen von Henry van de Velde innerhalb der Gartenstadt erbaut. Es ist heute neben dem Kunstquartier einer der Standorte des Karl-Ernst-Osthaus-Museums.
Am südöstlichen Rand des Ruhrgebiets versuchte Karl Ernst Osthaus (1874 – 1921), mit seinem Folkwang-Gedanken, Kunst und Leben miteinander zu verbinden. Ausgehend davon wurden mehrere kulturelle Einrichtungen gegründet, die den Namen Folkwang tragen bzw. trugen. Der Name Folkwang ist in der nordischen Mythologie einer der Götterpaläste in Asgard, dem Heim der Assen, und Wohnsitz der Göttin Freya.
1902 wurde das Folkwang-Museum in Hagen eröffnet und entwickelte sich schnell zu einem wichtigen und wegweisenden Museum für moderne Kunst in Deutschland. Als erste öffentliche Sammlung zeigte man Werke von Paul Cézanne, Paul Gauguin, Henri Matisse und Vincent van Gogh. Nach dem Tod des Gründers Karl Ernst Osthaus im Jahr 1921 wurde die Sammlung 1922 vom Folkwang-Museumsverein der Stadt Essen erworben und mit dem Städtischen Kunstmuseum zum Museum Folkwang vereinigt. 1926 begann man mit der Errichtung eines Neubaus in Essen.
Damals besaß das Museum Folkwang bereits Weltruf. Trotzdem wurde es im Dritten Reich zur Zielscheibe von nationalsozialistischen Hetzkampagnen. Mehr als 1.400 Exponate wurden als entartet gebrandmarkt, beschlagnahmt und in alle Welt verkauft. Die Bomben des Zweiten Weltkrieges taten das Übrige und legten das Museum Folkwang in Schutt und Asche.
Nach Kriegsende wurde damit begonnen, durch Rückkäufe und Neuerwerbungen die Sammlung neu aufzubauen. 1960 eröffnete ein klassischer Neubau und erhielt 1983 einen Erweiterungstrakt.
Seit dem Kulturhauptstadtjahr RUHR 2010 ergänzte der spektakuläre Neubau des Architekten David Chipperfield das Folkwang-Museum.
Heute beeindruckt es durch eine gelungene Verschmelzung der alten und der neuen Trakte mit einem großen Tageslichtsaal und einem hellen Foyer. Die große Ausstellungshalle ist mit 1.400 Quadratmetern deutschlandweit die größte ihrer Art.
Das Folkwang-Museum besitzt Sammlungen von Malerei und Skulpturen des 19. Jahrhunderts, der klassischen Moderne, der Kunst nach 1945 und der Fotografie. Seit 2010 gehört außerdem das Deutsche Plakat Museum mit 350.000 Exponaten zur Sammlung.
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