Medizin-Nachwuchs erlebt Landarztpraxis

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Dass eine Landarztpraxis und ein Medizinisches Versorgungszentrum auf dem Land ein ertrebenswertes Ziel für die berufliche Zukunft sein kann, davon haben sich sechs Studentinnen und Stunden der Uni Witten/Herdecke im Märkischen Kreis ein Bild gemacht. Nach einer Woche Praxisleben hatten die angehenden Medizinerinnen und Mediziner dem Pressedienst Märkischer Kreis (pmk) viel Positives und Eindrückliches zu berichten.

Dr. Sebastian Vieregge, Lisa-Marie Voit und Praxismanagerin Anja Lang nahmen Medizinstudent Johannes Weiberg (3. v.l.) gern als Famulant in ihrem Medizinischen Versorgungszentrum in Plettenberg auf - Foto Ulla Erkens/Märkischer Kreis

Wie aus der klassischen Landarztpraxis ein Medizinisches Versorgungszentrum mit vielen Vorteilen wird, davon konnte sich Medizinstudent Johannes Weiberg (3. v.l.) in Plettenberg ein Bild machen. Dr. Sebastian Vieregge, Lisa-Marie Voit und Praxismanagerin Anja Lang nahmen ihn gern als Famulant in ihrem Medizinischen Versorgungszentrum in Plettenberg auf – Foto Ulla Erkens/Märkischer Kreis

Einen Unterschied zu einer Hausarztpraxis in der Großstadt hat Medizinstudent Johannes Weiberg beim Hausarztzentrum in der sauerländischen Kleinstadt Plettenberg schon ausgemacht: “Hier herrscht eine lustige Atmosphäre. Der Arzt wird von vielen Patienten geduzt. Es ist sehr familiär. Klar kennt der Hausarzt in der Stadt auch die Krankenakte seines Patienten, bleibt aber weitgehend distanziert. Hier weiß der Arzt offenbar alles, kennt sämtliche Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse”.

“Kein Wunder”, meint Praxismanagerin Anja Lang, “schließlich ist Dr. Sebastian Vieregge in die Fußstapfen seines Vaters getreten und in Plettenberg bekannt wie ein bunter Hund.” Johannes Weiberg darf Dr. Vieregge bei der Behandlung der Patienten nicht nur über die Schulter schauen. Nach Einverständnis des Betroffenen und unter Anleitung des Arztes kann er auch selbst Hand anlegen und einzelne Diagnose- und Behandlungsschritte nachvollziehen. Der Hausarzt bezieht den Medizinstudenten im dritten Semester bei den Patientengesprächen mit ein und wie in einem Quiz fragt er, auf welche Erkrankungen die Symptome schließen lassen und welche Therapie der Student vorschlage. Eine bessere Eins-zu-eins-Betreuung kann sich Weiberg nicht wünschen. Früh morgens geht es ins Labor: Eine gute Schule fürs Blutabnehmen. “Den Ablauf der einzelnen Handgriffe muss man einfach gut trainieren. Für den nächsten Schritt muss immer eine Hand frei bleiben”, erklärt der Famulant. Er ist froh, in letzter Minute noch für das LOCALHERO-Projekt berücksichtigt worden zu sein. “Als kurzfristig ein Famulatur-Platz freigeworden ist, habe ich mich sofort beworben und den Zuschlag erhalten”, erzählt er und bereut den Schritt nicht – im Gegenteil: “Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, mit denen ich bisher gesprochen habe, schwärmen davon, wie viel Mühe sich die Projektkoordinatoren der Uni und der beteiligten Kreise geben, wie persönlich und herzlich die Ansprache ist. Das kann ich nur bestätigen”, sagt der Medizinstudent. Er ist überrascht, aber auch sehr dankbar dafür, bereits im dritten Semester so wertschätzend behandelt und umworben zu werden. Auch das Begleitprogramm des Kreises unter anderem mit Besuch der Burg Altena und der Phänomenta, Vorstellung des Projekts MobilSorglos und Stand Up Paddling an der Oestertalsperre, fand er sehr ansprechend. Das findet auch Isabelle Kapsa, die ihre Famulatur in einer Landarztpraxis in Werdohl absolviert hat. “Ich nehme viele Eindrücke und Erfahrungen mit, die ich in einer größeren Stadt nicht hätte sammeln können. Dadurch, dass es einen Fachärzte-Mangel in der direkten Nähe gibt, kommen Patienten mit den verschiedensten Problemen in die Praxis. Die Patientenversorgung ist somit vielseitig und abwechslungsreich”, ist ihr Fazit.
Die Famulaturen haben Torsten Sauer und Katharina Müller von der Gesundheits- und Pflegeplanung des Märkischen Kreises vermittelt. “Als der Kreis unser Hausarztzentrum in Plettenberg angefragt hat, haben wir ohne Zögern ja gesagt. Für uns ist die nachhaltige Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung insbesondere auch die hausärztliche Versorgung im ländlichen Raum enorm wichtig. Schon jetzt gibt es kreisweit zu wenig Hausärzte,”, meint Lisa-Marie Voit Syndikusrechtsanwältin der geschäftsführenden Prange Gesundheits GmbH. Sie hält das LOCALHERO-Projekt für einen sinnvollen Ansatz, frühzeitig junge Medizinstudenten für den Hausarztberuf zu interessieren.

Ein Hausarztszentrum bietet Ärztinnen und Ärzten Vorteile

Bei dem Hausarztzentrum handelt es sich aus Sicht der Gesundheits- und Pflegeplanung des Kreises um ein interessantes Modell der zeitgemäßen Landarztpraxis-Organsiation: Auf Initiative von Dr. Sebastian Vieregge haben sich mehrere Hausarztpraxen in Plettenberg unter einem Dach zusammengetan. Dr. Vieregge gründete kreisweit das erste medizinische Versorgungszentrum und holte sich zur kaufmännischen Unterstützung die Prange Gesundheits GmbH ins Boot. Während die Prange Gesundheits GmbH sich um alle Geschäfts-, Rechts- und Verwaltungsfragen der Praxisgemeinschaft kümmert, arbeiten die Ärzte jetzt als Angestellte und können sich ganz auf ihren Heilberuf konzentrieren. Auch die Kosten und das damit verbundene Risiko für die technische Ausstattung muss jetzt nicht mehr jeder einzelne Arzt tragen, sondern wird vom Medizinischen Versorgungszentrum übernommen. Ein weiterer Vorteil: Die Arbeitszeiten der Ärzte können flexibel gestaltet werden und die gegenseitige Vertretung ist gesichert. So ist es beispielsweise möglich, dass der Senior-Arzt mit über 70 Jahren noch in Teilzeit praktizieren kann. Zudem können sich die Hausärzte spezialisieren und nach ihren Interessen eine eigene Nische finden, beispielsweise in der Palliativmedizin, der Diabetologie, der Chirotherapie oder in Naturheilverfahren und Akkupunktur. Von dem Klischee, dass sich Hausärzte und Hausärztinnen in einer Landarztpraxis nur mit Schnupfen und Bauchschmerzen befassen, ist das weit entfernt.

Respekt vor der Leistung der Ärzte

Von dem täglichen Patientenansturm in der einer Landarztpraxis ist Johannes Weiberg erstaunt und zollt seinen Respekt vor der Leistung der Ärzte, für die ein Zwölf-Stunden-Arbeitstag normal ist. “Die Ärzte arbeiten am Limit”, bestätigt auch Anja Lang. Zum Praxisalltag kommen noch stundenweise Notdienste am Abend oder am Wochenende entweder als Notfallsprechstunde im Krankenhaus oder als Rufbereitschaft für Hausbesuche. Weiberg will Mediziner aus Überzeugung werden: “Ich habe mich für den Beruf entschieden, weil ich den Kontakt zu Menschen suche und Menschen helfen möchte”, sagt er. Im Vorfeld hat er daher schon mehrere Praktika gemacht und sein Freiwilliges Soziales Jahr in der Pflege absolviert. “Das war die Zerreißprobe. Danach stand mein Entschluss fest,” reflektiert er im Nachhinein.
Ganz bewusst hat der Freiburger auch für die vergleichsweise kleine Privatuni Witten/Herdecke ausgewählt. Er schätzt die persönliche Atmosphäre im Studium. “Ich hatte auch Studienplatzangebote in Hamburg und München.” Letztlich wollte er aber nicht im Massenbetrieb untergehen. “Die großen Unis sieben anfangs bis zu 50 oder 60 Prozent der Medizinstudenten aus. Diesem Druck wollte ich mich nicht aussetzen”, erklärt Weiberg. Da nimmt er lieber die Studiengebühren in Kauf, die er im Rahmen eines Generationenvertrags erst nach Abschluss seines Studiums zahlen muss.
Noch weiß der junge Medizinstudent nicht, in welche Facharztrichtung er sich später nach seinem Praktischen Jahr spezialisieren will. Aufgrund der stressigen Arbeitsbedingungen und des Schichtdienstes im Krankenhausbetrieb sieht er langfristig durchaus die Vorteile in einer Niederlassung mit eigener Praxis. Für Isabelle Kapsa kommt ein Beruf als Hausärztin durchaus in Frage. Sie ist schon jetzt sehr an der Allgemeinmedizin interessiert.
Auf ihre zweite Famulatur im nächsten Jahr freuen sich die angehenden Mediziner schon jetzt. “Es ist schön, dass das Projekt langfristig angelegt ist und die Kontakte vertieft werden können”, sagt Weiberg.

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