Was sind Werte? Die Frage bedarf der Eingrenzung, wenn man sich nicht im Dickicht der Werte und Zahlen verlieren will. In der vom Wertewandel geprägten Welt definiert man Werte auch als Wesensmerkmale von Personen innerhalb einer Wertegemeinschaft.
Die Europäische Union gilt als länderübergreifendes positives Beispiel für eine Wertegemeinschaft – trotz der Verstöße von Ungarn und Polen gegen grundlegende Bestimmungen.
Das Wort „Werte“ stammt aus dem Germanischen und bedeutet Kostbarkeiten und im Althochdeutschen steht „werd“ für alles, was wertschaffend entstanden ist. Bei den alten Griechen war „axia“ der Begriff, mit dem über Werte diskutiert wurde. Später nannte man die Lehre von den Werten „Axiologie“.
Die einzelne Nation als Wertegemeinschaft bescherte den Staaten im 19. und 20. Jahrhundert manchen Wertekonflikt, der sich selten friedlich lösen ließ. Wir, mit dem Vorzug der späten Geburt, können kaum nachvollziehen, mit welchem Ergebnis wir uns zu Lebzeiten unserer Eltern angesichts der damals geltenden Wertvorstellungen auseinandergesetzt hätten. Denjenigen, die die heutigen Wertmaßstäbe an nicht erlebte frühere Zeiten anlegen, möge der Beweis des Gegenteils erspart bleiben.
Angesichts der großen gesellschaftlichen Umbrüche seit den 1950er/1960er Jahren wird häufig vom Werteverfall gesprochen. In wissenschaftlichen Forschungen ist aber eher ein Wertewandel statt eines Werteverfalls messbar. Negative Beispiele liefern die Schulen, in denen erkennbar die Autorität von Lehrerinnen und Lehrern als Respektspersonen abgelehnt wird. Auch Polizistinnen und Polizisten sowie Ordnungskräfte, Sanitäter und Feuerwehrleute müssen als „Blitzableiter“ herhalten.
Erschreckend ist, dass traditionelle oder moralische Verpflichtungen lediglich in Abhängigkeit von der persönlichen Motivation, Einsicht oder Überzeugung übernommen werden. Besonders lautstark gebärdet sich die Grupp der „Querdenker“. Das sind Wutbürger, die sich aktuell gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie oder gegen Impfungen richten. Alles, was nicht voll dem Mainstream entspricht, wird auf Transparenten und im Internet in übelster Weise verunglimpft. Dieser medienwirksamen Gruppe haben sich auch Verschwörungsanhänger und „Reichsbürger“ angeschlossen.
Über Jahrhunderte gab die Bibel die Werte der christlichen Leitkultur vor. Insbesondere galten die „Zehn Gebote“ als Wertmaßstäbe, die Gott den Israeliten durch Moses auf dem Berg Sinai kurz nach dem Auszug aus Ägypten gegeben hatte.
Werte stellen allgemeine Zielorientierungen des Handelns dar. Diese Ziele werden von Menschen unterschiedlich geschätzt und erstrebt. Doch Wissen ist der erste Schritt zur Lösung.
Zwischen Werten und Normen besteht ein enger Zusammenhang. Jedem Wert kann eine bestimmte Norm als Handlungsregel zugeordnet werden. Umgekehrt gibt es zu jeder Norm einen bestimmten Wert, der durch die Norm verwirklicht werden soll. Am Beispiel „Verantwortung“ wird der Zusammenhang zwischen Wert und Norm deutlich: Verantwortung = Wert; Norm = Du sollst für die Folgen deiner Handlungen einstehen!
Ich habe immer gesucht, was zu tun ist – und habe es getan. Dass ich für das Ergebnis einstand, war selbstverständlich. Von großen Ankündigungen hielt ich nichts.
Im Gegensatz dazu lebte Donald Trump der Öffentlichkeit seit seinem Einzug ins Weiße Haus einen eigenen Wertekanon vor. In seiner Amtsführung ließ er keinen Stein auf dem anderen. Kein Bündnis, kein Pakt und keine Allianz waren vor seinen machtstrategischen Alleingängen sicher. So zeigte er sich öffentlichkeitswirksam als bibeltreuer Prophet, um bei der Tea-Party-Bewegung Stimmen einzusammeln.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit bezeichnete seine Pressesprecherin den Wahlsieg als gottgewollt: „Ich denke, Gott ruft uns alle, um verschiedene Rollen zu verschiedenen Zeiten einzunehmen und ich denke, er wollte, dass Donald Trump Präsident wird.“
Sie vergaß zu erwähnen, dass Gott den Präsidenten per Twitter von der Einhaltung der „Zehn Gebote“ entpflichtet hat. So lebte und regierte er nach einem eigenen Wertekanon. Der Öffentlichkeit gaukelte er Ehrlichkeit (Wert) vor. Doch seine Politik lebte von plumpen Lügen (Normen).
Die Faktenprüfer der „Washington Post“ arbeiteten in einer Untersuchung heraus, dass Trumps erstes Amtsjahr immerhin noch das ehrlichste von allen war. 2017 machte er durchschnittlich 2,9 falsche Aussagen pro Tag in der Öffentlichkeit oder auf Social-Media-Plattformen. Für 2018 zählten die Journalisten dann bereits 8,3 tägliche Lügen. Bis zum Ende seiner Amtszeit verbreitete der Ex-Präsident so viele Unwahrheiten, dass der Fernsehsender CNN beispielsweise nachträglich seine Behauptungen widerlegen mussten und er auf den Plattformen Twitter und Facebook gesperrt wurde.
Donald Trump hat mit seiner christlichen Scheinheiligkeit bei der Wahl am 3. November 2020 über 73 Millionen Stimmen erhalten – zehn Millionen mehr als 2016. Zum Glück reichte das nicht für einen landesweiten Sieg der Republikaner!
Einen gewissen Anteil an Trumps Erfolg hat der kanadische Sprachwissenschaftler Samuel Hayakawa. Er untersuchte vor 70 Jahren den Einfluss von Propagandaminister Joseph Goebbels auf die Politik der Nationalsozialisten. Die gipfelte am Ende seiner Sportpalast-Rede in der suggestiven Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Die tosende Antwort war „JA !!!!“
Bei seinen Analysen stellte Hayakawa fest, dass Werbung meist leeres Gerede ist, aber unser Denken und Handeln beeinflusst. In der Werbung können Worte „Wagenladungen voll Seife oder Kuchen in Bewegung setzen“. In der Politik lassen Worte Menschen auf Straßen marschieren. Andere Menschen werden durch Worte aufgestachelt, Andersdenkende oder Ordnungskräfte mit Steinen zu bewerfen.
Wie aktuell Hayakawas Beobachtungen sind, sieht man im Internet und beim Sturm aufs Kapitol während der Amtseinführung von Joe Biden.
Leeres Geschwätz, plumpe Lügen und nicht zu belegende Behauptungen sind nur heiße Luft. Doch stereotyp wiederholt werden haltlose Behauptungen bei unbelehrbaren Anhängern zu verhängnisvollen Wahrheiten. So leicht lassen sich Menschen manipulieren!
Von einem Axiom spricht man, wenn es sich um eine Wahrheit handelt, die keines Beweises bedarf. Nicht ohne Grund gilt Jens Spahn als Meister des Ankündigungs-Axiomismusses, denn er verspricht Fortschritte, die sich alle wünschen, um anschließend zurückzurudern.
Speak Your Mind