Katholizismus und Aufklärung: Kiepenkerl-Blog

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Nach einem Vortrag von Hubert Wolf, der als Professor an der Universität Münster katholische Kirchengeschichte lehrt, sind mir folgende Gedanken über Katholizismus und Aufklärung in Erinnerung geblieben.

Katholizismus und Aufklärung

Passen Katholizismus und Aufklärung zusammen? Minerva, die römische Göttin der Weisheit, spendet das Licht der Erkenntnis, wodurch die Religionen der Welt zusammenfinden (Daniel Chodowiecki, 1791); Foto: Wikipedia

Wenn von den Werten unserer westlichen Gesellschaft die Rede ist, werden Demokratie und Aufklärung als herausragende Eigenschaften des grundgesetzlich verankerten Führungsverständnisses angeführt. Gegenüber anderen Religionen bringt man gern das Christentum in Stellung. Dabei wird übersehen, wie hart der Vatikan bis ins 20. Jahrhundert gegen Erkenntnisse der Vernunft zu Felde gezogen ist. Die Geschichte der katholischen Kirche ist die Geschichte von Güterabwägungen. Die Päpste hatten mehr Angst vor Demokratie und Aufklärung als vor Diktatoren. In den letzten Jahrzehnten hat die Kirche die militante Ablehnung der Aufklärung revidiert. Doch noch immer sind Demokratie und Dialog kein Selbstverständnis. Das Zweite Vatikanische Konzil bestätigte die Vorstellung von einer Kirche, die der ständigen Erneuerung und Reform bedarf. Im Lateinischen steht das Wort ‘reformatio‘ sowohl für Reform als auch für Reformation. Wer Reformationen forderte, wurde lange als „Kryptoprotestant“ verdächtigt. Das lag auch daran, dass in der Römischen Kurie das eigenständige politische Handeln nicht vorgesehen war. Rom gab Weisungen und die katholischen Politiker parierten. Erst in der Moderne wurde es möglich, die Neuformierung des Katholizismus als ‘katholische Reformation‘ zu bezeichnen.

Dringenden Reformbedarf gibt es auch im Blick auf die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Bereits im Römerbrief (16.1) wird eine Diakonin bezeugt. In kirchlichen Führungspositionen sind Frauen ebenfalls denkbar, denn für eine Verwaltungsfunktion ist keine sakrale Kompetenz notwendig, sondern Professionalität. Und diese wird nicht durch die Weihe übertragen. Der in diesem Zusammenhang von Würdenträgern gern genutzte Satz, „Ich würde ja gern – aber es war ja schon immer so.“, hilft an dieser Stelle nicht weiter. Reformen erfordern die Bereitschaft, etwas Vergessenes oder Unterdrücktes zurückzuholen.

Eine ganz besondere Rolle fällt Maria aus Magdala in der Ostergeschichte zu. Im Grab sah sie einen weißgekleideten Jüngling, der ihr die Auferweckung von Jesus verkündigt und sie beauftragt, Petrus und den anderen Jüngern zu sagen, dass sie Jesus in Galiläa wieder sehen werden. Wenn eine Frau von Gott dazu auserwählt war, den männlichen Jüngern die Auferstehung zu bezeugen, dann gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, Frauen die Spendung der Sakramente zu verweigern oder sie von der Kirchenführung auszuschließen. Mit der Aktion Maria 2.0 haben sich Frauen unüberhörbar zu Wort gemeldet, die in der Kirche unentbehrliche ehrenamtliche Dienste leisten. Gegenüber dieser Bewegung des Betriebspersonals müssen katholische Kirche und Katholizismus Reformfähigkeit beweisen. Es braucht Brückenbau, Streitkultur, nicht verbohrten Rückzug auf ideologische Brückenpfeiler, sonst mutiert die Kirche zur Sekte.

Bei der Weihnachtsansprache im Jahr 2013 hat Papst Franziskus vor der römischen Kurie deutliche Kritik geübt. Konkret nannte er etwa „sich unsterblich fühlen”, „mentale Erstarrung”, „spirituellen Alzheimer” und den „Terrorismus des Geschwätzes”. „Die Kurie ist dazu aufgerufen, sich zu verbessern und in Gemeinschaft, Heiligkeit und Weisheit zu wachsen”, forderte der Papst. Auch die „existenzielle Schizophrenie” derjenigen, die ein Doppelleben führen, prangerte der Pontifex in seiner Ansprache an. Genauso schlimm sei die Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen. Auch die „Krankheit des Geschwätzes, des Gemunkels und des Tratsches” verurteilte der Heilige Vater und verglich die von Intrigen und Affären erschütterte Kirchenverwaltung mit einem „Orchester, das schief spielt”. Inzwischen entstand im Vatikan ein eigenes Finanzministerium, und ein Rat aus acht Kardinälen wurde eingesetzt, um Reformen zu erarbeiten. Das ist eine Herkulesaufgabe, denn als heilige unfehlbare Kirche wurde sie konfliktimmun.

Ein generelles Problem ist, dass die Päpste grundsätzlich Einzelgespräche mit den Kardinälen führen. Damit ist Teamarbeit oder breit angelegte Information und Kommunikation nur beding möglich. Ein Beispiel liefert die Aufhebung der Exkommunikation des Holocaustleugners Bischof Richard Nelson Williamson von der Priesterbruderschaft St. Pius X. durch Benedikt XVI. im Jahr 2009. Als der Papst mit den antisemitischen, frauenfeindlichen und verschwörungstheoretischen Äußerungen von Williamson konfrontiert wurde, sagte er: „Das habe ich nicht gewusst.“ Hätte er aber wissen können! Nicht parteiische Kardinäle hätten ihn sicherlich gewarnt – doch die waren zu Einzelgesprächen nicht eingeladen.

Passen Katholizismus und Aufklärung zusammen? Schon früh haben katholische Laien für ein Ende ihrer Unmündigkeit gekämpft und aufgeklärte Theologen emanzipierten sich von Rom. Doch noch im Jahr 1979 wurde dem herausragenden Theologen Prof. Dr. Hans Küng mit Billigung von Papst Johannes Paul II die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen, weil er sich in seinen Büchern kritisch mit den Ansichten der Amtskirche auseinandergesetzt hatte. Er war nicht bereit, den Phantomschmerz der Ewiggestrigen zu bedienen.

Papst Franziskus bedauert in seinem 2013 veröffentlichten apostolischen Schreiben, dass die Bischofskonferenz – entgegen dem Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils – noch immer keine Satzung vorgelegt hat, die sie „als Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen“ versteht, auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität. Die Konsequenzen, die er daraus zieht, entsprechen durchaus dem Subsidiaritätsprinzip, auch wenn es hier nicht ausdrücklich genannt wird: „Es ist nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten entstehen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen ‘Dezentralisierung’ voranzuschreiten.“ Die Probleme der praktischen Umsetzung in Deutschland zeigen sich deutlich in den unterschiedlichen Auffassungen des Reformers Kardinal Reinhard Marx – Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof von München und Freising – und des Statikers Kardinal Rainer Maria Woelki – Erzbischof von Köln. Der torpediert den ökumenischen Kurs von Marx, ist gegen Mitbestimmung in der Kirche und sexuelle Vielfalt.

Prof. Dr. Hubert Wolf wurde fürs eine wissenschaftliche Arbeit und den Dialog mit der Öffentlichkeit mit dem Leibniz-Preis, dem Communicator-Preis und dem Gutenberg-Preis ausgezeichnet. Nach seinem Vortrag am 8. Oktober 2019 im Pfarrzentrum St. Bernhard in Angelmodde erhielt er sechs Golfbälle, edle Pralinen und anhaltenden Beifall.

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