Münster: Magischer Ort mit Pendel

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Münster – Es ist ein magischer Ort, der sich seit diesem Sonntag in Münster geöffnet hat. In der Dominikanerkirche, einem barocken Kleinod, das mitten in der Stadt an der Salzstraße liegt, wurde ein großartiges Kunstwerk der Öffentlichkeit übergeben, das für eine große Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus sorgen dürfte. Der weltberühmte Maler und Bildhauer Gerhard Richter hat für Münster ein Kunstwerk geschaffen, das in der Deutschland-Karte für Kultur- und Kunstinteressierte einen hervorgehobenen Platz einnehmen wird: “Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel”, ein Foucaultsches Pendel mit einer 48 Kilogramm schweren Metallkugel, die im Zentrum des Gebäudes zwischen vier hochrechteckigen, verspiegelten Glasbahnen an einem 28,75 Meter langen Edelstahlseil schwingt.

Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel: Die Dominikanerkirche beherbergt das neue Kunstwerk von Gerhard Richer – eine Installation mit Foucaultschem Pendel – Foto: Münsterview/Tronquet

Für die Betrachter wird der Besuch der profanierten Kirche zur Begegnung mit der Zeit und mit ihrer Vorstellung von Wirklichkeit. Die Kirche ist ab dem 19. Juni dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Anlässlich der Übergabe der Arbeit am 17. Juni steht sie an diesem Tag bis 20 Uhr und am Montag, 18. Juni, von 11 bis 18 Uhr offen (Eintritt frei). Während die Besucher neugierig in die Kirche drängen, schwingt das Pendel gewissermaßen im Rhythmus der Erde. Die Erde dreht sich – unbeeindruckt von allem, was Menschen gerade auf ihr veranstalten – um sich selber und unter dem Pendel weiter.

“Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel” von Gerhard Richter in der Dominikanerkirche im Zentrum von Münster. – Foto: Presseamt Münster / Michael C. Möller

Das Pendel schwingt geräuschlos und versetzt den Betrachter in eine meditative Stimmung und in Art Trance. Minutenlang verharrt man ehrfurchtsvoll vor diesem gigantischen Metronom, um die minimalen Bewegungen des Pendels im Uhrzeigersinn wahrzunehmen.

Die Realisierung eines Foucaultschen Pendels war ein langjähriges Anliegen von Gerhard Richter. Die Suche nach einem geeigneten Ort blieb rund 25 Jahre erfolglos. Erst der Kontakt zu Skulptur Projekte-Kurator, Professor Kasper König, brachte den Durchbruch. Der Künstler kam – unbemerkt von der Öffentlichkeit – nach Münster und ließ sich herumführen und mögliche Orte in Augenschein nehmen. Der Gasometer am Rande von Münster schied rasch aus. Eine weitere Option war die Dominikanerkirche, die kurz vor der Profanierung stand und für die Stadt noch keine mehrheitsfähige Konzeption hatte. Dort zündete der entscheidende Funke.

“Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel” von Gerhard Richter in der Dominikanerkirche im Zentrum von Münster – Foto: Presseamt Münster / Michael C. Möller

Das nach Entwürfen von Lambert Friedrich Corfey im ersten Viertel des 18.  Jahrhunderts errichtete Gebäude befindet sich im Eigentum der Stadt. Gerhard Richter fand in der Kirche spontan nicht nur seinen idealen Ort für ein Pendel. Sie inspirierte ihn für ein neues, dauerhaft installiertes Kunstwerk. Nach einstimmiger  Zustimmung im Stadtrat – so schnell ist in der Stadt selten ein Projekt auf den Weg gebracht worden – wurde die Kirche im November 2017 profaniert und präsentiert sich den Besuchern nun als ein offener und lichtdurchfluter Kunstraum. Das Pendel ist unzweifelhaft im Fokus. Nichts lenkt von seiner Wahrnehmung ab. Dafür wurde der Altar auch hinter einem Vorhang verborgen, damit es zu keiner Ablenkung kommt.

Die Arbeit von Gerhard Richter befindet sich im Zentrum des Gebäudes unter der Vierungskuppel. Sie besteht aus drei Teilen: dem Pendel, der Schwingungsebene und den zwei grauen Doppelspiegeln. Sie bilden mit  dem Raum eine Einheit.

Bei dem Foucaultschen Pendel handelt es sich um eine 48 Kilogramm schwere, nichtmagnetische Metallkugel mit 22 Zentimeter Durchmesser, die in der Vierungskuppel an einem drei Millimeter starken Edelstahlseil befestigt ist. Sie schwingt über einer kreisrunden, äquivalent zur Bewegung des Pendels gewölbten Platte aus Grauwacke, einem 380 Millionen Jahre alten Sedimentgestein. Diese Schwingungsebene umgibt ein Kranz mit 360 Grad Winkelmaß-Skalierung, in Zwölferschritten eingeteilt. Die Bodenplatte mit Schwingungsebene und Kranz hat einen Durchmesser von 5,6 Meter (Schwingungsebene: vier Meter).

Ein Magnetfeldantrieb im Zentrum der Bodenplatte sorgt für die ununterbrochen gleichmäßige Bewegung des Pendels. Im Verlauf einer Stunde dreht sich die Ebene unter dem Pendel um 12 Grad nach Osten – entsprechend dem “Sterntag”, an dem sich die Erde einmal um die eigene Achse dreht und der in Münster etwa 30 Stunden zählt. Damit wird die erstmals im Jahr 1851 von dem französischen Physiker Léon Foucault in einem Pendelversuch nachgewiesene Erdrotation sichtbar.

Großer Bahnhof zur Eröfnung: Gerhard Richter, Markus Lewe  (Mitte) und zahlreiche Mitstreiter aus der Stadt, der Kunsthalle, dem Physikalischen Institut sowie Unterstützer aus der heimischen Wirtschaft präsentieren voller Stolz der Presse die Eröffnung des Kunstwerkes in der Dominikanerkirche – Foto: Presseamt Münster / Michael C. Möller

Vor den zwei Wandflächen der Vierung befinden sich paarweise gruppiert jeweils zwei hochrechteckige Glasbahnen mit den Maßen sechs mal 1,34 Meter. Die Vorderseiten sind mit einer Verspiegelung bedampft, die Rückseiten sind grau emailliert – zwei Bahnen in einem identischen Dunkelgrau, die anderen in zwei unterschiedlichen hellen Grautönen. In den Glasbahnen spiegeln sich der Innenraum der Kirche und die Glasbahnen vor der gegenüberliegenden Wandseite, die Bewegung des Pendels und die Besucher.

Beim Besuch der Dominikanerkirche zur offiziellen Eröffnung zeigt sich der wortkarge Künstler von der Realisierung der Installation begeistert. “Ich bin ganz verzaubert”, erklärte er während der Pressekonferenz in der Dominikanerkirche.

Ganz im Sinne des Künstlers soll der neue Kunstort nicht musealisiert werden. Er soll künftig als Ort für künstlerische und kulturelle Veranstaltungen offen stehen und insbesondere auch experimentellen Formaten einen Raum geben. Denkbar sind etwa musikalische, literarische oder performative Darbietungen sowie experimentelle Filmkunst und Vorträge. Auch für Hearings, kleinere Tagungen oder Empfänge soll die Kirche genutzt werden – als Forum für Münsters Stadtgesellschaft, in dem wissenschaftliche wie gesellschaftliche Diskurse möglich sind.

Um diese Nutzung zu ermöglichen und für ohnehin anstehende Arbeiten zur Erhaltung des Baudenkmals soll das Gebäude voraussichtlich 2019/2020 saniert, renoviert und mit der erforderlichen Infrastruktur wie Heizung, barrierefreiem Zugang, Funktionsräumen und Beleuchtung versehen werden.

www.stadt-muenster.de/dominikanerkirche (mit Live-Bildern vom Pendel)

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