Duisburg – Bereits im vergangenen Jahr elektrisierte der belgische Regisseur Luk Perceval das Publikum bei der Ruhrtriennale. Seine Bearbeitung des 20-bändigen Romanzyklus von Émile Zola weckte und erfüllte zugleich höchste Erwartungen.
Perceval hat sich einer wahren Herkulesaufgabe gestellt, die der Leistung Émile Zolas in nichts nachsteht. Er will das gigantomanische Romanwerk in drei abgeschlossenen Stücken auf die Bühne bringen. Die “Trilogie meiner Familie” schreitet in jedem Jahr einen Schritt weiter fort. Der Reigen wurde im vergangenen Jahr mit dem Stück „Liebe“ eröffnet. In diesem Jahr widmet sich das Ensemble des Hamburger Thalia Theaters der Sucht nach Geld, Reichtum und Luxus. Das Stück trägt den schlichten Titel „Geld“. Dabei gibt es zwei Stunden pralles Theater zu sehen, in dem die Geschichte der Familie Rougon-Macquart im Frankreich der industriellen Revolution erzählt wird.
In „Geld“ setzt sich das Motiv der Sucht in der Familiengeschichte fort: nicht als Verlangen nach Alkohol und Liebe, sondern als Gier nach Macht und Besitz, Geld und maximaler Gewinnsteigerung. Émile Zola, dessen Romane „Nana“, „Das Paradies der Damen“ und „Das Geld“ die Vorlage dieser Bühnen-Trilogie bilden, schildert als Zeuge seiner Zeit sehr genau, mit welch naivem Enthusiasmus die ersten luxuriösen Kaufhäuser errichtet und die ersten großen Börsengeschäfte betrieben worden sind. Immer größer und üppiger werden die Auslagen im Kaufhaus bis der unvermeidliche Zusammenbruch naht. Geblendet von Visionen endloser Expansion “fliegen seine Figuren mit wächsernen Flügeln in die Sonne”.
Die Geschichte der drei Romane hat Perceval auf gut gewählte Schlüsselszenen eingedampft. Sie drehen sich vor allem um die Edelprostituierte Nana und den Kaufhausbesitzer und Spekulanten Saccard. Die Botschaft steht gleich von vorneherein fest: Geld verdirbt die Welt und vor allem den Charakter aller Personen.
“Neben Nana steht eine weitere Frau im Zentrum dieses zweiten Teils: die junge Angestellte Denise. Sie versucht sich als Verkäuferin in Saccards ständig wachsendem Kaufhaus durchzusetzen. Denise wird von den Ideen des Sozialismus und Kommunismus inspiriert. Durch ihre Zurückhaltung und ihre Intelligenz fasziniert sie Saccard, und sie nimmt entscheidend Einfluss auf die Organisation der Firma. Nana und Denise sind zwei besondere Frauenfiguren, die in einem ähnlich agressiven Umfeld mit gegensätzlichen Mitteln um Freiheit, Souveränität und Gleichheit kämpfen.” (Programmheft)
In dem bildreichen Reigen kommt niemand ungeschoren davon. Alle scheitern an ihrem Wahn, in diesen chaotischen Zeiten des Aufbruchs und der Geldgräberstimmung ihr Geld machen zu wollen. Man geht förmlich über Leichen. Die Fratze des Kapitalismus blitzt überall durch. Anspielungen und Ähnlichkeit mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation sind nicht zufällig, sondern gewollt. Die Gier nach Geld ist aktueller denn je.
Man wird an die zurückliegende weltumspannende Bankenkrise erinnert und zumindest unterschwellig lässt auch der Flüchtlingsstrom aus dem Nahen Osten grüßen. Saccard ist Stellvertreter für all jene, die bereits zu Zeiten des Frühkapitalismus in Syrien und anderswo ihre Geschäfte machen und mit für die gesellschaftlichen Verwerfungen und kriegerischen Auseinandersetzung gesorgt haben, deren Folgen wir heute zu spüren bekommen. In der Zeit von Nana und Saccard pervertiert die Bedeutung des Geldes rasch und wird zum Synonym für Glück. An dieser Lüge scheitern sie schließlich alle.
Das Bühnenbild von „Geld“ greift die hölzerne Half-Pipe aus der Inszenierung des vergangenen Jahres wieder auf. Die Inszenierung kommt mit wenigen Requisiten aus. Ein Paravan reicht, um die schwüle Atmosphäre des Bordells und des pudrigen Cabarets anzudeuten. Mit alten mechanischen Schreibmaschinen werden die Kritiken und Presseberichte symbolisiert, die den kometenhaften Aufstieg und den brutalen Zusammenbruch einzelner Lebensgeschichten erzählen und zugleich gehässig kommentieren. Alles andere spielt mit unserer Vorstellung.
Der Regisseur kann sich auf seinen klug kompilierten Text und das brillante Spiel seiner Schauspieler verlassen. Hinzu kommt ein Soundtrack, der mit dem Stakkato von Maschinen, metallischen Klängen, musikalischen Versatzstücken und nicht zuletzt mit teilweise ohrenbetäubender Lautstärke spielt. Die Musiker um den Klangkünstler Ferdinand Försch turnen im Hintergrund über die rostige Anlage und bringen das Metall der Geländer, Rohre und Tiegel zum Klingen als seien diese Schlagzeug und Glockenspiel zugleich.
Es ist der Rhythmus der Maschine, der hier den Takt angibt. Es ist zugleich der Rhythmus des Turbokapitalismus. Tiefe Bässe und bedrohlich anschwellende Industrieklänge treiben den Wettlauf in die Katastrophe voran. Der rostige Koloss erzeugt darüber hinaus den Eindruck von Morbidität. Der Schmelzofen im Hintergrund steht als Fanal für die inzwischen gescheiterte industrielle Revolution.
“Nana richtet einen Mann nach dem anderen zugrunde und behauptet, nichts damit zu tun zu haben”, kommentiert Regisseur Luk Perceval die Figuren seines Stückes. “Saccard sammelt das Geld seiner Angestellten ein und führt seine Bank skrupellos in den Ruin. Es sind Egomanen, die einander töten, um zu überleben. Genau das
macht der Mensch schon seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden: Über Leichen gehen. Es steckt eine grausame Logik in der endlosen Wiederholung von Leben und Tod. Und doch haben wir das, was gerade mal zwei Generationen vor uns passiert ist, schon längst vergessen. Ich hoffe immer, dass ein Stoff wie der von Zola ein historisches Bewusstsein für die Grausamkeit dieser Wiederholung schafft.”
Das Ensemble des Hamburger Thalia Theaters zeigt auf der Bühne der Ruhrtriennale exzessives, physisches Theater, das mitreißt und begeistert. Kein Satz zu viel, keiner zu wenig. Alle Figuren dienen der Gesamtkomposition. Die Besetzung ist perfekt, allen voran Maja Schöne als Prostituierte Nana und Barbara Nüsse als tattriger Graf Muffat sowie Sebastian Rudolph als Saccard. Luk Percevals Inszenierung ist ein wahres Theaterereignis! (Jörg Bockow)
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