Ruhrtriennale: Begegnungen mit dem Tod

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Wer in die Unterwelt will, der muss erst einmal aufsteigen. Statt eines Kahns, erwartet die Besucher von „Orfeo. Eine Sterbeübung“ während der Ruhrtriennale in Essen eine Art Grubenbahn. Mit der geht es langsam nach oben. Der vermeintliche Abstieg ins Reich der Toten folgt dann in kleinen Raten.

Erste Begegnung mit einem Zombie: Auf dem Opern-Parcours "Orfeo" während der Ruhrtriennale - Fotos: ju Ruhrtriennale

Erste Begegnung mit einem Zombie: Auf dem Opern-Parcours “Orfeo” während der Ruhrtriennale – Fotos: ju Ruhrtriennale

In Gruppen von bis zu acht Personen fährt man in die Mischanlage der Kokerei Zollverein, wo auf einem sogenannten Opern-Parcour der Weg von „Orfeo“ nachgefühlt werden kann. In kaum noch erkennbarer Verzerrung wird unterwegs auf Claudio Monteverdis Oper „Orfeo“ angespielt. Mit der ursprünglichen Komposition und Musik hat das herzlich wenig zu tun. Wer wegen Monteverdi gekommen ist, der fühlt sich genarrt.

Kein Wohlklang: Auf dem Parcours durch die Vorhölle

Kein Wohlklang: Auf dem Parcours durch die Vorhölle

Ein Wohlklang will sich erst einstellen, wenn man im vorletzten Raum Auge in Auge mit Orpheus steht und für eine halbe Minute seiner Arie zuhören darf. Dann geht es hinüber ins Sterbezimmer, in dem Eurydike ausgestreckt auf einem Bett liegt. Man kann hier verbleiben, so lange man will, heißt es. Stark ist an der Stelle der Impuls, der Darstellerin einmal in den Arm oder Po zu kneifen, um zu sehen, was dann passiert. Doch nur wer am Ende seine Eurydike innerlich loslassen kann, hat das Zeug zum Sterben. So sagt es das Tibetanische Totenbuch wie man nachher erfährt. Und wer nach etwa 80 ziemlich langen, mitunter quälenden Minuten unten wieder heraus kommt, der freut sich darüber, zu leben. Am besten hilft nun auf dem Weg zurück ins richtige Leben: ein Glas Bier. Herb, frisch und kühl.

„Orfeo“, die Installation von Susanne Kennedy, Bianca van der Schoot und Suzan Boogaerdt ist vor allem eine Kopfgeburt. Viel gedacht und wenig gemacht. Die kleine Geisterbahn, bei der man einer Vielzahl von Eurydikes in immer gleichen Masken und undurchdringlichen Gesichtern begegnet, ermüdet, verstört und lässt einen auf alle möglichen Gedanken kommen, nur selten aber zu denen, die am Ende im Programmheft nachzulesen sind.

Befremdliche Szenen während der Zuschauer durch die Räume wandelt

Befremdliche Szenen während der Zuschauer durch die Räume wandelt

Die Räume haben nicht wirklich etwas mit dem Vorhof zur Hölle zu tun, außer man interpretiert die puppenstubenartige Plastikwelt als eine solche. Natürlich soll uns diese an unsere eigene Welt erinnern, mit ihren kleinbürgerlichen Interieurs und spießen Arrangements, ausstaffiert mit scheußlichen Tapeten und fiesen Möbeln, die einen immer auch ein bisschen an die heile IKEA-Welt erinnern.

Die Eurydikes, denen man begegnet, sind Zombies und Barbie-Puppen zugleich. Die Gesichter bleiben bewegungslos. Nur aus den Augen blitzen einen lebendige Menschen an. Vielleicht hätten die Statisten deutlicher ins Nichts schauen sollen, um ihrer Rolle gerecht zu werden?

Für einen Moment stellt sich Wohlklang ein - dann aber wird man wieder hinausgeführt.

Für einen Moment stellt sich Wohlklang ein – dann aber wird man wieder hinausgeführt.

In einigen Räumen ist man versucht mitzuspielen, die intensiven Blicke der Barbiepuppen zu erwidern, sich irgendwo auf eine Couch oder zu den Kirschen mümmelnden Zombies an den Küchentisch zu setzen. Auch der voyeuristische Blick hinter den durchscheinenden Duschvorhang bleibt nur in der Fantasie. Zu solchen Interaktionen kommt es nicht. Man folgt artig den Anweisungen der Regisseurin und folgt ihrem Parcours immer in der stillen Hoffnung und vielleicht frohen Erwartung, es möge am Ende eine Aufklärung geben oder ein fetter Bums, mit dem sich der ganze Zauber als ein Alptraum zu erkennen gibt. Doch beides bleibt aus.

Auf Leben oder Tod: Die Besucher verlassen die bizarre Welt und freuen sich auf Leben

Auf Leben oder Tod: Die Besucher verlassen die bizarre Welt und freuen sich auf Leben

Gerne liefert Susanne Kennedy nach, was man als Zuschauer in ihrer Installation eigentlich hätte erleben sollen: „Wir hängen alle immer so unglaublich an unserem Leben und an dem unserer Nächsten. Wir können uns gar nicht vorstellen, dass der Tod etwas anderes sein könnte als eine schreckliche Tragödie, die es um jeden Preis zu verhindern gilt. Orfeo kann den Tod seiner Geliebten nicht akzeptieren und folgt ihr bis in die Unterwelt. Es gibt also kein Loslassen, kein Gehenlassen, sondern ein Festklammern. Daher kann Eurydike auch nicht wirklich sterben, sondern bleibt in einer Art Vorhölle hängen. Orfeo macht eine Untote aus ihr. Erst durch den Blick zurück, der ja eigentlich das ultimative Nicht-Gehen-Lassen-Können zeigt, verlieren die beiden sich und können endlich leben bzw. sterben. Deshalb bezeichnen wir unsere Arbeit als eine Sterbeübung. Denn das letzte Loslassen müssen wir alle lernen.“ So antwortet sie in einem Blog auf die Frage nach dem Sinn des Stückes. Vermutlich wird es nur einer überschaubaren Gruppe von Besuchern gelingen, dies während des Höllentrips tatsächlich zu erleben. Ansonsten wandern die Gedanken umher, wie bei jenem Versuch während einer Meditation einmal an „nichts“ zu denken.

Bevor man die Räume durchwandern darf und nach einem bestimmten Signal in den nächsten Raum wechseln kann, wird der Parcours künstlich spannend gemacht. Es gibt eine Reihe von Handlungsanweisungen und Regeln, die es unterwegs zu beachten gilt. Wie im Wartezimmer eines Arztes sitzend, erhält man die Regieanweisungen via Kopfhörer. Eine unheimliche Geisterstimme aus dem Jenseits. Die erinnert einen an die Anfänge des Hörspiels im Radio. Fast möchte man vor Lachen losprusten.

Ruhig soll man sein, keinen Blick zurück werfen und immer erst in den nächsten Raum gehen, wenn das Signallicht auf Grün wechselt. Dazu gibt es dann jeweils einen dröhnenden Bass, der einen an die Anfänge des Sensor-Surround-Kinos erinnert, wo mittels gewaltiger Subwoofer und meterhoher Lautsprecher der Boden vibrierte und die Hosenbeine flatterten, wann immer auf der Leinwand ein Erdbeben zu sehen war. „Der Zuschauer wandert also durch eine Parallelwelt, eine Art Second Life. Mir war auch wichtig, dass der Zuschauer selbst ins Bild tritt, in 3D durch diese Parallelwelt umher wandelt und Teil des Bildes wird. Tatsächlich geht es ja auch um ihn und nicht um Orfeo oder Eurydike“, erklärt Susanne Kennedy.

Nur für einen kleinen, winzigen, kurzen Moment realisiert sich die Kopfgeburt und setzt wie eine Explosion eine Emotion frei: Wenn man alleine vor Orpheus steht und durch den schönen Gesang zu Tränen gerührt ist. Es ist ein langer Weg bis hierher voller unnötiger Gedanken. Kann Sterben wirklich so einfach sein?! (Dr. Jörg Bockow)

 

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