Der Kiepenkerl bloggt: Warteschlangen beim BFH

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Für ein Casting, wie zur Fernsehshow „Deutschland sucht den Superstar“, stehen junge Leute scharenweise Schlange, um in der Musiksendung mitträllern zu dürfen.

Auch beim Bundesfinanzhof (BFH) gibt es eine Art Casting. Dort warten unreife Steuergesetze auf das Urteil der Jury. Man nennt das nicht Casting, sondern höchstrichterliche Überprüfung. Dazu kommt es häufig erst, wenn Bundesrichter zum Nutzen der Steuersparlobby in Vorträgen und Aufsätzen auf die Betätigungsfelder potentieller Aspiranten aufmerksam gemacht haben.

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Warteschlange vor dem Eiffelturm“ von Lars Blomeyer – Nanuk14 – selbst fotografiertTransferred from de.wikipedia 2007-06-03 (original upload date). Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons.

Anders als beim Sängerwettstreit im Fernsehen werden auf der „Münchener Wartburg“ (Sitz des Bundesfinanzhofs im Nobelviertel Bogenhausen) nicht Musiktitel, sondern die Schlagwörter der anhängigen Revisionsverfahren angekündigt, so dass jeder wissen kann, was als Nächstes zu erwarten ist. Doch das kann dauern, denn die zu entscheidenden Rechtsfragen lagern bis zur Vollendung ihres Bouquets über Jahre in Aktenschwänzen, bevor sie der finalen Bearbeitung zugeführt werden. Das entspricht qualitativ dem Ausbau edler Rotweine im Barrique.

Viele der hektisch zusammengeschusterten Steuergesetze bedürfen des richterlichen TÜVs, denn Janus ist der römische Gott der Türen und wahrscheinlich auch der Steuerschlupflöcher. Sein doppelgesichtiger Kopf hat einerseits die Staatseinnahmen und andererseits die Betriebsausgaben der Steuerpflichtigen im Blick.

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Bundesfinanzhof Muenchen” by Oliver Raupach – Own work. Licensed under CC BY-SA 2.5 via Wikimedia Commons.

Das Sparen in staatlichen Haushaltsplänen ist hoffnungslos, denn Politiker fühlen sich in einer Demokratie gezwungen, Geschenke zu machen, um wiedergewählt zu werden. Bereits der 1950 gestorbene österreichische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Alois Schumpeter wusste: „Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“

Weil sich der Staat mit lückenhaften Steuergesetzen nur unzureichend für den Kampf um die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben wappnet, leidet er chronisch unter dem Känguru-Syndrom: Er macht große Sprünge mit leerem Beutel.

Der Schaden des Lochfraßes in Steuergesetzen ist das Ergebnis eines Heeres von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern, die im Paragraphendschungel Jagd auf schlampig formulierte Paragraphen oder andere Schwachstellen im Steuersystem machen – zum vorläufigen Nutzen ihrer Mandanten, aber zum finalen Erfolg ihres Honorarkontos. Das ist nicht unbedingt verwerflich, denn wenn es ein Steuerschlupfloch gibt, findet sich immer jemand, der es legal nutzt.

Ein krasses Beispiel für die fiskalpolitisch übersehenen Risiken und Nebenwirkungen sind die sogenannten Leerverkäufe von Aktien um einen Dividendenstichtag. Durch sie wurde der Staat systematisch um Milliardenbeträge gemolken. Der Trick funktionierte so: Kurz vor einer Hauptversammlung wechselten riesige Aktienpakete den Besitzer – wurden kurz ausgeliehen und anschließend wieder zurückgegeben. Durch das Verwirrspiel um die tagesgenaue Zuordnung der Aktien und der Dividendenansprüche erreichten Steuerhaie durch Dividenden-Stripping (Cum-Ex-Geschäfte) eine bis zu achtfache Erstattung der Kapitalertragsteuer, obwohl sie tatsächlich nur einmal abgeführt wurde.

„Honi soit qui mal y pense!“ Wir würden heute sagen „schämen soll sich, wer Böses dabei denkt“. Dieser Sinnspruch des englischen Hosenbandordens wird ergänzt durch die Devise: „Dieu et mon droit“ – Gott und mein Recht. Steuerhaie interpretieren das als „Gott und mein Recht auf wunderbare Brotvermehrung“.

Hätten der BFH und der Gesetzgeber den Erstattungsansprüchen aus dem aggressiven Steuervermeidungsmodell früher den Garaus gemacht, wäre der Finanzminister im Bundeshaushalt 2013 ohne die Aufnahme neuer Schulden (sechs Milliarden) ausgekommen.

Die erste Chance, das Dividenden-Stripping zu beenden, hat der BFH 1999 durch seine abenteuerliche Entscheidung (Aktenzeichen I R 29/97) vertan. Sollte der BFH die Auffassung, „ein Kapitalertragsteuer-Erstattungsanspruch = mehrere Nutznießer“, bei den anstehenden Verfahren nicht aufgeben, erwarte ich Hinweise darauf, mit welchem Verwirrspiel es möglich wird, meine Einkommensteuer-Vorauszahlungen zusätzlich auf die Steuerschuld unserer drei Töchter anrechnen zu lassen. Falls die Kinder dafür ein Konto im Ausland eröffnen müssen, wäre das problemlos möglich.

Die Hypo-Vereinsbank ist bereits zu Kreuze gekrochen – streitet sich allerdings mit ihren Kunden, wer eigentlich die Schuld an allem trägt. Andere Banken prüfen intern, ob sie in zweifelhafte Aktiengeschäfte rund um den Dividenden-Stichtag involviert waren. Die Presse vermutet bei mehreren Banken einen Rückstellungsbedarf von mehr als 100 Millionen Euro. Ebenfalls stark gebeutelt wären der AWD-Gründer Carsten Maschmeier (55) und der Drogeriekönig Erwin Müller (81).

 

 

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