Der Kiepenkerl bloggt: Britannisches Marketing

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In den Jahren 55 und 54 vor Christus wehrten sich die Britannier vehement gegen die militärische Invasion ihres Landes durch die Legionen des römischen Feldherrn und späteren Diktators Gaius Julius Caesar. Auch nach Abschluss der römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1957) sitzt bei den Engländern die Angst vor fremdem Einfluss noch so tief, dass sie die europäischen Staaten mit eigenen Maßeinheiten und unverfrorenen Forderungen auf Abstand halten.

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Zur Symbolfigur der britischen Sonderwünsche wurde Margaret Thatcher. Für ihre eiserne Sparpolitik verwendete sie die Formulierung „there is no alternative“. Und mit der Forderung „I want back my money“ erreichte die Eiserne Lady 1984 in der damaligen Europäischen Union (EU), der heutigen Europäischen Gemeinschaft (EG), den bis heute gültigen Britenrabatt auf Großbritanniens Beitragszahlungen.

2014 weigerte sich Premierminister David Cameron im Rat der Staats- und Regierungschefs ultimativ, das Ergebnis der Europawahl anzuerkennen und den Christdemokraten Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten zu nominieren. Nach Ansicht der Tories ist Juncker zu sehr bestrebt, die Entscheidungsmacht von den nationalen Regierungen nach Brüssel zu verlagern. Doch mit seiner trotzigen Oppositionshaltung hat sich Cameron ins Abseits manövriert, denn die Staats und Regierungschefs nominierten Juncker beim EU-Sondergipfel am 27. Juni 2014 parteiübergreifend mit überwältigender Mehrheit zum Kommissionspräsidenten.

Auch mit dem angloamerikanischen Maßsystem fällt Großbritannien völlig aus dem weltweiten Rahmen. Bei Maßen und Gewichten hätte die EU von Beginn an auf einheitliche Standards dringen müssen, denn unter diesen mittelalterlichen Anachronismen leidet die Weltwirtschaft noch heute. Auch die damit in Brüssel verbundenen Sonderaufwendungen sind enorm. Hier einige Beispiele:

Im Jahr 1101 führte Heinrich I. von England die Längeneinheit Inch (Breite seines Daumens) ein. Eduard II. erklärte das Inch (= der Zoll) 1234 zum verbindlichen Längenmaß, das die Länge dreier hintereinandergelegter Gerstenkörner hat. Seit Einführung des metrischen Systems ist der Zoll (25,4 mm) als Längenmaß nur noch im englischen Sprachraum und zur Kalibrierung nichtmetrischer Gewinde in Gebrauch.

Die Meile geht auf die Besetzung Englands durch die Römer zurück. Königin Elizabeth I. änderte per Erlass die römische Meile auf 5.280 Fuß à 30,48 mm = 1.609,344 m.

Das Barrel hat sich als Hohlmaß aus dem Jahr 1482 international bis heute nur im Erdölgeschäft behauptet. Der englische König Edward IV. hatte den Standard per Gesetz festgelegt, um den Fischhandel vor Betrügereien zu schützen. Damals enthielten die in Fischgeschäften verwendeten Eichenfässer exakt einen Barrel Heringe. Das entsprach 42 englischen Gallonen oder 159 Liter.

Die Unze (ounce), eine in Großbritannien übliche Gewichtseinheit, ist in Deutschland heute nur noch vom Boxen bekannt. So haben die autorisierten Wettkampfhandschuhe ein Gewicht von 10 bis 12 oz. (1 Unze = 28,5 g). Zu allem Überfluss und um die Verwirrung zu perfektionieren gibt es aber auch die fluid ounce. Die entspricht 28,413 Milliliter – so ungefähr – wenn sie denn eine britische ist. Kommt sie aus den USA ist sie selbstverständlich hochvolumiger, nämlich um etwa 1,5 Milliliter. International werden Parfum und andere Duftwässer gerne in fl. oz. abgefüllt.

Daniel Gabriel Fahrenheit wählte als Nullpunkt seiner Temperaturskala die tiefste Temperatur des strengen Winters 1708/1709 (– 17,8° C) in seiner Heimatstadt Danzig. Als zweiten und dritten Fixpunkt legte er 1714 den Gefrierpunkt von reinem Wasser bei 37° F und die Körpertemperatur eines gesunden Menschen mit 92° F fest. Diese thermischen Zöpfe hätten bei Einführung der Celsius-Skala abgeschnitten werden müssen. Stattdessen schlagen sich die Brüsseler Bürokraten und die Techniker in aller Welt weiterhin mit dieser unzeitgemäßen Skala herum.

Europa hat lange genug Rücksicht auf die Besonderheiten und Befindlichkeiten der Briten genommen. Es wird höchste Zeit, dass die Europäische Union mit den internationalen Wirtschaftshemmnissen des ehemaligen Weltreichs aufräumt, statt sich ständig mit Sonderwünschen und Diktaten aus London zu beschäftigen. In Brüssel müsste die Forderung lauten „we want back our very british costs”. Dabei ginge es um die völlig überflüssigen Kosten, die der Europäischen Gemeinschaft durch die Einarbeitung der britischen Schrulligkeiten in Gesetze und Verordnungen entstehen.

Da in Brüssel die Führungsposten nach der Wahl neu besetzt werden, könnte sich Cameron mit seinen Attacken gegen Juncker zwischen alle Stühle setzen.

 

 

Comments

  1. Jeremy Wert says

    Das ist mal wieder ein sehr netter Blog-Beitrag vom Kiepenkerl. Sein Spott wirft wie immer ein scharf konturiertes Licht auf das zu beleuchtende Ding. Spot light eben. Lohnt sich, einen etwas längeren Blick darauf zu blinzeln: Denn was im Lichte steht, erkennt man gut.

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