Westfalen – Die Bewegungen sind festgehalten wie bei einer Blitzlichtaufnahme oder einem Schnappschuss. Die Gefühlsregung ist zu einer ausdrucksstarken Geste eingefroren. In der Otmar-Alt-Stiftung in Hamm-Norddinker wurde am 22. September unter dem Titel „Torsi“ eine Ausstellung mit neuen Arbeiten des Bildhauers Bernhard Schwanitz aus Würzburg eröffnet. Die Ausstellung ist noch bis Anfang November in der Otmar-Alt-Stiftung zu sehen.
Jede Körperbewegung, die Schwanitz mit seinen unverwechselbaren Holzskulpturen gestaltet hat, offenbart Emotionen, heftigste Wallungen oder verweist auf Haltungen und Überzeugungen. In den ausdrucksstarken Skulpturen scheint das Leben selbst festgehalten und sind Gefühle, Regungen und Stimmungen in Form gebracht.
Die Momentaufnahmen, die der Bildhauer gemacht hat, erinnern einen entfernt an die Abgüsse der Menschen von Pompeji, die 79. n. Christi bei einem Ausbruch des Vesuvs mitten im Leben überrascht und von einer Sekunde auf die andere von glühender Lava verschüttet wurden. Deutlicher kann man schmerzhafte Verletzlichkeit und größte Intimität kaum mehr ausdrücken. Der Blick des Betrachters oszilliert zwischen Vertrautheit und Neugier, Aufdringlichkeit und Voyeurismus sowie größtem Respekt. Durch seine Werke erlaubt der Künstler einen Einblick in das Innere des Menschen.
In seiner Arbeit legt der freischaffende Künstler vornehmlich mit einer Motorsäge Schichten des Materials Holz frei. Der Künstler bearbeitet dafür das Holz von Obstbäumen. Sein Lieblingsmaterial sind Apfel, Birne, Zwetschge und Akazie.
Indem der Künstler das Holz teilweise mit den brachialen Schnitten einer Motorsäge und anschließend auch noch mit Feuer bearbeitet holt er innere Haltungen und Zustände hervor, die in unserem Alltag meist verborgen, vielleicht gar schamhaft versteckt und oft übersehen werden: So wie Verzweiflung und Leidenschaft, aber auch Leidenschaft und Liebe, Anstrengung und Anspannung, sich leidenschaftliches Aufbäumen oder mit zäher Kraft gegen etwas anstemmen.
Ganz unterschiedliche Gefühle und Zustände bekommen durch die gestaltende Hand des Künstlers einen unverwechselbaren Ausdruck. Nichts ist ganz dem Zufall überlassen. Das Material ist vieldeutig geformt und tiefsinnig gestaltet, halt so wie nur ein Künstler es vermag. Hier wird die ungeheure Verletzlichkeit des Einzelnen sichtbar, teilweise mit einer Offenheit, die neben allem Mitgefühl und aller Emphatie, die der Betrachter dabei mitempfindet auch schmerzhaft ist.
Bernhard Schwanitz hat 17 sehr persönliche Arbeiten zur Ausstellung in Hamm mitgebracht. Den Reigen hat es als Projekt im vergangenen Jahr begonnen und in diesem Jahr durch weitere Arbeiten ergänzt. Zum Teil auch, weil einige den Besitzer gewechselt haben.
Die Arbeiten stehen unter der Überschrift „Torsi“. Damit spielt Schwanitz auf ein eigenes künstlerisches Sujet an, das erst mit der Interpretation des große Auguste Rodin in der Kunstgeschichte Gestalt angenommen werden. Als Torsi waren bis dahin jene – vor allem Antike – Bildnisse von Menschen und vollendete Skulpturen bezeichnet worden, an denen der Zahn der Zeit genagt oder die durch meist kriegerische Zerstörung beschädigt worden waren.
Das Projekt „Torsi“ scheint eine große Bedeutung im Schaffen des Künstlers zu haben. Sorgsam ist der Katalog zusammengestellt. Und auch vor Ort in Hamm hat der Künstler seine Werke selber aufgestellt und mit Licht wirkungsvoll inszeniert. Nach seinem Verständnis sind die Schattenwürfe, die seine Skulpturen auf der Wand erscheinen lassen, ein integraler Bestandteil des Kunstwerkes.
Wenn Schwanitz dieses Holz bearbeitet, dann gräbt er mit seinem Werkzeug gewissermaßen innere Haltungen und Zustände aus, die in unserem Alltag oft verborgen, vielleicht gar schamhaft versteckt und oft übersehen werden: So wie Verzweiflung und Schmerz, aber auch Leidenschaft und Liebe, Anstrengung und Anspannung, sich leidenschaftliches Aufbäumen oder mit zäher Kraft gegen etwas anstemmen.
In den Skulpturen wird die Verletzlichkeit des Einzelnen sichtbar und in einer Offenheit ausgedrückt, die neben allem Mitgefühl und aller Empathie, die wir dabei mitempfinden vor allem eines ist: schmerzhaft. So ungeschönt und ungeschützt wie hier in diesen Skulpturen möchten wir niemanden erleben und niemanden sehen, nicht einmal die uns vertrauten Menschen – Menschen, die uns ganz nah sind, Menschen, die wir lieben. Es sind existenzialistische Momente.
Für seine „Torsi“ bearbeitet Bernhard Schwanitz große Holzblöcke ganz ähnlich wie ein Steinmetz aus einem groben Marmorblock eine Figur entwickelt, sie freilegt. Mit seinem Werkzeug, einer Motorsäge, rückt er dem Stamm zu Leibe. Das ist zugegeben ein gewaltsamer Akt. Denn das Sägeblatt frisst sich in das hölzerne Fleisch, bricht sich gewalttätig Bahn, um am Ende so etwas wie einen geschundenen Korpus freizulegen. Anschließend verpasst Schwanitz seinen Schöpfungen eine eigene Patina, indem er das bearbeitete Holz mit Feuer und Flamme attackiert, es bewusst und gewollt anflämmt und ankokelt. Wenn er seine Skulpturen anschließend mit Öl bearbeitet, dann erinnert dies zugleich an den Akt der letzten Ölung wie an die Balsamierung, mit der bei den Ägyptern einst Mumien bearbeitet wurden.
Der Künstler nimmt diese Transformation mit höchster Konzentration wahr. Es ist ein bewusster Akt. Er überlässt es nicht dem Zufall, was daraus wird, er folgt daher auch nicht den natürlichen Angeboten, die sich vielleicht durch Struktur, Form oder beispielsweise Astgabelungen anbieten würden. Interpretin Dorothea Kerber-Ihle erklärt dazu. Ich zitiere: „Säge und Holz erfordern ein äußerst diszipliniertes Vorgehen. Sehen ist dabei wichtiger als Schneiden und Abtragen. Ähnlich wie ein Gletscher die Landschaft formt, wird das Holz von einem brutalen, alles zerfetzenden Werkzeug geformt – im Zeitraffer und mit Hilfe von Technik. Im Kontrast dazu, sind ein häufiges und langes Innehalten und ein zartes, erspürendes Abtragen notwendig, will der Künstler nicht tagelange Arbeit zerstören. Immer ist es entscheidend, den Punkt zu finden, an dem der Prozess kulminiert, an dem man aufhören muss, an dem nichts mehr hinzuzufügen bzw. mit dem Werkzeug wegzunehmen ist.“ Was dabei entsteht ist im ureigentlichen Verständnis ein Schöpfungsakt. Der Künstler gebiert seine ureigene Idee.
Bernhard Schwanitz ist ein Zauberer. Ihm gelingt mit grobem Werkzeug eine geradezu filigrane Meisterleistung. Er führt die Motorsäge wie ein Chirurg sein Skalpell. Er beschwört in seinen „Torsi“ nicht mehr aber auch nicht weniger als die Einzigartigkeit und Verletzlichkeit des Individuums in einer lebensfeindlichen, in einer bedrohten und zugleich bedrohlichen Welt. Er setzt ein Zeichen von großer Kraft und durchdringender Wirkung. (Dr. Jörg Bockow, Vorstand der Otmar-Alt-Stiftung)
Otmar-Alt-Stiftung / Obere Rothe 7 / 59071 Hamm-Norddinker www.otmar-alt.de
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