Tobias Sudhoff setzt auf Wandel durch Genuss: Nachhaltigkeit sollte in aller Munde sein und das ist ganz wortwörtlich gemeint. Tausendsassa Tobias Sudhoff (Meisterkoch, Ernährungswissenschaftler, Musiker und Kabarettist) zeigt in seinem Science Club Special in „Der neuen Westfälischen Stube“ in Münster eindrucksvoll sinnlich und auf höchstem Niveau, wie das gehen könnte.

Yvonne Zwick und Tobias Sudhoff begrüßen vor der “Neuen Westfälischen Stube” in Münster die Gäste zur “Planetary Health Diet” – Foto Jörg Bockow
Sudhoff ist überzeugt: Appelle, Gesetze und Verbote bringen wenig, wenn wir nicht selbst erleben, wie gut eine lebenswertere Welt schmecken kann. „Jeder will doch saubere Luft, sauberes Wasser, gutes, gesundes Essen“, sagt er. „Aber das muss man auch sinnlich erfahren, sonst bleibt alles Theorie.“

Tobias Sudhoff referiert über die Ernährungswende und macht Appetit auf den kulinarischen Abend – Foto Jörg Bockow
Am Donnerstagabend (17. Juli) wurde dieser Gedanke zur Wirklichkeit. Zwanzig Gäste tauchten ein in ein kulinarisches Experiment, das mehr war als ein Abendessen. Mit seiner „Planetary Health Diet“ servierte Sudhoff nicht nur ein vegetarisches Fünf-Gänge-Menü auf Sterneniveau, sondern ein gesellschaftliches Statement. Wandel – das ist seine Botschaft – beginnt auf der Zunge. Und endet bestenfalls im Kopf.
Sein Menü: kompromisslos saisonal, konsequent biologisch, voller Aroma und Raffinesse. Bereits die Brote und Aufstriche zum Auftakt waren handwerklich ein Gedicht. Doch dann kam der Abend richtig in Fahrt:
1. Gang: Eine elegante Komposition aus Avocado und Tomate, verfeinert mit Arganöl, schwarzem Knoblauch, zweierlei Gels und knackigem Crunch.
2. Gang: Wildkräuter im Nussdressing, Rote Bete in Texturen, dazu eine Apfel-Bergamotte-Sphäre – ein kleiner Waldspaziergang auf dem Teller.
3. Gang: Kohlrabi sous vide mit Tannentrieben, fermentierter Gurke, Joghurt und Tannenvinaigrette – erdig, frisch, überraschend.
4. Gang: Die legendäre vegane Jus, dunkel und tief wie ein Bariton; gezogen aus Shiitake, Austernpilzen und Jackfruit. Dazu Onsen-Eigelb, Kartoffelbrunoise und ein luftiger Trüffel-Parmesan-Espuma – eine große Oper.5. Gang: Amarenakirsch-Parfait, Mousse aus Original Kakao-Beans Schokolade, dazu Zesten-Crumble: Himmlich süß, sinnlich, sündhaft gut.
Kein Gang ist laut, keiner schrill. Alle Zutaten sind fein komponiert, klug durchdacht und doch voller Lust am Spiel mit Textur, Duft und Temperatur. Dass Genuss und Verantwortung sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig beflügeln können, an diesem Abend wurde es mit jedem Bissen erlebbar.

Yvonne Zwick (li) stellte die Organisation Baum e.V. vor und berichtete, was alles erreicht worden ist – Foto Jörg Bockow
Zwischen den Gängen gab es: Impulse statt Pausen. Sudhoff, als Food-Experte an der FH Münster ebenso in seinem Element wie am Herd, sprach über Ernährung, Klima und Transformation. Tobias Sudhoff redet kenntnisreich und nie belehrend, sondern mit Leidenschaft und Wissen. An seiner Seite: Yvonne Zwick, Vorsitzende des Unternehmensnetzwerks BAUM e.V., das sich seit Jahrzehnten für nachhaltiges Wirtschaften einsetzt.
Zwick brachte die wirtschaftliche Perspektive ins Spiel und unterstrich: Es bewegt sich etwas. „Immer mehr Unternehmen erkennen, dass ökologisches Handeln kein Kostenfaktor, sondern Zukunftssicherung ist“, so Zwick. Die über 800 Mitglieder ihres Verbandes stehen für konkrete Praxis statt grüner PR. Vom Mittelstand bis zum Konzern: Wer heute noch glaubt, Nachhaltigkeit sei Verzicht, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
Doch Yvonne Zwick warnte auch. Die aktuelle Politik sende widersprüchliche Signale. Klimaziele rutschen auf der Prioritätenliste nach unten, das Framing kippt wieder ins Regressive. Dabei, so Zwick, bräuchte es gerade jetzt ein starkes, positives Narrativ: „Wir müssen weg vom Dogma des Verzichts – hin zu einer Idee von Zukunft, die Lust macht, mitzumachen.“ Eigentlich weiß ein jeder, dass daran kein Weg vorbei führt. Die Politik der Rechten sind nur Verzögerungen, die wir uns nicht leisten können.
Diese Idee wurde an diesem Abend spürbar. Der Raum, stilvoll, intim, fast wie ein Denkraum mit Weingläsern, wurde zur Bühne einer neuen Aufklärung: nicht trocken, sondern saftig. Nicht moralisch, sondern sinnlich. Nicht von oben herab, sondern mitten aus dem Leben.
Tobias Sudhoff, vielen bekannt als Musiker und Kabarettist mit scharfer Zunge, zeigte sich hier als Genussbotschafter mit Tiefgang. Sein Ansatz: Nachhaltigkeit beginnt im Alltag, aber sie braucht Leidenschaft. „Wir müssen die Herzen verführen, nicht die Köpfe überreden.“
Der Applaus nach einem großartigen musikalischen Intermezzo war ehrlich und herzlich. Kein Networking-Geklapper, keine Worthülsen, stattdessen ehrliche Gespräche, gespitzte Ohren und viele Löffel, die bis zum letzten Rest abgeschleckt wurden. Es war ein Abend, der satt machte und zugleich hungrig auf mehr.
Am Ende fasste Yvonne Zwick es so zusammen: „Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir die Erzählung verändern. Klimaschutz darf kein Angstszenario sein, sondern ein Versprechen: auf gutes Leben, gutes Essen, gute Zukunft.“ Besser lässt sich Wandel kaum servieren. Bitte mehr solche kulinarischen Lehrgänge. Ich freue mich darauf! Jörg Bockow
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