Strompreise in der „Sozialen Marktwirtschaft“

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Strompreise und die Kosten für Gas und Öl sind in den vergangenen Monaten explodiert. Die Bürgerinnen und Bürger haben unter diesen zusätzlichen Belastungen zu leiden.

Strompreise in der „Sozialen Marktwirtschaft“

Der Verbrauch von Strom steigt immer weiter – Foto Pixabay

Jahrzehntelang gab es am Strommarkt einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Die Strompreise für Privathaushalte und Industrie blieben langfristig stabil. Doch seit die Kunden Anfang der 2000er Jahre den Anbieter problemlos wechseln konnten, wird Strom an der Börse gehandelt.

Allerdings kommt nur ein geringer Teil des Stroms an die Börse. Die überwiegenden Mengen werden im Voraus zu festen Konditionen an Stromhändler und die Industrie abgegeben. Doch diese Strompreise orientierten sich ebenfalls am Börsenpreis und sind in vergleichbarem Umfang gestiegen.

An der Börse bilden sich die Preise nach der „Merit Order“ (englisch für Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit). Das heißt, die Erzeuger verkaufen ihren Strom am Strommarkt entsprechend ihrer verfügbaren Kraftwerksleistung nach steigenden „Grenzkosten“.

Unter diesen Bedingungen boten die Anbieter ihre Erzeugungskapazitäten an, sobald sie einen Preis über ihren Grenzkosten erzielten konnten. Das hat jahrzehntelang funktioniert, denn je mehr Strom aus Wind und Sonne auf den Markt kam, desto seltener kamen die teuersten Kraftwerke zum Zuge.

Nachdem kein billiges Gas aus Russland mehr verstromt werden kann, explodierten die Preise. Auch die zum Klimaschutz eingeführten CO2-Certifikate erhöhten die Grenzkosten.

Strompreise in der „Sozialen Marktwirtschaft“

Bei den steigenden Stromkosten gehen viele Bürgerinnen und Bürger in die Knie – Fot Pixabay

Es passt nicht in die „Soziale Marktwirtschaft“, dass jeder Verkäufer den Preis abrechnen kann, den der teuerste Anbieter erhält, dessen Strommenge noch zur Vermeidung eines Blackouts benötigt wird. Das reicht inzwischen bis zum Zehnfachen der tatsächlichen Selbstkosten. Gegen dieses „Wucher-System“ müsste eigentlich das Kartellamt vorgehen. Doch ihm sind die Hände gebunden, denn diese Form der Vergütung ist von der Bundesregierung und der „Europäischen Union“ vorgegeben.

Die drei Atomkraftwerke lieferten bis zu ihrer Abschaltung den billigsten Strom, weil ihre hohen Investitionen für den Bau und die enormen Aufwendungen für den Rückbau der Anlagen längst abgeschrieben waren. In die Grenzkostenkalkulation flossen lediglich die Kosten für die Brennstäbe, deren Entsorgung und den laufenden Betrieb ein.

Unerwartet profitieren die Betreiber von Braunkohle- und Steinkohlekraftwerken. Ihre Kraftwerke waren größtenteils abgeschaltet, denn Strom wurde preiswerter in Gaskraftwerken produziert.

Doch nach dem Boykott des russischen Erdgases wurden die abgeschriebenen Kraftwerke wieder ans Netz genommen. Nach dem „Merit Order-System“ erzielen sie erhebliche Gewinne, denn die Kosten für fossile Brennstoffe liegen deutlich unterhalb denen von den immer noch benötigten Gaskraftwerken. Diese Übergewinne, die als systembedingte „Windfallprofits“ entstehen, sind nicht durch die Selbstkosten bestimmt, sondern durch eine Veränderung des Vergütungssystems.

Das Ausmaß der Gewinnexplosion zeigt der kürzlich veröffentlichte Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG (RWE), des größten deutschen Stromerzeugers: Dessen Gewinn aus Atom- und Kohlekraftwerken erhöhte sich 2022 um 330 Millionen Euro. Das entspricht einem Plus von fast 70 Prozent. Und das, obwohl der preistreibende Effekt des teuren Gases erst ab Oktober einsetzte.

Angesichts der politischen Weltlage ist absehbar, dass Gas noch lange teuer bleibt. So können RWE und andere Kraftwerkbetreiber im laufenden Jahr mit noch deutlich höheren Gewinnen rechnen, die in den kommenden Jahren kaum wieder sinken werden.

Die Betreiber von Windparks und großen Solaranlagen profitieren besonders, denn erneuerbare Energien sind von der CO2-Abgabe befreit. Zudem erhalten die Betreiber von Großanlagen den Börsenpreis für ihren Strom (einschl. CO2-Abgabe). Dagegen werden Besitzer kleiner Solardächer mit der vergleichsweise niedrigen gesetzlichen EEG-Vergütung „abgespeist”.

Die Versuche der Bundesregierung, die Strompreise durch die Einführung von Gaspreisbremsen zu reduzieren, sind gescheitert. Inzwischen stehen mehrere Gasversorger sogar unter dem Verdacht, im Zusammenhang mit den Gaspreisbremsen ungerechtfertigt hohe Endkundenpreise angesetzt zu haben. Inzwischen ermittelt das Kartellamt.

Die aktuelle Preisbildung für Strom passt nicht zur „Sozialen Marktwirtschaft“. Würden nämlich die Kraftwerke lediglich den Preis erhalten, zu denen sie ursprünglich angeboten haben und nicht des Preis des teuersten Kraftwerks, so wäre das ein Schlag ins Wasser, denn die Anbieter können gut abschätzen, wie viel Strom morgen benötigt wird und welchen Preis der teuerste Grenzkosten Anbieter erhalten wird. Sie würden ihre Strommengen dann nur noch zu diesem hohen Preis anbieten.

Eine marktkonforme Lösung wäre es, wenn man den „Merit Order- Preismechanismus“ beibehielte, wie er sich nach den Grundsätzen der Grenzkostenrechnung bildet. Die dadurch entstehenden überhöhten Gewinne der Kraftwerkbetreiber sollten über eine Sonder-Steuer abgeschöpft werden. Die Einnahmen könnten – ähnlich wie die EEG-Umlage – in den Gesamt-Topf der Strompreise zurückfließen und die Endverbraucherpreise senken.

Christian Lindner hat Steuererhöhungen bisher mit dem Hinweis auf den Schaden für den deutschen Industriestandort kategorisch abgelehnt. Doch in diesem Fall sind seine Argumente nicht stichhaltig.

Vielleicht sollte man den Vorgang „Übergewinnabschöpfung“ nennen und die Einnahmen nutzen, um den Strom für Großverbraucher subventionieren, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen können.

 

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