Münster – Am Freitag, 18. Mai feiert um 19.30 Uhr im Kleinen Haus des Theaters Münster der Tanztheaterabend »True Romance« von Hans Henning Paar und Daniel Soulié seine Premiere.
Inspiriert von den Klaviermusiken Frédéric Chopins (1810–1849) und Alexander Skrjabins (1872–1915) setzen sich die beiden Choreographen in »True Romance« mit dem Begriff der Romantik auseinander.
In der Epoche der Romantik hatten die Menschen den Wunsch, sich vom strengen Rationalismus der vorherrschenden Klassik zu befreien und die Individualität des Einzelnen hervorzuheben. Ein zentrales Thema war die Sehnsucht, die in den Werken der romantischen Dichter und Komponisten Ausdruck fand. Was aber erzählt nach 200 Jahren noch von einem romantischen Lebensgefühl? Hat die Romantik in der heutigen Zeit noch etwas mit der Romantik von damals zu tun? Das Lebensgefühl von Zerrissenheit zwischen dem rationalen Denken und der Welt der Gefühle ist auch heute präsent, findet jedoch im Zeitalter der Massenmedien und social media eine gänzlich andere Form des Ausdrucks.
»True Romance« ist eine Recherche nach der Bedeutung von Sehnsucht heutzutage. In ihrer Choreografie spielen Hans Henning Paar und Daniel Soulié mit Metaphern, die das Thema der Romantik auf vielfältige Weise aufgreifen und den Wunsch nach einer etwas schöneren, verträumteren und märchenhafteren Welt ausdrücken … mit all ihren Widersprüchen und Irritationen.
Hans Henning Paar & Daniel Soulié über die Inszenierung
Hans Henning Paar:
In »True Romance« gehen wir der Frage nach, ob und in welcher Form Romantik heute noch existiert. Lässt sich das Lebensgefühl der romantischen Dichter, Maler und Komponisten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in unserer Gegenwart noch nachempfinden? Oder gibt es heute eine ganz andere Art von Romantik, die mit der früheren kaum noch etwas gemein hat?
Musikalischer Ausgangspunkt war die Klaviermusik Frédéric Chopins. Die Nocturnes ziehen sich wie ein roter Faden durch den Tanzabend. Für mich ist diese Musik zeitlos in ihrer Emotionalität – ein musikalischer Ausdruck von Seelenzuständen, die das romantische Lebensgefühl und die Sehnsucht auch in der heutigen Zeit widerspiegelt. Ich versuche jedoch, der Emotionalität der Musik mit der Choreographie und der zeitgenössischen Bewegungssprache etwas entgegenzustellen, so dass etwas Neues entsteht.
Für die erste Szene des Tanzabends habe ich mich von Caspar David Friedrichs Gemälde »Der Mönch am Meer« inspirieren lassen. In mir löst es gleichzeitig Gefühle von Sehnsucht und Einsamkeit aus, auch das überwältigt sein angesichts der Natur. Diesem Gefühl versuche ich körperlich nachzuspüren.
Natürlich haben wir auch unsere Tänzerinnen und Tänzer befragt, um zu erfahren, wie sich für sie heute romantische Erfahrungen darstellen, was sie mit Sehnsucht erfüllt. Und so kamen weitere Aspekte zum Vorschein, die dazu führten, dass wir mit sehr unterschiedlichen Musikstilen und Richtungen experimentierten.
Das Gefühl von Romantik ist vielgestaltig und sehr individuell. Was dem einen als reiner Kitsch erscheint, gilt für den anderen als Inbegriff der romantischen Idee. Ich persönlich empfinde Romantik heute eher in Momenten des Alleinseins. Viele andere assoziieren Romantik wiederum mit Situationen von Zweisamkeit. Da ist einerseits die Sehnsucht nach der großen, wahren Liebe und andererseits der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Es ist sehr menschlich, sich immer genau das zu wünschen, was man nicht hat. Auch diese ewige Spannung macht für mich die Zeitlosigkeit der Romantik aus.
Daniel Soulié
Das richtige Timing spielt für mich eine entscheidende Rolle, ob ich einen Moment oder eine Situation als romantisch empfinde. Wenn zum richtigen Zeitpunkt etwas Unerwartetes geschieht… ein Blick, eine kleine Geste – oder wenn ich überwältigt werde von der Unendlichkeit des Horizonts oder der Weite einer Landschaft. Zumeist sind es die Gegensätze, die mich faszinieren, das Kleine im Großen und das Große im Kleinen.
Die Romantik beinhaltet auch das »Romanhafte«, die Sehnsucht nach Momenten, die aus dem Leben etwas Besonderes machen. Wir brauchen Träume und Wünsche, Sehnsüchte und Schwärmereien, um dem Alltag zu entfliehen und aus dem Gewohnten auszubrechen. Dabei ist immer auch die Gefahr, sich in Illusionen und dem Verklären von Dingen oder Situationen zu verlieren. Schnell kann dann das romantische Gefühl zu einer Form von Selbstbetrug werden.
Das kleine aber wichtige Wort »True« im Titel hat uns sowohl bei der Stückentwicklung als auch beim Erarbeiten des Bewegungsmaterials inspiriert. Was ist wahr, was ist falsch, was Illusion, was Realität?
Hans Henning Paar
Der Wunsch danach, ein anderer zu sein, spiegelt sich heutzutage ganz stark in den sozialen Medien wider. Die Fotos auf Instagram entsprechen selten der gelebten Realität. Trotzdem verbringen viele Menschen sehr viel Zeit damit, im Internet die Fotos und das Leben anderer zu verfolgen und versuchen, diesen Bildinszenierungen zu entsprechen. Sehr schnell kann man sich verlieren in dieser Welt von Schein und Sein. Das Gefühl von Zerrissenheit ist sehr gegenwärtig, der Widerspruch zwischen dem rationalen Denken und der Welt der Gefühle. Diese Zerrissenheit zeigt sich auch im ständigen Schwanken zwischen der Angst etwas zu verpassen und dem Wunsch nach Beständigkeit.
Romantik lebt vom Wechsel der Emotionen »von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt«. Und so zeigen wir in »True Romance« neben den träumerischen auch die melancholischen Momente, in denen unterdrückte Emotionen, Zweifel und Ängste zum Ausdruck kommen. Dazwischen gibt es kurze Augenblicke von Erfüllung – um dann als Erinnerung oder Sehnsucht weiter existieren zu können.
Daniel Soulié
Das Bruchstückhafte, Fragmentarische ist kennzeichnend für die Kunst der Romantik. In »True Romance« haben wir dieses Prinzip sowohl für den Stückaufbau als auch für die choreografische Umsetzung aufgegriffen. Auch im Bühnenbild spiegelt es sich wider.
Hans Henning Paar
Ich choreografiere seit über 20 Jahren. Auch deswegen finde ich es zunehmend reizvoll, bei der Entwicklung von Neukreationen immer wieder auch andere choreografische Herangehensweisen auszuprobieren. Die Zusammenarbeit mit einem Co-Choreografen war für mich ein neuer und spannender Ansatz. Es war sehr inspirierend, gemeinsam mit Daniel diesen Tanzabend zu entwickeln, denn er hat sowohl inhaltlich als auch choreografisch sehr viel in das Stück mit eingebracht. Unser gemeinsames Ziel war, aus unterschiedlichen Sichtweisen und Ansätzen ein Ganzes zu kreieren – und doch einen Tanzabend voller Widersprüche.
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