Kiepenkerl-Blog: Hat die katholische Kirche bei Martin Luther abschreiben lassen?

„Die katholische Kirche hat im Mittelalter von Martin Luther abgeschrieben.“ Zu diesem für die Zuhörer überraschenden Ergebnis kam der Leiter des Bibelmuseums, Prof. Dr. Holger Strutwolf, in seinem Vortrag zur Eröffnung der Bibelausstellung in der Diözesanbibliothek am 17. Januar 2017.

Links: Luthers „Das nawe Testament Deutsch“ mit 21 Holzschnitten aus der Werkstatt von Lucas Cranach dem Älteren – Foto: By Concord (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons Rechts: Bibel-Plagiat „Das naw Testament“ von Hieronymus Emser – Foto: Von Hieronymus Emser – Niedersächsische Landesbibliothek, Gemeinfrei, Link

Nachdem Luther das erste für weite Teile der Bevölkerung lesbare „Neue Testament“ (Septembertestament) im Herbst 1522 in deutscher Sprache veröffentlicht hatte, geriet die katholische Kirche in Zugzwang, denn ihr Standardwerk, die „Vulgata“, war seit dem 7. Jahrhundert in Latein geschrieben. Sie konnte ausschließlich von Pfarrern, der gebildeten Oberschicht und in Klöstern gelesen werden, sodass eine allgemeine Verbreitung illusorisch war.

Luthers „Neues Testament“ kam als geistige und sprachschöpferische Meisterleistung in den deutschen Kleinstaaten schnell unters Volk, denn Johann Gutenberg hatte den Buchdruck gerade rechtzeitig erfunden. Trotz des hohen Preises von eineinhalb Gulden pro Stück war die Auflage in drei Monaten vergriffen.

Die geniale Übersetzung basierte auf der griechischen Textausgabe des Erasmus von Rotterdam. Ein wesentlicher Grund für die rasante Verbreitung war, dass der Schöpfer der deutschen Schriftsprache bei der Übersetzung der griechischen Ausgangssprache in die deutsche Zielsprache dem gemeinen Volk aufs Maul geschaut hatte. Das machte die Heilige Schrift für jedermann lesbar und verständlich.

Luther war ein Perfektionist. Er verbesserte seine Übersetzungen mehrfach und lieferte Kommentare zu wichtigen Textstellen. Beispielsweise übersetzte er: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Das für den Leser wichtige Wort „allein“ fügte er hinzu, weil es sich aus dem Gesamtverständnis der Heiligen Schrift zwingend ergab. Die Plagiatoren haben dieses zentrale Wörtchen nicht übernommen, weil sie sonst die Rechtfertigungslehre und den Ablasshandel ad absurdum geführt hätten. Dann wäre der Petersdom erst einige Päpste später fertig geworden und es hätte weniger Ketzer gegeben.

Als Reaktion auf die Verkaufserfolge der Lutherbibel erschienen in kurzer Folge drei Übersetzungen der „Vulgata“ in deutscher Sprache. Mit denen trat die katholische Kirche in Wettbewerb zu Luthers Bestseller. Die Herausgeber Hieronymus Emser, Johannes Eck und Johann Dietenberger wollten sich mit ihren katholischen deutschen Bibeln gegen die angebliche Verfälschung der „Heiligen Schrift“ durch Luther wenden. Doch tatsächlich standen sie in großer Nähe zur Textfassung des vogelfreien Ketzers. Nach heutigem Verständnis müsste man jeden der plagiierenden Herausgeber posthum zum Dr. schummel cum laude promovieren.

In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ schreibt Luther 1530: „Wenn ich, D. [Dr.] Luther, mich hätte können des versehen, daß alle Papisten [Anhänger des Papstes] zusammen so kundig wären, daß sie ein Kapitel in der Schrift könnten recht und gut verdeutschen, so wäre ich wahrlich so demütig gewesen und hätte sie um Hilf und Beistand gebeten, das Neue Testament zu verdeutschen. Aber dieweil ich gewußt und noch vor Augen sehe, daß ihrer keiner recht weiß, wie man dolmetschen oder deutsch reden soll, hab ich sie und mich solcher Mühe überhoben. Man merkt es aber gut, daß sie aus meinem Dolmetschen und Deutsch lernen deutsch reden und schreiben und stehlen mir so meine Sprache, davon sie zuvor wenig gewußt, danken mir aber nicht dafür, sondern brauchen sie viel lieber wider mich. Aber ich gönn es ihnen gern, denn es tut mir dennoch wohl, daß ich meine undankbaren Jünger, dazu meine Feinde, reden gelehrt habe.“
Professor Strutwolf schloss mit der Feststellung: „Die Lutherbibel ist geprägt vom göttlichen Geist der Ökumene.“

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