Der Kiepenkerl bloggt: Postfaktisch

Das Wort „postfaktisch“ wurde in Deutschland zum Wort des Jahres gewählt. Etwa gleichzeitig haben die Oxford Dictionaries „post-truth“ (postfaktisch) zum internationalen Wort des Jahres 2016 auserkoren. Beide Fälle beschreiben eine gesellschaftliche Entwicklung, aufgrund derer Gefühlen und Spekulationen mehr Glauben geschenkt wird, als Tatsachen. Postfaktisch bedeutet aber nicht, dass Fakten keine Rolle spielen – sie werden lediglich geleugnet und selektiv als politische Waffe benutzt. Völlig neu sind die Taschenspielertricks nicht. Bereits Friedrich Nietzsche sagte, dass es keine Fakten gebe, nur Interpretationen.

Fotonachweis: Gage Skidmore [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Vorkämpfer von post-truth war der US-Amerikaner Lee Atwater, der in den achtziger Jahren den Satz prägte: „perception is reality“. Er arbeitete als Wahlkampfmanager für Ronald Reagan und George Bush Senior. Für ihn war Realität, was man empfindet. Dabei schreckte er vor Schmutzkampagnen und gefälschten Umfrageergebnissen nicht zurück. Fakten interessierten ihn nicht, denn er schuf Fakten, indem er die Gefühle der Wähler beeinflusste. Ihm war klar, wenn Menschen an etwas glauben, dann ist es nicht wichtig, ob das, woran sie glauben, auch wahr ist. Atwaters aggressive Medienoffensive half George Bush, den anfänglichen Vorsprung seines demokratischen Konkurrenten von 17 Prozentpunkten in den Umfragen zu überwinden und die Mehrheit der Wahlmänner zu gewinnen.

Und für George W. Bush Junior bedeutete der 11. September 2001 eine wichtige Zäsur in der amerikanischen Politik, denn als unmittelbare Reaktion auf die Terroranschläge wurde die Forderung laut, Afghanistan und den Irak gleichzeitig anzugreifen, um den Terror an der Wurzel zu bekämpfen. Da Bush einen Vorwand für seinen Krieg gegen den Irak benötigte, machte er Saddam Hussein verantwortlich für den Besitz von Massenvernichtungswaffen, Kontakte mit Terroristen sowie Angriffs- und Terrorabsichten. Bush sagte wörtlich: „Der Irak vergast seine eigenen Menschen“, ohne dass es einen Beweis dafür gab. Daraufhin schloss sich Großbritannien der Koalition der Willigen an, die durch gezielte Fehlinformationen einen verheerenden Krieg vom Zaun brach. Im Vergleich dazu ist Trump ein Stümper.

Wann das faktische Zeitalter in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg begann, ist unbekannt. Bekannt ist dagegen, dass es spätestens mit AfD, Pegida und den Flüchtlingsströmen endete.

Ursächlich waren auch Falschmeldungen im Zusammenhang mit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. In beiden Auseinandersetzungen standen Fakten nicht im Mittelpunkt. Die Wahrheit von Aussagen trat hinter den Effekt der Aussage auf die Wähler zurück. In der postfaktischen Diskussion wurde gelogen, abgelenkt oder verwässert, ohne dass dies entscheidende Relevanz für die Zielgruppen hatte. Ausschlaggebend für die von postfaktischer Politik angesprochenen Wähler war, ob die angebotenen Erklärungsmodelle eine Nähe zu deren Gefühlswelt hatten. Eine wichtige Rolle in Trumps Wahlkampf spielte auch eine neue Methode der Persönlichkeitspsychologie, Menschen anhand ihrer gegebenen Likes in den Sozialen Medien zu analysieren und so massenhaft Profile zu erstellen. Darauf konnten dann die Wahlkampfaussagen ausgerichtet werden.

Was haben die Brexit-Befürworter nicht alles im Wahlkampf versprochen. Nach dem Referendum geben sie sich plötzlich kleinlaut, denn jetzt entpuppt sich manches als Lüge. Faktenwissen und ergebnisoffene Diskussionen waren Mangelware. Am Ende bekam die Mehrheit der Bevölkerung das, was sie eigentlich nicht wollte.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kämpft in einer anderen Liga. Seine Falschbehauptungen und Unterstellungen sind postfrisch, um seine Alleinherrschaft zu festigen. Er führt Krieg gegen das eigene Volk, nachdem er den Friedensprozess mit den Kurden abgebrochen hat, um Neuwahlen zu erzwingen, aus denen er als Sieger hervorging. Dagegen ist es beim Brexit und bei der Trump-Wahl noch keineswegs ausgemacht, was tatsächlich umgesetzt wird, denn beide Seiten rudern inzwischen zurück.

Anmerkung: Die Methode zur Auswertung der Likes orientiert sich an den sogenannten Big Five oder auch Fünf-Faktoren-Modell genannt, den fünf wichtigsten Dimensionen der Persönlichkeit.

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