Westfalen – Vom 12. September bis 20. Oktober zeigt die Städtische Galerie Iserlohn Collagen und Objekte der Künstlerin Angelika M. Schäfer. Die Ausstellung trägt den Titel “COnt(D)EXte – Collagen und Objekte”.
Als das Nadelmuseums im Jahr 1987 eingerichtet wurde, erhielt Angelika Schäfer den entscheidenden Impuls für ihre Arbeit. Als Weberin hatte sie sich viele Jahre mit der freien Bildweberei in der Textilkunst befasst. Sie war auf der Suche nach neuen Mitteln und Materialien. Sie wollte die Grenzen zwischen Design, Kunsthandwerk und Kunst überschreiten oder aufzulösen. So ließ sie die Idee nicht los, dass Nadeln als Material – nicht als Werkzeug – in Verbindung mit textilen Stoffen völlig neue Ausdrucksmöglichkeiten bieten können. Erste Experimente folgten.
Eine weitere Anregung fand sie durch die Ausstellung Die Nadel – Produktion und Anwendung, (Stadtmuseum Iserlohn, 1991). Dort wurde nicht nur die Wandlungen der Wertigkeit textiler Arbeit thematisiert, sondern auch der Aspekt, inwieweit es sich bei der weiblichen Nadelarbeit im ausgehenden 19. Jahrhhundert um sinnvolle oder „nutzlose“ Beschäftigung handelte.
Noch Anfang der 1990er Jahre widmeten sich Publikationen und Ausstellungen der „Textilkunst“ nur in Verbindung mit dem Begriff Kunsthandwerk und der sorgfältigen Trennung von Kunst. Der Dreiklang ‘Nadelarbeit – Weiblichkeit – Heim’, ergänzt durch den diskreditierenden Unterton, das Ganze als „naiven Hausfleiß“ zu bezeichnen, war stets dort präsent, wo textile Praktiken auftauchten. „Textilkunst“ wurde in der damaligen Kunstdiskussion kaum beachtet. Künstler wie A. Trockel und C. Oldenburg, um nur zwei Beispiele zu nennen, bedienten sich zwar textiler Materialien und Techniken, doch boten ihre Arbeiten nie Diskussionsanlass, ob es sich hier um Kunst oder „Textilkunst“ handelt. Aussschlagebend war der akademische Background. Nutzte ein Künstler textile Materialien, war es sein künstlerischer Ausdruck. Kunsthandwerker hingegen, die nach „freier“ Kunstleistung strebten, aber ihre Wurzeln auf Werkkunstschulen erworben hatten, blieb nur die Textilkunst als Aktionsraum.
Angelika Schäfer beginnt 1991 die Anwendung der Nadel in ihren Arbeiten neu zu definieren und wendet sich bewusst vom Kunsthandwerk ab: Die Nadel ist nicht mehr Gebrauchsgut, sondern wird zum künstlerischen Material. Es wird massenweise eingesetzt, entsprechend der massenweisen (industriellen) Produktion und Anwendung. Der Einsatz der Nadel soll keinerlei dekorativen Mustern folgen. Statt wie bisher im Arbeitsprozess einer bestimmten Funktion zu folgen, verbleiben sie nun als sichtbare, materialisierte Linien bestehen. Der Faden wird zur organischen Linie. Linien und Striche, Punkte und Löcher sind Ausdrucksmittel, die das Ornamentale meiden. Es erfolgt eine Reduktion von Form und Farbe. Grundlage sind Stoffe , Tücher, eigene Gewebe und Papier. Mit dieser Umsetzung setzt Angelika Schäfer in den frühen 1990er Jahren neue Maßstäbe.
„Mit dem Griff zur Nadel – als Frau – knüpft Angelika Schäfer an eine alte Tradition an , war doch das Nähen früher Frauenarbeit und wird bis heute mit Frauen assoziiert. (…) Sie schlägt einen Pfad abseits der überkommenen Bahnen ein. Die Verbindung der Nadel mit Stoffen geschieht auf einer autonomen Ebene, wo allerdings der althergebrachte Funktionszusammenhang stets leicht zu spüren ist.“ (Dr. Agnes Zelck, Katalog Angelika M.Schäfer: NADELkonTEXT, Deutsches Drahtmuseum, Altena 2006)
Herausragend war für Angelika Schäfer die Beteiligung an einer Gemeinschaftsausstellung in New York (1992). Diese wurde organisiert und kuratiert vom Bundesverband Kunsthandwerk unter der Schirmherrschaft des Deutschen Wirtschaftsministeriums.
Juriert für diese Ausstellung wurden zwei ihrer damals neuesten „Nadelarbeiten“, so ihr Titel, die auf dem nach Innovationen ausschauenden Textilkunstmarkt wegen ihrer Ungewöhnlichkeit die notwendige Aufmerksamkeit weckten.
Mitte der 1990er Jahre fand das Thema „Textiles und die Anwendung in der Kunst“ eine immer breitere Basis. Zahlreiche Universitäten und Hochschulen widmeten sich zunehmend diesem Thema.
In ihrer Publikation „Nadelstiche – Sticken in der Kunst der Gegenwart“, schreibt Matilda Felix im Oktober 2010 rückblickend: „Bis zur Jahrtausendwende sollte es dauern, dass textile Techniken in der Gegenwartskunst verstärkt Beachtung finden.“
Gegenwärtig ist eine regelrechte Konjunktur der textilen Materialien, Techniken im Zusammenhang mit Kunst zu verzeichnen. Das schlägt sich in zahlreichen prominenten Ausstellungen sowie in verschiedenen Symposien und Publikationen nieder. Das ehemals hierarchisch Verhältnis von Bildender Kunst und Kunsthandwerk erfährt heute eine Aufweichung.
COnt(D)EXte – Der Ausstellungstitel
Kunst erschließt sich selten auf den ersten Blick. Was sich sogleich zu erkennen gibt, verliert rasch an Interesse. Auch dieser Ausstellungstitel „ContDEXte“ gibt nicht sofort seinen Inhalt preis. COntDEXte kennzeichnet die Arbeit von Angelika Schäfer mit wesentlichen Begriffen: texere = weben, contexere = zusammenfügen, Context = Zusammenhang (herstellen). Der Begriff Codex ( = Schriftensammlung) ist sinnbildlich zu verstehen.
Wesentliche Assoziationspunkte ergeben sich in Angelika M. Schäfers Arbeiten aus der sprachgeschichtlichen Verwandtschaft von „Text“ und „Textil“: Die Aneinanderreihung von Buchstaben in einer Zeile ist vergleichbar mit dem eingelegten Schussfaden beim Webvorgang. Der Faden steht hier für die Aneinanderreihung von Wörtern in einer Schriftzeile.
Gewebe sind textile Flächen, analog dazu sprechen wir vom Text. Der Begriff Sprachgewebe ist vielleicht nicht so geläufig, passt aber in diesen Zusammenhang wunderbar, kennzeichnet er doch mehr die gestaltende als die nüchterne Vermittlung einer Botschaft, einer Idee.
Aus unserem Sprachgebrauch entstammt der Begriff „einen Gedanken spinnen“. Es war eine große Kulturleistung, Fäden zu spinnen und damit ein Gewebe herzustellen, ebenso wie es auch eine große Kulturleistung war, Texte schreiben, drucken und lesen zu können.
In den Arbeiten von Schäfer geht es nicht um lesbare Texte, sondern um das Ergebnis von Gedanken und den Eindruck, den sie hinterlassen. Textbilder werden u.a. mit Löchern erstellt, die nach dem Einstechen der Nadel in die textile Fläche eine Text-Struktur ergeben, die an eine Braille-Schrift erinnern: Ein Textbild auf textilem Grund.
Andere Arbeiten wiederum erinnern an Stickbilder. Doch nicht das Bildhafte bunter Fadenmuster ist Gegenstand, sondern das Material, die Nadel. So wird das Werkzeug, welches Fadenträger für Näherei und Stickerei ist, seiner Funktion enthoben.
Die Nadeln sowie die Fäden sind materialisierte oder organischen Linien, wobei auch das grafische Potenzial der dabei entstehenden Schatten bewusst eingesetzt wird.
Das Zusammenfügen von Nadeln, Linien, Löchern geschieht bei Angelika M. Schäfers Collagen auf eine ganz besondere Weise. Stoffteile, Papiere oder gedruckte Texte sowie Fäden und Nadeln werden zu Collagen übereinandergelegt und zu einem neuen Gefüge, einem Bild, einem Textbild vereint. Flächen in einen Zusammenhang zu bringen, Gestaltungsmittel in eine Beziehung, in eine Relation zu setzen, Knoten zu knüpfen, Fäden zu zerschneiden, Linien zu ziehen oder die Aneinanderreihung von Nadeln sind kompositionelle Vorgehensweisen. Dies kann entsprechend dem Erstellen von Texten verstanden werden, wenn es darum geht, Bilder im Kopf entstehen zu lassen, Verknüpfungen herzustellen und auf eine bestimmte Weise mit dem Leser und Betrachter zu kommunizieren.
COnt(D)EXte – Collagen und Objekte – Ausstellung Angelika M. Schäfer
Städtische Galerie Iserlohn
12. September – 20. Oktober 2015
Vernissage: Freitag, 11. September um 19.30 Uhr
Einführung: Rainer Danne, Leiter Städtische Galerie Iserlohn
Städtische Galerie Iserlohn / Theodor-Heuss-Ring 24 / 58636 Iserlohn
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