Lyrikertreffen: Internationale Poesie in Münster

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Münster – Internationales Lyrikertreffen in der Domstadt: Die klugen wie unterhaltsamen Prosa-Miniaturen, mit denen die Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer deutsche Balladen kommentiert hat, wertet Hermann Wallmann als eine Art „Vorschule des anreichernden und bereichernden Lesens“. Sie öffnen das Auge für Details und bilden mit den modernen und klassischen Balladen, die Schauspieler Gerhard Mohr vom Theater Münster vortragen wird, einen sprachgewaltigen Auftakt für das Internationale Lyrikertreffen.

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Vom 8. bis 10. Mai steht Münster ganz im Zeichen der Dichtkunst. Drei Tage Lyrik pur – modern, lebendig und weltoffen.

Lyrikertreffen

Strengen formalen Regeln unterwirft der Leipziger Thomas Kunst die Sprache, wenn er Geschichten in komplexen Sonettenkränzen erzählt. Foto: Mayjia Gille

Die 19. Ausgabe des poetischen Kongresses im Theater Münster, gemeinsam ausgerichtet vom städtischen Kulturamt und Literaturverein Münster, verspricht mit ihren Kontrasten hochinteressante Einblicke in die Stimmenvielfalt aktueller Poesie. Lyriker von Renommee und aufstrebende junge Namen sind der Einladung des künstlerischen Leiters gefolgt, viele von ihnen – darunter Esther Kinsky, Uljana Wolf oder die Österreicherin Maja Haderlap – sind Träger wichtiger Literaturauszeichnungen. Hermann Wallmann: „Fast alle arbeiten auch als Übersetzer. Lyrik von heute bedeutet Belesenheit, Mehrsprachigkeit, poetologische Reflexion, internationalen Austausch.“

Präsentieren das Programm vom Lyrikertreffen: Frauke Schnell und Hermann Wallmann. Foto: Presseamt Münster

Präsentieren das Programm des Lyrikertreffens: Frauke Schnell und Hermann Wallmann. Foto: Presseamt Münster

Dass die Übersetzung von Lyrik selbst schöpferische Leistung ist, das würdigt die Stadt Münster mit ihrem bundesweit einmaligen Preis für Internationale Poesie. Sie vergibt ihn – seit 1993 – traditionell am Schlusstag des Lyrikertreffens. „Diese Auszeichnung ist im besten Sinn eine Anerkennung für Verständigung, für Vermittlung über Sprachräume und Grenzen hinweg“, unterstreicht Kulturamtsleiterin Frauke Schnell die Aktualität. „Der Poesiepreis ist eine wichtige Auszeichnung in der Friedensstadt Münster.“

Mit Charles Bernstein wird ein Verfechter des „Schwierigen Gedichtes“ geehrt. Der Amerikaner gilt seit den 1970er Jahren als prominentester Vertreter der „language poetry“. Neben Bernstein geht der Preis an zwei Kollektive, die bei ihren Übersetzungen ungewöhnliche Wege beschreiten, sich vom Original lösen und dem übersetzten Gedicht eine eigene Sprache verleihen. Vertiefen lässt sich das beim Lyrikertreffen: Ein öffentlicher Workshop lädt zum Experimentieren mit Sprache und Sprechen ein.

Lyrik im Genre-Mix

Das ist eine spannende Verbindung zu Poetry 2015. Bereits im April beginnt ein umfangreiches Programm, in dem sich Lyrik mit anderen Künsten verbindet in Filmen, Sprechduetten, Musik, Fotografien, Videoclips. Beide, das Poetry-Programm und das Lyrikertreffen, widmen sich dem Thema Portrait. So gilt das „in memorian“ Helga M. Novak (1935-2013). Silke Scheuermann liest die expressiven Liebesgedichte der „Wutbürgerin“ (Tagesspiegel), die – aus der DDR ausgebürgert – isländische Staatsbürgerin wurde. Joachim Sartorius portraitiert mit Wallace M. Stevens einen der größten amerikanischen Dichter des 20. Jahrhunderts.

Abendlesungen beim Lyrikertreffen

Auffälliges Thema in der Gegenwartslyrik ist Natur und Naturgeschichte – auch eines der Schwerpunktthemen in Münster. So nimmt Esther Kinsky (mit ihrem Roman „Am Fluss“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises) die Vegetation einer Landschaft zum Ausgangspunkt für ausgedehnte lyrische Streifzüge. Heinrich Detering, renommierter Literaturwissenschaftler aus Göttingen, holt Welt und Geschichte in den Vers. Maja Haderlap wendet sich der politisch registrierten Landschaft zu. Wie auch Daniela Danz, die sich der Chiffre „V“ wie Vaterland widmet und fragt, was Europa, was die Gesellschaft zusammenhält. Mit klugem Witz betrachtet der junge polnische Lyriker Tadeusz Dąbrowski die Welt. Strengen formalen Regeln unterwirft der Leipziger Thomas Kunst die Sprache, wenn er Geschichten in komplexen Sonettenkränzen erzählt. Der Leipziger – zugleich als Gitarrist in der improvisierten Musik zuhause – schreibt intensive Gedichte, erotische Liebesgeschichten, Zeilen vom Leben und vom Scheitern, die unter die Haut gehen.

Auf eine persönliche und lebensnahe Vermittlung für Lyrik setzen auch die Schullesungen. Viele Dichter kommen in die Klassenzimmer. Sie sind nicht nur in den Oberstufen zu Gast, sondern innerhalb des Angebotes „Kulturrucksack“ auch bei den 10- bis 14-Jährigen.

Info: Lyrikerinnen und Lyriker: Charles Bernstein, Tadeusz Dabrowski, Daniela Danz, Heinrich Detering, Maja Haderlap, Esther Kinsky, Brigitte Kronauer, Thomas Kunst, Joachim Sartorius, Silke Scheuermann, Uljana Wolf. Übersetzerkollektive „Versatorium“ und das Dichter-Quartett Tobias Amslinger, Norbert Lange, Léonce W. Lupette, Mathias Traxler.

Ihre Gedichte schreiben Naturgeschichte: Die Lyrikerin Silke Scheuermann. Foto: Kirsten Bucher

Ihre Gedichte schreiben Naturgeschichte: Die Lyrikerin Silke Scheuermann. Foto: Kirsten Bucher

Eine Beispiel der Lyrikerin Silke Scheuermann, die während des Internationalen Lyrikertreffens auftritt:

Dodo

Es ist wahr, man kann zu verträumt sein
zum Überleben. Neben dir spazierten immer
mehrere Himmel einher. Ausschließlich
freundliche andere Arten. Nun ja – bis wir kamen.
Gott hat uns Wut geschenkt, dieses starke Gefühl
ohne Richtung und Nutzen, und Appetit. Du, Dodo,
bist dann rasch verschwunden in diese andere Welt,
in der Alice ewig versucht, von dir Wunderland-Spiele
zu lernen. Aber uns reicht das nicht, wir wollen
dich wieder. Niedlich, naiv, mit deinen treudoofen Nestern
am Boden. Als harmlosen Kameraden für unsere Kinder
denken wir dich. Glaub mir: Wir sind fast so weit.
Dodo, du wirst wiedergeboren wie am Tag
das Sonnenlicht. Ich verspreche es dir:
Du wirst unter den ersten sein, die wir machen.

aus: Silke Scheuermann: Skizze vom Gras. Gedichte. Frankfurt am Main: Schöffling & Co., 2014.

Ein ausführliches Programmheft gibt es in der Münster Information, Stadthaus 1

Kartenvorverkauf im Theater Münster

Telefon 0251 – 5909100

www.lyrikertreffen.muenster.de

 

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