Konzert der verrückten Klangmaschinen

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Westfalen – Mit einem skurrilen Klangspektakel wurde am vergangenen Wochenende die diesjähige Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle in Bochum eröffnet. Es ist das zweite Jahr von Heiner Goebbels, der in seiner Intendanz erklärtermaßen angetreten ist, möglichst alle „performing arts“, die Schönen und Bildenden Künste unter einem Dach zu vereinigen, ohne die Unterschiede versöhnenzu wollen: Dieser Anspruch war und ist hoch, mithin aber auch das Risiko, dass dabei das ein oder andere im formalen Spiel stecken und auf der Strecke bleibt. Das Konzept war im vergangenen Jahr bereits an Grenzen gestoßen. In diesem Jahr war der Eröffnungsabend mit der europäischen Erstaufführung für Harry Partchs 75-Minuten-Werk “Delusion of the Fury” eine Enttäuschung.

Die verrückten Klangmaschinen waren der Star des Abends. - Foto: Wong Bergamnn/Ruhrtriennale

Die verrückten Klangmaschinen waren der Star des Abends. – Foto: Wong Bergmann/Ruhrtriennale

Als avantgardistisches Musiktheater war “Delusion of the Fury“ angekündigt worden. Große Erwartungen waren mit dem Eröffnungstück verbunden, da es gewissermaßen als  Overtüre und Taktgeber für das ganz Festival gilt. So begeisternd der aktionsreiche Einsatz der Musiker und Akteure war, so übertrieben erschien aber insgesamt der Aufwand der eigens für die Aufführungen konstruierten Klangmaschinen. Sie stießen zwar den ein oder anderen überraschenden oder ungewöhnlichen Sound aus, aber wirklich neue Hörerfahrungen oder musikalische Erkenntnisse blieben aus. Vieles bediente die Hörerfahrung der Zuschauer, zumal das Stück sehr rhythmisch aufgebaut war und kaum Raum für Neues eröffnete.

Das Ensemble widmete sich voller Spielfreude und in unterschiedlichen Rollen dem Stück. Foto: Wong Bergamnn/Ruhrtriennale

Das Ensemble widmete sich voller Spielfreude und in unterschiedlichen Rollen dem Stück. Foto: Wong Bergmann/Ruhrtriennale

Das letzte große Werk von Harry Partch stammt aus dem Jahre 1966.  “Delusion of the Fury” heißt das 75-minütige Werk in zwei Akten, das in Europa noch nie zu hören gewesen ist. Partchs Spielereien mit urwüchsigen Klängen, exotischen Einflüssen aus dem japanischen Nō-Theater und afrikanischen Ritualen sowie etlichen Abweichungen von gewohnten Skalenbildungen und Stimmungsmustern mögen vor 50 Jahren noch für Überraschungen und vielleicht sogar zu Provokationen gesorgt haben, heute indes reissen sie niemanden vom Stuhl. Die Kompositionen der neuen Musik von Arnold Schönberg, Karlheinz Stockhausen bis John Cage haben Partch gewissermaßen überrollt und überholt.

Der Star des Abends blieben die skurril anzuschauenden Klangkörper, verschiedene Tasten- und Schlaginstrumente, in denen unter anderem Kessel, Gläser, Glühbirnen, Töpfe und Flaschen verschiedener Größe verarbeitet worden waren. Zwei Jahre Arbeit stecken darin und sicherlich viel Geld. Die Effekte hielten sich indes in Grenzen. Anerkennenswert: Die Musiker der Kölner MusikFabrik haben viele Monate damit zugebracht, die Instrumente zu erlernen und nach der vorliegenden Partitur zum Erklingen zu bringen.

Dabei waren sie außerdem als Schauspieler, Sänger und als Chor gefragt, um die sparsame Handlung der beiden Akte in merkwürdigen Kostümen in Szene zu setzen. Es gab kaum Text und ebenso spärlich waren denn auch die Regieeinfälle. Anspielungen an die griechische Tragödie im ersten Akt, im zweiten Assoziationen an die klassische Komödie. Ein Stück oder ein inhaltlicher Zusammenhang war kaum auszumachen. Es verblieb bei einigen bedeutungsschwangeren Chiffren, die aber nicht wirklich in einem verbindenden Spannungsbogen oder gar bedeutsamen Inhalt aufgegriffen wurden.

Der Applaus galt mehrheitlich den spielfreudigen Musikern, weniger der Regie, der Inszenierung oder gar dem ursprünglichen Autor. Trotz großem Getöse wird von „Delusion of the fury“ nicht viel nachhallen. Schade. (Jörg Bockow)

 

Mit viel Getöse, aber wenig dahinter "Delusion of the fury". - Foto: Wong Bergamnn/Ruhrtriennale

Mit viel Getöse, aber wenig dahinter “Delusion of the fury”. – Foto: Wong Bergmann/Ruhrtriennale

Harry Partch (1901–1974) ist einer der originellsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Auf der Suche nach einer musikalischen Welt fernab der akademischen, europäischen Musik erfand er nicht nur ein eigenes Tonsystem, sondern entwarf und baute für dessen Realisierung im Laufe seines Lebens ein umfangreiches Instrumentarium von eigenwilliger Schönheit. Von zeitgenössischen Kritikern als ›Don Quixote der Musik‹ bezeichnet, gilt er heute als hochinspirierter Musikphilosoph und Pionier, der sich als einer der ersten Komponisten fast ausschließlich mit Mikrotonalität befasste. Die Begegnung mit seinen ungehörten Klanglandschaften voll Poesie, Leichtigkeit und Humor ermöglicht die Entdeckung eines Meisterwerks: Delusion of the Fury (1965/66) – seine letzte große Musiktheaterarbeit und zugleich der Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens.

Ausgehend von japanischen und afrikanischen Mythen entwickelt er ein Stück zwischen Traum und Wahn, das alle theatralen Mittel wie Licht, Bewegung, Gesang sowie die außerordentliche Präsenz seiner Instrumente integriert. Ein Theater ohne präzisen Ort, bei dem sich Zeitebenen überlagern. Ein Blick auf eine Kultur, die uns gleichsam fremd und vertraut erscheint. Partch spannt in zwei Akten ein ›rituelles Netz‹, das das Leben und die Versöhnung der Lebenden mit dem Tod feiert. (Ruhrtriennale)

Aufführungen: 1. /8. September jeweils 17.00 Uhr, 30. / 31. August 6. / 7. September jeweils 20.00 Uhr

Die Ruhrtriennale ist das internationale Festival der Künste in der Metropole Ruhr. Die Schauplätze der Ruhrtriennale sind die herausragenden Industriedenkmäler der Region, die jedes Jahr inspektakuläre Aufführungsorte für Musik, Bildende Kunst, Theater, Tanz und Performance verwandelt werden. Im Zentrum stehen zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, die den Dialog mit den Industrieräumen und zwischen den Disziplinen suchen.

Der Intendantenwechsel im Rhythmus von drei Jahren verleiht dem Festival immer neue Impulse. Unter der künstlerischen Leitung von Heiner Goebbels wird die Ruhrtriennale zu einem Laboratorium und einer offenen Plattform für aktuelle Entwicklungen der internationalen Szene.

Die Ruhrtriennale findet in diesem Jahr vom 23. August bis zum 6. Oktober statt.

Ruhrtriennale  /Jahrhunderthalle Bochum /
www.ruhrtriennale.de

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