Extrawurst für die Ruhr

Print Friendly, PDF & Email

Mit mehr Kompetenzen – und mehr Geld – für den Regionalverband Ruhr wollen CDU, SPD und Grüne im Ruhrgebiet den vielbeschworenen Strukturwandel ihrer siechen Industrieregion voranbringen. Kritiker befürchten eine weitere Umschichtung von öffentlichen Geldern zu Lasten des ländlichen Raums.

Vom Kohlenpott zur “Metropole Ruhr” auf Kosten Westfalens?
Foto: Marcel Wenk – Fotolia

Seit mehr als 40 Jahren wird im Ruhrgebiet der Strukturwandel versucht, und seit 40 Jahren pumpen Land, Bund und EU Fördermilliarde um Fördermilliarde in die Region zwischen Ruhr und Lippe. Dem Ballungsraum, der um Kohle- und Stahlindustrie entstanden ist, sollen herrliche Zeiten ohne Kohle und Stahl gebaut, damit verbundene soziale Härten so weit wie möglich abgefedert werden. Das Ergebnis ist ernüchternd: Das Ruhrgebiet ist Nordrhein-Westfalens Problemregion Nummer eins, die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich, das Wirtschaftswachstum unterdurchschnittlich, auch in Sachen Kriminalität, Bildung und Gesundheit hat die „Metropole Ruhr“ offensichtlich die rote Laterne abonniert. Und die Bevölkerungszahl sinkt stetig: So hat Gelsenkirchen von 1979 bis 2009 fast 17 Prozent seiner Einwohner verloren.

Die jahrzehntelange Berieselung mit Fördergeldern hat in den Ruhrkommunen regelrechte Subventionsbiotope entstehen lassen: Erfolgreiche Politik wird hier daran gemessen, wie viele Fördergelder eingeworben werden können, die Schaffung neuer wirtschaftlicher Strukturen, die ohne staatliche Förderung auskommen, scheint zweitrangig oder vielleicht sogar unerwünscht zu sein. So zahlte der größtenteils staatlich finanzierte Ruhrbergbau über Jahrzehnte so gute Löhne, dass kleine Handwerksbetriebe große Schwierigkeiten hatten, gute Mitarbeiter zu finden. Folge: Die aus dem Handwerk kommenden kleinen und mittelständischen Unternehmen, die zum Beispiel dem Münsterland einen Beschäftigungsboom beschert haben, fehlen im Ruhrgebiet.

Jetzt will der Regionalverband Ruhr (RVR), in dem die Städte und Gemeinden des einstigen Industriegebiets zusammengeschlossen sind, noch mehr Kompetenzen, um auf die altbekannte Weise „den Strukturwandel zu gestalten“. Dabei ist der RVR schon jetzt finanziell üppig ausgestattet – und nicht gerade für effektive Mittelverwendung bekannt. In seltener Einmütigkeit haben die Vertreter von SPD, Grünen und CDU in der RVR-Mitgliederversammlung ein Forderungspaket beschlossen, nach dem der RVR weitere Gemeinschaftsaufgaben für seine Mitglieder übernehmen und mehr Möglichkeiten zur privatwirtschaftlichen Betätigung bekommen soll. Bei der Vergabe von Fördermitteln will der RVR größere Mitspracherechte, nicht nur in NRW, sondern auch im Bund und bei der EU. Außerdem wollen die RVR-Politiker eine demokratische Legitimation: Bei der nächsten Kommunalwahl sollen die Mitglieder des „Ruhrparlaments“ direkt vom Volk gewählt werden. In Düsseldorf soll die Resolution „Aufgaben konkretisieren – Strukturen optimieren – Metropole stärken“ durchaus wohlwollend zur Kenntnis genommen worden sein.

Natürlich braucht der RVR für die Ausweitung seiner Tätigkeiten auch mehr Geld: „Aufgrund seiner besonderen regionalen Funktion und Stellung soll der RVR in die Lage versetzt werden, zur Erfüllung seiner Aufgaben Empfänger von allgemeinen Zuweisungen aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz NRW (GFG) sein zu können“, heißt es in dem Forderungskatalog der Ruhr-Politiker. Auch die eigenen Portemonnaies haben die Ruhrpott-Funktionäre in ihrer Resolution nicht vergessen: „Um Augenhöhe mit den Hauptverwaltungsbeamten im Ruhrgebiet zu gewährleisten, soll die Besoldungssituation der Verbandsspitze entsprechend angepasst werden.“

In Ostwestfalen und im Münsterland findet man die neue Extrawurst für das Ruhrgebiet gar nicht lecker. Seit ihrer Machtübernahme haben Hannelore Kraft und ihr Finanzminister Norbert Walter-Borjans massiv Gelder von Kommunen mit solider Finanzstruktur abgezogen und in Richtung der Gemeinden umgelenkt, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken – Erstere häufig kleiner und im ländlichen Raum,Letztere häufig größer und im Ruhrgebiet. „Sparsam wirtschaftende Kommunen werden bestraft, die Schuldenmacher bekommen eine Belohnung“, kritisiert ein Finanzexperte. Mit einem Bedeutungszuwachs des RVR könnte eine weitere Umlenkung von öffentlichen Geldern Richtung Ruhrgebiet verbunden sein.

Der Regionalrat im Regierungsbezirk Detmold kritisiert die „Schaffung einer Megaregion zu Lasten der Ballungsrandbeziehungsweise ländlichen Regionen“ und lehnt die RVR-Pläne „mit Nachdruck“ ab: „Die geforderten Änderungen würden zu einer massiven Bevorzugung des Ruhrgebiets zu Lasten Westfalens und des Rheinlands führen sowie insbesondere auch den westfälischen Teil des Ruhrgebiets und die Verflechtungsräume in den Ballungsrandzonen sowie den ländlichen Raum erheblich beeinträchtigen.“ Die Industrie- und Handelskammern in OWL unterstützen die Resolution des Regionalrats.

Auch die Westfalen-Initiative sieht den RVR-Vorstoß kritisch: „In der Resolution wird ein deutlicher Sonderstatus und damit eine Sonderbehandlung für den RVR beansprucht – das stimmt nachdenklich“, heißt es in einer Presseerklärung der Westfalen-Lobby. Folgende Fragen stellen sich für die Westfalen-Initiative: „Warum brauchen die Kommunen des Ruhrgebiets einen zusätzlichen Anwalt bei der Einwerbung und Verteilung von Fördermitteln und eine stärkere Vertretung in Europa als die anderen Regionen? Warum braucht der RVR bei seiner wirtschaftlichen Betätigung über seine Pflichtaufgaben hinaus den gleichen Spielraum wie die Mitgliedskommunen und -kreise, während dies beispielsweise den Landschaftsverbänden verwehrt bleiben soll? Warum brauchen die Ruhrgebietskommunen eine direkt gewählte Verbandsversammlung und die Landschaftsverbände im Rheinland und in Westfalen-Lippe nicht? Wird es dann nicht Regionen erster und zweiter Ordnung geben? Wird hier nicht die Bedeutung der engen Verflechtung zwischen dem Ballungsraum und dem ländlichen Raum außer Acht gelassen? „Und“, fragt die Westfalen-Initiative zu guter Letzt „wer soll den zusätzlichen Aufwand bezahlen?“

 Wienand Geuking

 Westfalen-Initiative, Tel. 0251/5916406, www.westfalen-initiative.de

 Regionalrat des Regierungsbezirks Detmold,Tel. 05231/713209, www.regionalrat-detmold.nrw.de

 

Speak Your Mind

*