Herford: Mart Stam – Radikaler Modernist

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Herford – Mart Stam gehört zu den bedeutendsten Pionieren der Architektur- und Designgeschichte des 20. Jahrhunderts: Mit der Idee eines freischwingenden Stuhls setzte er Maßstäbe. Seine Gebäudeentwürfe, die von einem hohen ökonomischen und sozialen Verantwortungsbewusstsein zeugen, waren seiner Zeit weit voraus. Die Ausstellung „Radikaler Modernist – Das Mysterium Mart Stam“ im Marta Herford beleuchtet das beeindruckende und zugleich geheimnisumwitterte Leben des niederländischen Designers und Architekten. Dokumente, Originalpläne, Fotografien, Filmmaterial sowie Modelle, Möbel und Designobjekte zeichnen dabei die außergewöhnlichen Lebensstationen dieses hochkreativen Kopfes nach, dessen Spuren sich letztlich immer mehr verloren.

Mart Stam, Reihenhaus Stam, Stuttgart-Weißenhof, 1927, S-W-Fotografie © Mart-Stam-Archiv, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main

„Unser Ausgangspunkt sollte die Funktion sein, der Nutzen der Dinge, mit dem Menschen und seinen täglichen Bedürfnisse als zentralen Gedanken.“ Mart Stam

Um die Verwirklichung seiner Visionen zu erreichen, bewegte sich Mart Stam zeitlebens in verschiedenen Ländern und politischen Systemen. Zum Ende seines Lebens trieb ihn sein starker Verfolgungswahn in die vollkommene religiöse Abgeschiedenheit, fernab der Öffentlichkeit. Damit trug er selbst aktiv zur Legendenbildung um seine Person bei. Für die Ausstellung wurde die Lippold-Galerie in einen faszinierenden Parcours verwandelt: Sieben Kapitel und teils noch nie im Ausstellungskontext gezeigtes Material erzählen hierbei die bewegte Geschichte von Mart Stam, der einst als „Mystery Man der Moderne“ etikettiert wurde.

1899 in Purmerend (Niederlande) geboren, verbrachte Mart (eigentlich Martinus Adrianus) Stam die ersten Jahre in den Niederlanden, machte eine Lehre als Schreiner und ließ sich zum technischen Zeichner in einem Architekturbüro ausbilden. Bereits als Jugendlicher war er begeistert von den lebensreformerischen Ideen seiner Zeit. Nachdem er aus moralischen Gründen den Wehrdienst im Ersten Weltkrieg verweigerte, folgte eine sechsmonatige Inhaftierung in Den Haag, währenddessen seine „Briefe aus der Zelle“ und der Essay „Das Gebet und der soziale Gedanke“ entstanden. Spiritualität und soziale Verantwortung ziehen sich als Leitmotiv durch seine bewegte Biografie.

Mit gerade einmal 23 Jahren begann Stam in verschiedenen Büros in Amsterdam, Berlin und Zürich zu arbeiten. Er gründete zusammen mit Hans Schmidt die Zeitschrift „ABC – Beiträge zum Bauen“, die sich mit richtungsweisenden Diskussionen zu Baumaterialien, Konstruktionsprinzipien und Stilformen auseinandersetzte. Mit seinem Entwurf für die 1927 vom Deutschen Werkbund eröffnete Bauausstellung am Stuttgarter Weißenhof konnte er erstmalig ein Gebäude umsetzen, das ihm auch gleich zum Durchbruch verhalf. Seinen hinterbeinlosen Stuhl aus Stahlrohr, der heute unter der Bezeichnung „Freischwinger“ als Designklassiker bekannt ist, präsentierte er dort zum ersten Mal.

Stam war beteiligt an Ernst Mays Projekt „Das Neue Frankfurt“ (1928/29), wirkte an großen Städtebauplänen in der Sowjetunion mit (1930–1934) und entwarf für Amsterdam die ersten sogenannten Drive-in-Flats mit integrierter Garage (1936). Zeitlebens pflegte er den Kontakt zu Künstlern wie El Lissitzkiy, Piet Mondrian, Gerrit Rietveld oder auch Willem Sandberg, dem späteren Direktor des Stedelijk Museums Amsterdam. 1939 wurde er selbst Direktor der Kunstgewerbeschule IvKNO, der heutigen Rietveld Akademie, und engagierte sich im Widerstand.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sah Mart Stam mit der sich neu formierenden Gesellschaft in der Sowjetischen Besatzungszone eine neue Heimat für seine Ideen entstehen und wurde Direktor der Werkkunstschule und der Kunstakademie in Dresden. Stams der Moderne verpflichtete Haltung stieß jedoch bald auf offizielles Misstrauen. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Direktor in Berlin-Weißensee verließ er 1952 mit seiner dritten Frau Olga die DDR.

Zurück in Amsterdam gründete Stam bald noch einmal ein eigenes Architekturbüro, fühlte sich allerdings mehr und mehr verfolgt. Olga und Mart Heller, wie sie sich seitdem nannten, zogen 1966 in die Schweiz an unterschiedliche, teilweise unbekannte Orte. Lange war unklar, ob und wo Stam lebte. Er starb 1986 im Alter von 86 Jahren in Goldach im Kanton St. Gallen.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit Klaus Leuschel (Bern). Sie wird gefördert durch die Niederländische Botschaft in Berlin und unterstützt durch den Materialsponsor Thonet GmbH

 

Laufzeit 5. November 2017 – 07. Januar 2018

Öffnungszeiten Di–So und an Feiertagen 11–18 Uhr, jeden 1. Mittwoch im Monat 11–21 Uhr, 24., 25. und 31.12. geschlossen, Neujahr ab 13 Uhr geöffnet

Eintritt Erwachsene 8 Euro, ermäßigt 4,50 Euro, Familien 17 Euro, Gruppen ab 10 Pers. 4,50 Euro/Pers., Schülergruppen ab 6. Klasse 1,50 Euro / Person. Freier Eintritt für Besitzer der HerfordKarte, Kinder unter 10 Jahren, Schüler und Studenten dienstags von 16–18 Uhr und am 1. Mittwoch im Monat von 18–21 Uhr, Deutsche Bank ArtCard, eine Begleitperson von Menschen mit Behinderungen mit dem Merkzeichen „B“.

Marta Herford (Lippold-Galerie) / Goebenstraße 2–10 / 32052 Herford

 

 

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