Der Kiepenkerl bloggt: Sehzeichen

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In Hamburg wird am 11. Januar 2017 das spektakulärste Konzerthaus der Welt eröffnet. Ursprünglich war die Eröffnung für 2010 geplant. Mit dem Kultur-Leuchtturm hat sich die Hansestadt das teuerste Sehzeichen der Welt gegönnt. Gemessen an der Investitionssumme war die Freiheitsstatue von New York ein Schnäppchen.

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Foto: Bin im Garten (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Wegen Schlamperei und Inkompetenz der Verantwortlichen sind die Kosten der Elbphilharmonie ausgeufert. Die Verantwortlichen haben es gewusst oder geahnt. Doch hätten sie es gesagt, wäre die Philharmonie nicht gebaut worden. Eine vergleichbare Blindheit von Investoren, Planern und Aufsichtsgremien zeigt sich am Berliner Flughafen, dem unterirdischen Bahnhof Stuttgart 21 und am Limburger Bischofshügel. Diese Form des temporären Erblindens lässt sich nur überspielen, wenn die Realität und die Folgen ausgeblendet werden.

Dass ein Blinder blind ist, lässt sich nicht leugnen. Darin liegt keine Wertung, nur eine medizinische Diagnose. Wenn aber der Chef eines Bundeslandes als blind bezeichnet wird, so drückt das aus, dass er unfähig, ahnungslos, bekloppt oder nur peinlich ist. In diesem Fall ist die Bezeichnung zwar medizinisch irrelevant, beschreibt aber seine Fehlleistungen in der Amtsführung, für die er nach politischem Verständnis nicht verantwortlich ist. Als sichere Basis für die Straffreiheit eines Organversagens gilt der Fraktionszwang, durch den die Meinungsfreiheit von Volksvertretern unterdrückt wird.

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Foto: Maddl79 (Own work) [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Die Hamburger Senatsmitglieder haben gut lachen. Wenn man in der Schule einen Rechenfehler macht, heißt es: setzen, sechs! Wenn sich in der Hansestadt der Erste Bürgermeister und hochbezahlte Staatsräte (Staatssekretäre) verkalkuliert haben, oder mit den Controlling-Aufgaben heillos überfordert waren, heißt es nur: na und? oder: weiter so! Da haben sich eben alle so verhauen, dass es weh tut. Unfähig, selbstherrlich, überfordert! Diese Feststellungen treffen die Führungscrew, die die verzögerte Fertigstellung und die ausufernden Kosten von ursprünglich 77 auf 789 Milliarden Euro zu vertreten hat. Besonders tragisch ist, dass das verprasste Geld an anderen Stellen für nachhaltigere Aufgaben fehlt.

Ausschlaggebend für die Zeitüberschreitung und die Kostenexplosion bei dem komplexen Projekt war die „baubegleitende Planung“. Diese Harakiri-Methode ist Architekten suspekt und in der Gebührenordnung nicht vorgesehen. Das weltweit einmalige Beispiel für die struktur- und kopflose Realisierung eines Großprojektes wird ins Gedächtnis der Menschheit eingehen – so wie der Turmbau von Babel. Nicht ohne Grund hat sich bei der Durchführung von Großprojekten die Einhaltung folgender Realisierungsschritte bewährt: Projektierung, Entwurf, Feinplanung, Erstellung der Baupläne und der Blankette für die verschiedenen Gewerke, Ausschreibung, Auftragsvergabe, Bauleitung und Fertigstellung. Eine Abweichung von diesem erprobten Verfahren entspräche dem „Spezifikationskauf“ eines Maßanzugs nach dem Prinzip: „Den Anzug nehme ich mit – die Maße bringe ich gelegentlich vorbei.“

Weil die hanseatischen Politiker zunächst nur vage Vorstellungen vom Konzerthaus und den Nebengebäuden hatten, fassten sie die ersten acht Schritte im Laufe der Realisierung einfach zusammen. Fest stand lediglich der Fertigstellungstermin – dem hatte sich alles unterzuordnen. Das führte zu einen völlig undurchsichtigen Gewerkel der Baubeteiligten und machte das Projekt zum Selbstbedienungsladen für die ausführenden Firmen, denn die erkannten die Stümperhaftigkeit des Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die zwangsläufig fehlerhaften und unvollständigen Ausschreibungsunterlagen waren eine Einladung zur Abrechnung von Nachforderungen.

Da den involvierten Politikern im Aufsichtsrat auch nach Jahren kein fremdes Sachgebiet bekannt war, hielten sie es nicht für erforderlich, rechtzeitig den Rat von Fachleuten einzuholen oder ihren Änderungs- und Ergänzungswünschen Grenzen zu setzen. Das chaotische Nebeneinander von Auftraggeber, Baukonzern und Architekten entwickelte sich zu einem System von Unverantwortlichkeiten, Schlampereien, des Wegschauens und Vertuschens. Vom damaligen Bürgermeister Ole von Beust wird berichtet, dass er sich vor allem durch Desinteresse an unangenehmen Details ausgezeichnet habe.

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