Eisdiele: Vergnügen mit italienischem Flair

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Westfalen – Die Lust auf Eis und die Erfolgsgeschichte der italienischen Eisdielen war in den 1950er Jahren auch in Westfalen deutlich zu spüren. Das zeigt ein Blick, den die Volkskundler beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in die Geschichte der Eisdielen geworfen haben. Nicht nur in größeren Städten des Ruhrgebietes, die teilweise schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine Eisdiele hatten, siedelten sich Italiener an, die Verbreitung begann zu dieser Zeit auch in Kleinstädten, wie zum Beispiel in Ahlen (Kreis Warendorf), wo 1953 die Eisdiele Gamba eröffnet wurde. “Die Eigentümer kamen – wie auch viele andere Eisdielenbesitzer in Nordwestdeutschland und den Niederlanden – aus dem italienischen Vale di Zoldo”, so Jutta Nunes Matias von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen.

Mobiler Eisverkauf um 1930 in Iserlohn. Foto: LWL-Archiv/ Klein-Happe

Mobiler Eisverkauf um 1930 in Iserlohn.
Foto: LWL-Archiv/ Klein-Happe

Das Italienbild der Deutschen war zeitweise geprägt von Vorstellungen, die sich in populären Schlagern wie dem “Capri-Fischer”, in Italien spielenden Filmen und von “dolce vita”, dem süßen Leben oder “dolce far niente”, dem süßen Nichtstun spiegelten. Eine realistische Einschätzung von Italien hatte kaum jemand, zumal von einer Italienreisewelle zu Anfang der 1950er Jahre kaum die Rede sein konnte, denn 1949 führten lediglich fünf Prozent aller Urlaubsreisen überhaupt ins Ausland. Die Kenntnisse über Italien beschränkten sich somit auf heimische Alltagserfahrungen, zu denen auch der Besuch einer Eisdiele gehörte. Wie Nunes Matias berichtet, war die Einrichtung der Eisdielen zwar einfach, jedoch wiesen Fotos von Stränden, Panoramen der Dolomiten oder anderen Landschaften auf die Herkunft der italienischen Besitzer hin. “Die Bilder waren wichtiger Bestandteil der Innenausstattung und kamen der deutschen Italiensehnsucht entgegen, zeugten aber auch von dem Stolz der Italiener auf die Schönheit ihrer Heimat”, so die LWL-Volkskundlerin.

Kaum bekannt war, dass die Einwanderung italienischer Eishersteller schon am Ende des 19. Jahrhunderts begonnen hatte. Die wirtschaftliche Situation in Norditalien zwang viele Bewohner aus Venetien und insbesondere aus den Dolomiten auszuwandern. Durch sie wurde das Wissen um die Eisherstellung auch nach Nord- und Osteuropa getragen. Zunächst wanderten sie nach Österreich und Ungarn, später auch Richtung Norden. Das Ruhrgebiet und das Rheinland waren zwischen den Weltkriegen ein beliebtes Ansiedlungsgebiet der italienischen Eishersteller gewesen, viele hatten jedoch aufgrund der politischen Lage Deutschland zunächst wieder verlassen. In den 1950er Jahren hatte sich die wirtschaftliche Situation in Norditalien noch nicht wesentlich verbessert und so ging es wieder Richtung Norden, um den Lebensunterhalt als Gelatieri zu verdienen. Manche wagten sogar den Schritt zu einer Milch- und Espressobar, wie 1960 eine italienische Familie in Herten (Kreis Recklinghausen). Vor allem für Jugendliche bildete die Eisdiele im Sommer eine willkommene Nische zwischen den gutbürgerlichen Gaststätten und Cafés. Man konnte sich in einer neutralen Umgebung auch tagsüber treffen und manche Eisdiele oder Milchbar wird in der Nähe einer Schule besonders gute Umsätze gemacht haben.

Eisessen, das schon um die Jahrhundertwende in Amerika sehr populär war, verkörperte auch den Zeitgeist dieses Jahrzehntes, in dem immer mehr amerikanische Lebensgewohnheiten aufgegriffen wurden und bildete einen weiteren Meilenstein auf dem Weg der viel zitierten “Fresswelle” der 1950er Jahre.

Die eigene Herstellung von Eis im Privathaushalt, bei der man meist eine sogenannte Gefrierbüchse verwendete, war noch lange Zeit schwierig und auch die Lagerung von gekauftem Eis war nur wenigen Haushalten möglich. 1955 besaßen laut Allensbacher Umfrage lediglich zehn Prozent der bundesdeutschen Haushalte einen Kühlschrank und nur die wenigsten dieser Geräte hatten ein Tiefkühlfach. Daher war Eisessen häufig mit dem Besuch von Eisdielen verbunden.

Aber auch westfälische Betriebe entdeckten das Eis als Verkaufsschlager, jedoch setzte man weniger auf Eisdielen, sondern auf den losen Verkauf. Eine kleine Molkerei in Recke (Kreis Steinfurt) rief mit den Eisprodukten die Firma “Sanobub” ins Leben und produzierte ab 1949 Eis am Stiel. Die Idee des “Eis am Stiel”, die 1923 in Amerika patentiert worden war, machte den Straßen- und Kioskverkauf einfacher. Gekühlt wurde in Thermobehältern mit Trockeneis. Einer Veränderung der Produktpalette von Speiseeis brachte die allgemeine Einführung von Tiefkühlschränken und Kühlschränken mit Eisfach. Das Lagern von industriell hergestellten Eisprodukten, die seit den 1930er Jahren auf dem Markt waren, wurde somit im Privathaushalt möglich. Die deutsche Eisindustrie – seit den 1930er Jahren gab es Langnese in Hamburg und Schöller in Nürnberg – versuchte in den 1960er Jahren die italienischen Eisprodukte nachzuahmen und gab den Eiskreationen italienische Namen. Der Verzehr von Eis zum Ende der 1950er Jahre belief sich auf ca. 1,5 Liter pro Einwohner im Jahr. Die Auswahl an Eissorten war mit Klassikern wie Vanille, Schokolade, Erdbeere und einigen anderen Sorten noch recht überschaubar. Heute kann jeder Deutsche aus einem Angebot von über 100 Eis-Sorten auswählen und verzehrt etwa acht Liter im Jahr. Deutschland ist dabei noch nicht einmal auf dem ersten Platz im europäischen Vergleich. Spitzenreiter im Eisessen sind ausgerechnet die Skandinavier aus dem vermeintlich kühlen Norden.

 

Volkskundliche Kommission für Westfalen / Scharnhorststr. 100  / 48151 Münster

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