Geschichte des Potts unter dem Hammer

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Westfalen – Eingefleischte Wagnerianer reiben sich verwundert die Augen oder rühren irritiert in ihren Ohrmuscheln. Statt eines weihevollen und aufwühlenden Bühnenfestspiels wird „Das Rheingold”, das Vorspiel zum dreiteiligen „Ring des Nibelungen“, bei der Ruhrtriennale 2015 einmal auf links gezogen. Das hatten in Bayreuth schon einige versucht. Freilich mit nur mäßigem Erfolg. In Bochum ist das Kunststück gelungen!

Die Rheintöchter locken Alberich

Die Rheintöchter verführen Alberich mit Sexpuppen und treiben ihn in den Wahnsinn.

Regisseur Johan Simons und der junge Grieche Teodor Currentzis, aktuell einer der eigenwilligsten Dirigenten, haben in ihrer Version von „Das Rheingold“ das Stück auf den schweißgetränkten Boden des Potts gestellt. Ohne viel Firlefanz – mit nur wenigen einleuchtenden dramaturgischen Kniffen und ein bisschen Bühnenzauber, soweit dieser in der Industriekathedrale der Jahrhunderthalle in Bochum zu realisieren war. Die Fantasie des Zuschauers tut ein übriges. Johan Simons hat den genius loci des alten Ruhrgebiets als Ort von Kohle und Stahl kongenial aufgegriffen.

Iin Nibelheim wird das Gold zum Ring geschmiedet

Iin Nibelheim wird das Gold zum Ring geschmiedet

Im Bergwerk von Nibelheim gibt es denn auch weniger glänzendes Gold zu schürfen denn schwarze Kohle zu brechen und Walhall, das protzige Schloss von Göttervater Wotan erinnert einen an die Großmannsucht der Villa Hügel. Die Devise hier wie dort: Mehr Schein als Sein. Die korrupten Götter unterscheiden sich kaum von den großkotzigen Kapitalisten Kruppscher Zeiten und den geilgeilen Finanzjongleuren unserer Tage. So passt „Das Rheingold“ in unsere Zeit.

Simons verzichtet auf Drachen und Kröten und all den mythischen Zauber, der das „Rheingold“ so leicht ins Reich der Fantasie und in eine Märchenstunde abrutschen lässt. Die Inszenierung ist kantig, hart und realistisch, teilweise bis an die Schmerzgrenze. Am heftigsten und unangenehmsten vielleicht in den Eingangsbildern, wenn die drei Rheintöchter ihr neckisches Spiel mit Alberich treiben und ihn in seiner Geilheit mit Sexpuppen verführen und dabei  schier in den Wahnsinn treiben.

Wotan spiel sein intregantes Spiel

Wotan spiel sein intregantes Spiel, um sich seine Vorteile zu sichern.

„Das Rheingold“ spiegelt die links-revolutionären Auffassungen, denen der junge Richard Wagner um 1848 anhing. Er glaubte, dass die Kunst die Menschen durch die Schaffung von Mythen zusammenbringen und zur politischen Veränderung motivieren kann. Über die Verschmelzung verschiedener Kunstformen wollte Wagner ein „mythisches Erleben“ auslösen, eine innere Umformung des Menschen.

Harte Arbeit unter Tage: "Das Rheingold" beschwört den Geist des Ruhrpotts

Harte Arbeit unter Tage: “Das Rheingold” beschwört den Geist des Ruhrpotts

Johan Simons arbeitet in seiner Fassung den aufrührerischen Ton von Richard Wagner heraus und indem er das Drama dezent erweitert, sowohl musikalisch als auch textlich. Es entsteht eine elektrische Spannung, die auf das Publikum überspringt. Der langanhaltende Schlussapplaus bestätigt sein Konzept. Einmal mehr hat Johan Simons in seiner ersten Spielzeit nach „Accatone“ unter Beweis gestellt, dass es ihm nicht um Kunst um der Kunst willen geht, sondern dass er Widerspruch und Auseinandersetzung provozieren will.

Gelungen ist die Zusammenarbeit mit dem finnischen Elektronikkünstler Mika Vainio, der mit seinem elektronischen Vor- und Nachspiel zum „Rheingold“ einen zeitgemäßen Soundtrack beisteuert. Brauchen tut man diesen Elektrosound nicht wirklich, weil bei Wagner alles bereits angelegt ist, bis hin zum metallischen Sound der sieben Ambosse, die schon bei Wagner den kalten Takt und Rhythmus der Großen Industrie wiederspiegeln. Aber elektronisch überhöht bringt Simons die Geschichte des Potts förmlich unter den Hammer.

In der Passage unter Tage von Nibelheim wird ein Text von Elfriede Jellinek rezitiert. Dafür hat Simons die Figur des diskreten Butlers (Stefan Hunstein) eingefügt, die aus Jelineks Bühnen-Essay “Rein Gold“ deklamiert: “Riesige Geldmengen werden verschoben, aber bezahlt wird nicht. Niemand zahlt für nichts, alle zahlen immer drauf.” Man sieht sich versetzt in die Finanzkrise der vergangenen Jahre.

Richard Wagner scheint in „Rheingold“ die Geschichte des Ruhrgebiets zu erzählen: Eine Geschichte über Industrialisierung, Arbeit unter Tage, Kapitalismus und seine ökologischen, sozialen und psychologischen Folgen. Der Zwerg Alberich raubt das Gold der Rheintöchter und schmiedet daraus in den Minen von Nibelheim einen Ring. Als er der Liebe abschwört, schenkt ihm der Ring grenzenlose Macht über die Welt. Mit einer List eignet sich Wotan den Ring an, um die Riesen bezahlen zu können, die für ihn und die anderen Götter die Burg Walhall gebaut haben. Aber Alberich verflucht den Ring. Das Desaster und der Weltenbrand der „Götterdämmerung“ ist damit vorgezeichnet. Nur ein radikaler Neubeginn kann die Welt retten, das wusste schon Wagner. Solange die Götter (Kapitalisten) den Speer schwingen und die Verträge schreiben, so lange werden sie sich bereichern.

Johan Simons Besetzung singt gut. Vielleicht nicht auf dem Niveau von Bayreuth, aber insgesamt ganz und gar stimmig. Allen voran stechen die Protagonisten Wotan und Alberich, von Mika Kares und Leigh Melrose gesungen, heraus. Currentzis bringt für sein Wagner-Debüt sein dynamisches Orchester MusicAeterna aus Perm mit.

Das Orchester ist nicht in irgendeinem Graben versteckt, sondern ist ins Bühnenbild (Bettina Pommer) integriert. Es musiziert auf freier Bühne und steht damit auch dramaturgisch ganz im Mittelpunkt. Die Musik ist bei Wagner gewissermaßen die „Hauptperson“. Mag diese normalerweise schmeichelnd den Zuhörer mit auf eine emotionale Reise nehmen, so wird sie bei Currentzis zum klugen Korrektiv und dynamischen Motor. Wenn der Dirigent mit großer Geste sein Orchester aus den Sitzen katapultiert, dann fliegt die Musik dem Publikum förmlich um die Ohren. Wer von solcherart dramatischer Überhöhung nicht bewegt wird, der hat bei Wagner nix und im Bochumer „Rheingold“ noch weniger verloren.

„Rheingold“ ist ein wunderbarer Schluss für die erste Spielzeit von Johan Simons – und ein verheißungsvolles Versprechen für die Ruhrtriennale im kommenden Jahr. Wir freuen uns schon jetzt darauf!

Letzte Aufführung von „Das Rheingold“ während der Ruhrtriennale am 26. September 2015. (Dr. Jörg Bockow)

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