Ruhrfestspiele: Palaver der Peinlichkeiten

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Westfalen – Die Erwartungen sind hoch. Die Fallhöhe aber auch. Die diesjährigen Ruhrfestspiele in Recklinghausen präsentieren „Bella Figura“, das neue Stück von Yasmina Reza, in einer Co-Produktion mit der Schaubühne Berlin. Die französische Autorin wird seit ihren beiden Erfolgsstücken „Gott des Gemetzels“ und „Kunst“ als die Kammerspiel-Königin gehandelt. “Bella Figura” ist eine Auftragsarbeit und eigens für das Ensemble der Schaubühne geschrieben worden. Die Welturaufführung in Berlin liegt gerade einmal zwei Wochen zurück.

BELLA FIGURA von Yasmina Reza Regie: Thomas Ostermeier - Fotos: Arno Declair

Herausragend: Nina Hoss als Andrea in BELLA FIGURA von Yasmina Reza
Regie: Thomas Ostermeier – Fotos: Arno Declair

Man erwartet ein Feuerwerk der Dialoge, atemlos und spritzig, witzig bis sarkastisch und einen Plot, der unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuert. Doch „Bella Figura“ ist nicht wie seine Vorgänger eine entlarvende Gesellschaftskomödie, die dem Publikum mit bitterem Witz die Augen öffnet. Der Funke will trotz brillanter und hochkarätiger Besetzung – herausragend Nina Hoss und Mark Waschke – nicht so recht überspringen. Am Ende überfällt einen eine melancholische Tristesse, ganz ähnlich wie sie die beiden Hauptpersonen auf der Bühne durchleben.

Nina Hoss und Mark Wasche in BELLA FIGURA von Yasmina Reza

Nina Hoss und Mark Wasche in BELLA FIGURA von Yasmina Reza

Der Erkenntnisgewinn ist mager – sowohl für die peinlich verstrickten Protagonisten, die am Ende in einer beinahe existentialistischen Attitüde erstarren, aber auch für den Zuschauer, der sich in der Unfähigkeit zur Kommunikation wiedererkennen mag aber dennoch nicht wirklich involviert ist. Die ansonsten stets scharf geladene Waffe der Yasmina Reza entpuppt sich dieses Mal als Rohrkrepierer.

Die Fassade bröckelt: Im Verlauf der Auseinandersetzung macht niemand mehr eine gute Figur

Die Fassade bröckelt: Im Verlauf der Auseinandersetzung macht niemand mehr eine gute Figur

Ein Frühlingsabend. Es ist schon dunkel. Auf dem Parkplatz eines Restaurants, in Frankreich, ganz in der Nähe von Bordeaux. Ein Peugeot 207 mit offener Beifahrertür. Die Scheinwerfer leuchten in die Ferne. Boris steht neben seinem Wagen. Die Beine einer Frau gucken heraus. Ein bisschen zu kokett ist sie gekleidet, mit ihrem kurzen Rock und der durchscheinenden Bluse. Andrea zündet sich eine Zigarette an.

Boris zu Andrea: „… oder wir nehmen ein Zimmer im Ibis und vögeln gleich. Wär mir ohnehin lieber.“ Direkter geht es nicht. Boris will keine Zeit verlieren. Das Angebot sie vorher in ein Restaurant auszuführen ist ein Zugeständnis, das einfach nur Mühe machen würde. Nach vier Jahren ihrer Affäre kommt er gleich auf den Punkt. Entlarvend seelenlos. Und ohne jede Emotion. Doch Andrea, die coole Blondine, zickt. Heute ist sie auf Krawall gebürstet. Sie ahnt längst das Ende ihrer verlogenen Beziehung. Mit Tabletten und viel Alkohol wird ihre Zunge von Minute zu Minute schärfer und ihrTon bitterer.

Auf der Toilette bricht die ganze Welt zusammen

Auf der Toilette bricht die ganze Welt zusammen

Andrea ist Apothekenhelferin, Anfang vierzig, alleinerziehend, mit einer neunjährigen Tochter; Boris Glasfabrikant, ebenfalls Anfang vierzig, verheiratet mit Patricia, zwei Kinder. Das Feuer zwischen ihnen ist erloschen. Es geht nur noch um Sex. Der Krach ist vorprogrammiert. „Findest du es normal, mit mir in ein Lokal zu gehen, das dir deine Frau empfohlen hat?“ eröffnet sie den Streit, der zum bestimmenden Thema auf der Bühne wird und alle anderen Beteiligten unweigerlich mit in seinen Strudel reißt.

Boris steht mit seiner Firma kurz vor der Insolvenz. Die Nerven liegen blank. Das Drama kommt in Schwung als Boris so aufgebracht wie unachtsam mit seinem Wagen zurücksetzt und Yvonne, eine ältere Dame anfährt. Die will gerade zusammen mit ihrem Sohn Eric und dessen exaltierter Freundin Françoise in dem Restaurant Geburtstag feiern. Der wortreiche Höllentrip kann beginnen.

Françoise entpuppt sich als die beste Freundin von Boris‘ Frau Patricia. Françoise droht als Racheengel dem Paar mit der Entlarvung ihrer Affäre. Es entspinnt sich beim gemeinsamen Geburtstags-Cocktail und anschließenden Essen eine peinsame Auseinandersetzung um das Leben, die Liebe und die Wohlanständigkeit. In ihren Dialogen entlarven sich alle Protagonisten gegenseitig mit schonungsloser Direktheit. Am Ende macht keiner mehr eine gute Figur (Bella Figura).

Die Streitgespräche finden ihren Gipfel in einer grotesken Szene in der Toilette des Restaurants. Hier kotzt man sich buchstäblich aus. Mit schmerzlicher Offenheit. Andrea und Boris fallen in einer Kabine in einem verzweifelten Akt zwischen Hass und Begierde übereinander her. Doch das entfacht kein reinigendes Gewitter, sondern bildet den Höhepunkt der Peinlichkeiten. Denn just in diesem Moment taucht Yvonne auf dem stillen Örtchen auf…

Thomas Ostermeier, in Berlin einer der gefeierten Regiestars, treibt den Plot ins Monströse. Bedeutungsschwanger sind die Symbole, die aufgefahren werden, als wenn die Dialoge alleine nicht reichen würden. Im Hintergrund laufen Rückprojektionen von wimmelnden Insekten, die in einem Terrarium zur Beobachtung bereitstehen, ganz so wie die handelnden Personen auf der Bühne.

Reza hat in bekannter Manier eine Versuchsanordnung angerichtet, in der der gebildete Mittelstand die Hüllen fallen lässt und seine niederen Beweggründe preisgibt. Ostermeier toppt das Ganze noch, indem er die Toiletten in seiner Inszenierung gläsern sein lässt. Zudem ist die Drehbühne dauernd in Bewegung. Mal langsam, mal schneller. Sie erlaubt den Blick von allen Seiten auf die angesetzte Versuchsanordnung, dass nicht nur den Protagonisten im Verlauf des Abends ganz schummrig und schwindelig wird.

„Man bricht mit seinem kleinen Bündel auf, um die Welt zu erobern. Man bildet sich ein, die Armee rücke vor, aber man verkümmert an Ort und Stelle“, deklamiert Andrea am Ende des Stücks, so als wenn ihr in all der Trübnis doch noch ein Licht aufgegangen wäre. Die fatalistische Erkenntnis bleibt sekundenlang im Blackoff hängen.

www.ruhrfestspiele.de

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