Marienthal: Gesamtkunstwerk, nicht nur im Advent

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Marienthal im Advent: Zuerst kamen die Mönche. Augustiner-Eremiten gründeten 1256 auf dem Flecken Beylar im kaum besiedelten Grenzgebiet zwischen Münsterland und Niederrhein ein Kloster, dem sie den Namen Marienthal gaben. Ob der Augustiner-Mönch Martin Luther 1521 nach dem Reichstag zu Worms auf dem Weg zur Wartburg,wo er die Bibel ins Deutsche übersetzen sollte, das Kloster Marienthal mit seiner bestausgestatten Bibliothek besuchte, ist nicht belegt. Und ob Napoleon 1806, als er das Kloster in Marienthal auflöste, den Begriff Pumpernickel hierselbst für das köstliche dunkle Brot prägte, sei dahingestellt. Jedenfalls gastfreundlich war man schon damals in Marienthal. Der Kaiser,bestens bewirtet von den Bauersfrauen, jedenfalls genoss den ihm vorgesetzten luftgetrockneten Schinken. Doch das gereichte Schwarzbrot warf er seinem Pferd Nickel zu mit den Worten: “Cèst bon pour Nickel”. Seitdem nennt man selbiges Brot im Münsterland und sonstwo Pumpernickel.

Im Advent

Marienthal ist nicht nur zur Adventszeit, aber vor allem dort einen Besuch wert – Foto Marienthaler Kaufleute

Das Kloster war aufgelöst, das Kirchlein blieb und drumherum entstand ein Bauerndorf. Mit  zwei Höfen, einer Wassermühle, Schmiede Sattlerei und Molkerei. Ein Kolonialwarenladen durfte natürlich auch nicht fehlen. Man lebte beschaulich. Doch dann trat ein Ereignis ein, welches einen Zeitenwandel in Marienthal einleiten sollte. Augustinus Winkelmann aus Amelsbüren bei Münster trat 1924 die kleine Pfarrstelle in Marienthal an. Vielseitig interessiert war dieser Herr Pastor, dem man, wie sein Bruder schon bei seiner Einführung in Hecheltjens Scheune sagte, am besten nicht widersprach. Studiert hatte Winkelmann in Münster, Würzburg und Paris. Und seit seiner Zeit in Paris und der Bekanntschaft mit dort lebenden und wirkenden Künstlern des Expressionismus stand für ihn fest: Diese neue Kunstrichtung sollte dort Einzug halten, wo er langfristig wirken wollte.

Marienthal, Kirche und Friedhof, sollten unter seiner Ägide mit neuer Kunst ausgestattet werden. Und so geschah es. Die Glasmaler Thorn Prikker, seine Schüler Anton Wendling und Heinrich Dieckmann, ebenso Heinrich Campendonk gestalteten Fenster in Kirche,Kreuzgang und Mönchszelle. Josef Straters Kreuzweg in Grisaille-Technik zierte das Kirchenschiff. Das Bronzeportal mit der Darstellung des Glaubensbekenntnisses wurde nach dem 2. Weltkrieg das Meisterwerk von Edwin Scharff, dem “Entarteten”, dem Pastor Winkelmannin der Zeit des Nationalsozialismus Unterkunft und Arbeit bot.

Das Werkverzeichnis der Kunst in der Kirche und auf dem Friedhof von Marienthal liest sich wie das who is who der Sakral-Expressionisten der 20er bis 50er Jahre. Winkelmann verstarb am zweiten Weihnachtstag 1954. Sein Vermächtnis blieb. Ein ganz besonderer Ort. Zunächst für Insider, Kenner der Kunstszene, die den Ort und seine Kunst aufsuchten.

Dann die Jugendbewegten,denen Winkelmann während seiner Ägide Quartier in der dem Kloster angeschlossenen Jugendherberge und den Heuböden der Bauernhöfe geboten hatte. Sie kamen in den 50er und 60er Jahren gerne wieder nach Marienthal und erinnerten sich der hier verbrachten Zeit. Es folgten die Hochzeitspaare, für die Winkelmanns Nachfolger die Hochzeitsglocken läuten ließen und die sich in den beiden Gasthäusern fürstlich bewirten liessen. Dies war der Beginn der Metamorphose des Bauerndorfes zum Kultur- und Touristikort.

Bauernhöfe wurden zu Romantik-Hotel oder auch Lampenscheune, Blumenladen und Remise Buch und Kunst. Molkerei und Müllerhaus mutierten zu feinen Geschäften mit Ambiente, zu individuellem Kaffeehaus oder Restaurant mit besonderem Charme. Lifestyle-Produkte, Mode, Kunst-Galerie und Feinkost laden ein zum Shoppen mit dem besonderen Flair.

Mittsommer-Markt und der Martins-Markt als Auftakt der besinnlichen Zeit im Advent entwickelten sich innerhalb weniger Jahre zu Grossereignissen mit überregionalem Charakter und einer Anziehungskraft bis weit ins Münsterland und in die Ruhr-Metropolen. Die Marienthaler-Abende sind seit drei  Jahrzehnten das kulturelle Highlight im Sommer an der Schnittstelle zwischen Niederrhein und Westmünsterland. Annähernd 500 Veranstaltungen mit Konzerten, Kabarett und Kleinkunst begeisterten in Marienthal ein Publikum von nah und fern.

Gleichwie, ob weithin bekannte Grössen wie Otto Sander, Hannelore Hoger, Susanne von Borsody oder Christian Quadflieg oder aber die handverlesenen Newcomer in der Szene, sie alle begeisterten ihr Publikum in Marienthal und waren selbst begeistert vom Ambiente des kleinen Isseldorfes und der persönlichen Gastfreundschaft der Kulturmacher. Den Schwerpunkt der Marienthaler Sommer- und Winterabende indes bilden die a capella Gruppen: New york voices, Swingle Singers,Voces 8, The Magnets, Rockapella, The House Jacks, Fork, Camarata, Rock4, Intermezzo, Sovoso und Ensemble Villancico und weitere Grössen aus dem Ausland traten bereits in Marienthal auf. Und wer kennt nicht die Top a capella Gruppen aus Deutschland,die sich hier die Klinke in die Hand gaben: Sechszylinder, Basta, may be boo, Delta Q, Viva Voce, La Le Lu, Niniwe und die medlz, um die bekanntesten zu nennen.

Im Advent

Marienthal ist auf jeden Fall einen Besuch wert – Foto Marienthaler Kaufleute

Erwähnenswert sind ebenso der Marienthaler Frühling mit dem Motto Schnuppern-Stöbern-Schlemmen, Apfelfreude und Apfellust zu Anfang Oktober oder die Alternative zu den allerorts stattfindenden Weihnachts-Märkten, hier hebt sich Marienthal wohltuend ab vom einerlei des inflationären Vorweihnachtstrubels. Advent auf dem Dorfe  heißt es ganz schlicht und verspricht nicht mehr und nicht weniger als ein festlich geschmücktes Dorf mit Krippe, Lichterglanz und Tannenbäumen. Eine Oase derStille und der Besinnung mit einem Angebot von Fackelwanderungen, Lesungen und Konzerten, schlichtweg Advent in seiner ursprünglichen Bedeutung.

Marienthaler Kaufleute, www.marienthal.de

Marienthaler Abende, www.marienthaler-abende.de

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