Ruhrtriennale: Bizarrer Tanz der Maschinen

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Westfalen – Zur Zeit seiner Uraufführung, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, löste er einen unvergleichlichen Theaterskandal aus: Igor Strawinskys berühmter “Sacre du Printemps” wurde 1913 als ein wütender Schlag ins Gesicht des Bürgertums aufgefasst. Die Partitur ging bis an die Schmerzgrenze, die Musik wurde als Angriff auf das Gehör erlebt. Die Umsetzung als wildes Tanztheater sprengte alle Regeln des klassischen Balletts.

Morbide Ästhetik: Knochenmehl fliegt im Rhythmus der Musik auf die Bühne. - Foto: Ruhrtriennale

Morbide Ästhetik: Knochenmehl fliegt im Rhythmus der Musik auf die Bühne. – Foto: Wonge Bergmann/Ruhrtriennale

Auf der diesjährigen Ruhrtriennale versucht sich der italienische Regisseur Romeo Castellucci mit einer Neuinszenierung, die ihrerseits aus allen Sehgewohnheiten ausbricht und die Zuschauer bewußt düpiert, attackiert und anschließend verwirrt entläßt. Castelluccis Inszenierung ist ein bitter-böser Totentanz. Wen also wundert es, dass er sich nicht als Choreograph verstanden wissen will?!

Regisseur Romeo Castellucci - Foto: Stephan Glagla/Ruhrtriennale

Regisseur Romeo Castellucci – Foto: Stephan Glagla/Ruhrtriennale

Castellucci hat es darauf angelegt, das Stück als ein Vehikel für seine Botschaft zu nutzen. Er will die Zuschauer als genusssüchtige und gedankenlose  “Fleischfresser” anklagen. Ihm geht es um das Leiden der Tiere in der Massentierhaltung, um die industrielle Herstellung von Lebensmitteln und um die damit verbundene Entfremdung des Menschen von der Natur. Der massenhafte Fleischkonsum wird zum Synonym für eine Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist.

Wie ein Raumschiff: 40 Maschinen tanzen einen Totentanz. - Foto:

Wie ein Raumschiff: 40 Maschinen tanzen einen Totentanz. – Foto: Wonge Bergmann/Ruhrtriennale

Castellucci inszeniert das Ballett als bizarren Tanz der Maschinen. Hinter einer Glaswand – der Zuschauer muss dann doch vor dem Angriff geschützt werden – werden Maschinen gezeigt, die im Takt und Rhythmus, zu Melodie und Klang mehr oder weniger ästhetisch und kunstvoll Knochenmehl gleich tonnenweise in einen leeren Raum schütten, streuen und rieseln lassen. Mitunter feuern sie wie Kanonen direkt in Richtung Zuschauerraum oder kotzen sich förmlich mit einem eruptivem Schwall aus. Mögen am Anfang die zarten Spiralen und der Schwall zu donnerndem Paukengrollen eine eigene Ästhetik entfalten, spätestens wenn auch die Musik zur Attacke heranrollt, wird die Bedrohung durch die Maschinenwelt offenkundig. “Sacre du Printemps” ist im Kern ein Opfergang. Fast ein heidnisches Ritual. Das Publikum zuckt unwillkürlich zusammen, wenn die Maschinen direkt auf den Zuschauerraum feuern und nur die Glaswand davor bewahrt, dass man das Knochenmehl kiloweise buchstäblich um die Ohren gehauen bekommt.

“Le Sacre du Printems” ist in dieser höchst modernen Adaption ein politisches Pamphlet: Laut und schrill, plakativ und – ein wenig besserwisserisch. Castellucci will schockieren. Dafür nutzt er alleine schon die Welt der Maschinen, die wie von fremder Hand gelenkt, ja durch einen eigenen Geist gesteuert ihrem seelenlosen Geschäft nachgehen. Fast ist es so als wenn die Maschinen drohen sich zu verselbständigen und sich gegen ihre Herren zu richten. “Die Geister, die ich rief, die werd’ ich nun nicht los…”

Doch wenn wir die Maschinen als die Werkzeuge des Menschen betrachten und wenn sie bloß unser verlängerter Arm sind, dann sind wir es, die dieses seelenlose Geschäft betreiben, wo am Ende die verbleibenden Knochen der geschlachteten Viecher noch bis zur letzten Krume ausgewertet und industriell bearbeitet werden, um damit genau die Böden wieder mit Nährstoffen zu versorgen, die duch die extensive Bewirtschaftung sauer und unbrauchbar geworden sind. Ein Kreislauf des Grauens offenbart sich. Und Castellucci erspart dem Zuschauer nicht die genauen Details des industriellen Prozesses, der aus den letzten Überresten von 75 Rindern genau diejenige Menge an Knochenmehl fabriziert, die in dieser Fassung von “Sacre du Printemps” zum Einsatz kommt. Mehrmaliges Erhitzen bis auf über 1.000 Grad, damit in dieser Höllenglut jene allerletzten Reste biologischen Materials verglühen. Die bizarre Pointe: Eine ganz und gar nicht vegane Theater-Produktion plädiert für ein fleischloses Leben. Ein bisschen platt ist das schon, aber es entspricht so herrlich der gerade in Mode kommenden Überzeugung, die Welt wäre besser, wenn wir kein Fleisch mehr äßen.

Castellucci legte seiner Inszenierung eine Aufnahme des Ensembles MusicAeterna unter dem Dirigenten Teodor Currentzis zugrunde.  Strawinskys “Frühlingsopfer” donnert und dröhnt nur so aus den Lautsprecherboxen. Ein Kanonenschuss könnte heftiger kaum sein. Die Musik erreicht dadurch nicht nur die Gefühle, sondern sie bewegt in einem durchaus physischen Sinne. In manchen Passagen ist man an das tiefe Grollen und Vibrieren der Katastrophenfilme der 70er und 80er Jahre (“Earthquake”) erinnert, wo einem vor lauter Angst die Hosenbeine schlottern, weil einem dank geschickter Vibrationen und Sensurround der Magen flau durchhängt.

Der Regisseur legt seine Inszenierung so an, dass die Irritation über das Stück hinaus anhält. Es gibt nach knapp 50 Minuten keinen sekundengenauen Blackout, wenn  auch die Partitur ihre letzten Takt beendet hat. Das Licht bleibt an. In Schutzanzügen und mit Atemmasken ausgestattete Arbeiter übernehmen die Bühne, um übriggebliebene Knochenstücke aufzusammeln und das Knochenmehl in Behälter zu schaufeln, so als gelte es unmittelbar den nächsten Auftritt vorzubereiten. Die kalte Routine dieser Knochenschieber lässt einem einen letzten Schauer über den Rücken fahren, ehe man unerlöst dem Ausgang zustrebt. Der Regisseur erwartet keinen Applaus – dafür nicht! (Jörg Bockow)

www.ruhrtriennale.de

 

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