Der Kiepenkerl bloggt: Vom Kulturkampf zum Kampf der Kulturen

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Das erste Vatikanische Konzil war Auslöser für den „Kulturkampf“ zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat. Nach der Bismarck’schen Reichsgründung im Jahr 1871 wurde erbittert um die von Pius IX. beschlossene Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen sowie um die von Rom verordnete Einschränkung der Rede- und Religionsfreiheit gestritten.

Modus vivendi, Karikatur von Wilhelm Scholz, 1878

“Modus vivendi”, Karikatur von Wilhelm Scholz aus dem Jahr 1878

In Münster standen sich orthodoxe Katholiken und die durch Otto von Bismarck eingesetzten protestantischen Regierungsbeamten aus Preußen unversöhnlich gegenüber. Im Verlauf der sehr persönlich geführten Auseinandersetzungen erwarb sich das ehemalige Fürstbistum den Beinamen „Nordisches Rom“.

Angesichts der ungeliebten Reformen des Reichskanzlers gleicht es einem Wunder, dass in Münster nach wie vor Bismarck-Heringe verkauft werden. Die Namenstilgung hätte man im Rahmen des Streits um die Rückbenennung von Straßen und Plätzen lösen müssen.

Auch im 21. Jahrhundert wird die katholische Kirche von einem „Kampf der Kulturen“ erschüttert. Bei der zweiten Kulturrevolution handelt es sich um eine Bewegung von unten nach oben. Durch das starre Festhalten an mittelalterlichen Moralvorstellungen hat sich die Kirche sehr weit von der Lebenswirklichkeit ihrer Mitglieder entfernt.

Erster Kulturkampf2

Aus der Zwischenbilanz der Antworten auf die Online-Umfrage der Reformbewegungen zum Vatikanischen Fragebogen über Ehe und Familie, veröffentlicht durch die Laieninitiative

Die von Papst Franziskus veranlasste Vatikan-Umfrage bestätigt die tiefe Kluft zwischen der Lebenswirklichkeit und der dogmatischen Lehre in Fragen der Ehe und der Sexualmoral. Das Ergebnis ist repräsentativ, denn die Gläubigen kamen in einer Vielzahl zu Wort wie wohl nie zuvor in der 2000-jährigen Kirchengeschichte.

Das Ergebnis ist niederschmetternd für die Hüter der biedermeier-katholischen Lehre. Auf die Amtskirche rollt eine Protestwelle zu. Sogar in Bayern sehen 86 Prozent der Kirchenmitglieder in Pille und Kondom nichts Verdammenswertes. Auch die Einstellung zur Homosexualität ignoriert die Lebenswirklichkeit – wie im Priesteramt. Viele Antwortende erwarten gelebte Barmherzigkeit nach dem Scheitern und dem Neuanfang einer Ehe ebenso wie hinsichtlich der vorehelichen Sexualität und der Empfängnisverhütung. Die entscheidende Frage ist: Wird der Papst dem Ruf seiner Gläubigen folgen und die Kirche reformieren, oder belässt er es bei freundlichen Gesten? Doch im Petersdom thront nicht länger ein entrückter Professor, sondern ein PR-Genie.

 

 

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